Foto: Philippe Rossier

Energieministerin Simonetta Sommaruga (60) kämpft fürs neue CO2-Gesetz
«Je länger wir mit dem Klimaschutz warten, desto teurer wird es»

Von ganz links und rechts wird das neue CO2-Gesetz bekämpft. Der Klimajugend geht es zu wenig weit. SVP und die Öllobby sehen keinen Handlungsbedarf. Nun spricht Energieministerin Simonetta Sommaruga Klartext.
Publiziert: 13.01.2021 um 07:34 Uhr
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Aktualisiert: 13.01.2021 um 22:14 Uhr
Energieministerin Simonetta Sommaruga trifft BLICK im Wasserkraftwerk Hagneck zum Interview.
Foto: Philippe Rossier
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Interview: Pascal Tischhauser

Die Festtage lagen noch vor uns, als BLICK die damalige Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga (60) beim Wasserkraftwerk Hagneck am südlichen Bielerseeufer traf. Die SP-Bundesrätin wollte auf ihr Präsidialjahr zurückschauen und einen Ausblick aufs Energiethema im Jahr 2021 machen. Doch angesichts der stark steigenden Corona-Zahlen entschieden die Energieministerin und BLICK, sich aufs Corona-Jahr 2020 zu konzentrieren. Nun publizieren wir den zweiten Teil des Interviews zum Thema Energie.

BLICK: Frau Sommaruga, gegen das CO2-Gesetz ist das Referendum eingereicht worden. Sind Sie zuversichtlich, eine Referendumsabstimmung zu gewinnen?
Simonetta Sommaruga: Ja, denn die Menschen spüren die Auswirkungen des Klimawandels schon heute in ihrem Alltag. Die Hitzetage nehmen zu, Gletscher schmelzen. Deshalb ist klar: Es braucht jetzt weitere griffige Massnahmen. Das sehen nicht nur die meisten Parteien und Umweltverbände, sondern auch zahlreiche Wirtschaftsverbände so. Sie alle unterstützen das CO2-Gesetz, über das wir abstimmen werden. Dieses führt nämlich fort, was sich bewährt hat. Es setzt nicht auf Verbote, sondern auf finanzielle Anreize, Investitionen und technischen Fortschritt. Damit kann man zukunftssichere Arbeitsplätze in der Schweiz schaffen.

Die einen Gegner des CO2-Gesetzes argumentieren, dass Bürgerinnen und Bürger durch dieses mit horrenden Mehrkosten belastet würden. Für die zweite Gegnerschaft reichen die gesetzlichen Massnahmen nicht aus. Haben Sie Verständnis für die beiden Sichten?
Ich verstehe die Ungeduld der Jugendlichen. Aber wenn das CO2-Gesetz jetzt abgelehnt wird, verlieren wir weitere Jahre. Damit verliert auch der Klimaschutz. Ausserdem würde unser Land weiterhin viel klimaschädliches Erdöl importieren und Milliarden dafür ausgeben, anstatt in die Zukunft unseres Landes zu investieren. Darum ist die Erdöllobby gegen das Gesetz. Was die Kosten anbelangt: Klimaschutz ist nicht gratis zu haben, aber die nötigen Investitionen schaffen Arbeitsplätze in der Schweiz. Die Gegner vergessen übrigens zudem gern, dass die CO2-Abgabe mehrheitlich an die Bevölkerung zurückerstattet wird.

Aber die Schweiz tut ja schon viel. Wir haben einen gut funktionierenden ÖV und heizen immer weniger mit Öl. Die Firmen senken ihren Energieverbrauch aus ökonomischen Gründen, und wegen Corona fliegen wir kaum mehr. Warum braucht es das CO2-Gesetz?
Es stimmt, das heutige Gesetz hat schon einiges bewirkt. Darum knüpfen wir daran an. Wir müssen beim Klimaschutz aber einen Zacken zulegen. Das sind wir unseren Enkelinnen und Enkeln schuldig. Weiter wie bisher genügt nicht. Je länger mit dem Klimaschutz zugewartet wird, desto grösser werden die Schäden, und desto teurer wird es für die Schweiz.

Oder aus Sicht der Klimajugend gefragt: Glauben Sie wirklich, dass das CO2-Gesetz ausreicht, damit die Schweiz ihren Beitrag zur Eindämmung der Erderwärmung leisten kann?
Mit dem CO2-Gesetz machen wir beim Klimaschutz einen wichtigen Schritt vorwärts. Aber es ist klar, dass es daneben weitere Massnahmen braucht. Dazu gehört, dass wir mehr sauberen Strom in der Schweiz produzieren: mit der Wasserkraft, mit Solarenergie oder dem Holz aus unseren Wäldern. Darum hat der Bundesrat entschieden, die Förderung der erneuerbaren Energien zu stärken.

Privat fährt sie Mini

Simonetta Sommaruga (60) ist oft mit dem ÖV in Bern unterwegs. Ihr Dienstfahrzeug ist ein Elektrofahrzeug, ein Tesla. Privat fährt die einstige Berner Ständerätin und frühere Justizministerin Mini. 2019 übernahm die SP-Politikerin das Umwelt-, Verkehrs- und Energiedepartement. Hier steht ein wichtiges Jahr an.

Simonetta Sommaruga (60) ist oft mit dem ÖV in Bern unterwegs. Ihr Dienstfahrzeug ist ein Elektrofahrzeug, ein Tesla. Privat fährt die einstige Berner Ständerätin und frühere Justizministerin Mini. 2019 übernahm die SP-Politikerin das Umwelt-, Verkehrs- und Energiedepartement. Hier steht ein wichtiges Jahr an.

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Zum Verkehr. Im Dezember ging der Ceneri-Basistunnel auf. Damit ist die Neat nach 28 Jahren Bauzeit beendet. Wie war das für Sie als Verkehrsministerin?
Es war ein Freudentag. Nicht nur für mich, sondern für das ganze Land. Die Neat stärkt unsere Verlagerungspolitik und den Alpenschutz. Und das Tessin hat jetzt eine attraktive S-Bahn. Die Fahrzeit von Bellinzona nach Lugano halbiert sich. Man kann kaum mehr den Mantel ausziehen, schon fährt der Zug ein. Zu normalen Zeiten hätten wir ein grosses Volksfest gefeiert. Doch auch so: Die Züge fahren jetzt – und wir gelangen rascher von Nord nach Süd. Das bleibt.

Ja, aber brauchen wir noch mehr ÖV? Vor Corona wurden viele Verkehrsprojekte angedacht. Benötigen wir diese noch? Viele von uns pendeln seltener und arbeiten von zu Hause aus.
Am wichtigsten sind bei der Bahn Pünktlichkeit und Verlässlichkeit. Um diese zu gewährleisten, müssen wir Brücken und Tunnels gut unterhalten und zu unseren Zügen schauen. Bevor wir riesige Ausbauprojekte angehen, muss unsere Infrastruktur im Schuss sein. Darum habe ich im Parlament zusätzlich mehr als eine Milliarde Franken für Unterhalt und behindertengerechte Bahnhöfe beantragt, und das wurde so beschlossen.

Und wie reagieren Sie auf die Entwicklung beim Homeoffice?
Das ist eine interessante Entwicklung, aber es ist noch zu früh zu sagen, wie stark sich der durch Corona entstandene Trend langfristig auswirken wird. Den ÖV braucht es aber auch in Zukunft, das ist klar.

Konkrete Vorstellungen haben Sie offenbar beim Autoverkehr: Glaubt man einem Medienbericht, wollen Sie alle Autos aus den Innenstädten verdrängen. Wieso?
Das wurde falsch wiedergegeben. Vor allem auf dem Land brauchen die Leute das Auto weiterhin. Wir können Strasse und ÖV aber besser miteinander verbinden. Dann kann die Bevölkerung Auto und Zug einfacher miteinander kombinieren. Dafür benötigen wir attraktivere Umsteigemöglichkeiten. Dann kann man das Auto an einer Verkehrsdrehscheibe abstellen und bequem mit dem Tram in die Innenstadt fahren, ohne lange einen Parkplatz zu suchen. Darum geht es mir.

Aber das Auto ist ja nicht gerade das umweltfreundlichste Verkehrsmittel.
Immer mehr Leute kaufen ein Elektrofahrzeug. Fast jeder dritte Neuwagen, der 2020 gekauft worden ist, hat einen alternativen Antrieb. Das ist eine gute Nachricht fürs Klima.

Und hier sind die Lithium-Batterien der Elektroautos wiederum ein grosses Problem. In Südamerika, wo das Lithium abgebaut wird, belastet der Abbau das Ökosystem, und das benötigte Kobalt wird im Kongo oft von Kindern geschürft.
Ich beschäftige mich schon lange mit der Rohstoff-Thematik. Wir müssen auch bei der Elektromobilität daher genau hinschauen, etwa was das Recycling der Batterien angeht. Die Fachleute sind der Meinung, dass die Schweiz bei der Wiederverwertung eine führende Rolle spielen kann. Ich werde deshalb auch einen Akzent darauf setzen.

Und worauf noch?
Wir brauchen genug Ladeinfrastrukturen. Der Bund unterstützt deren Ausbau entlang der Nationalstrassen. Und mit dem CO2-Gesetz sorgen wir dafür, dass auch in Wohnquartieren mehr Ladestationen entstehen.

Für die Elektromobilität braucht es Strom. Und auch Wärmepumpen, mit denen wir Öl- und Gasheizungen ersetzen, benötigen diesen. Woher soll der Mehrbedarf kommen, wenn die Atomkraftwerke vom Netz gehen?
Dafür brauchen wir mehr einheimische erneuerbare Energie. Wir sind hier im Wasserkraftwerk Hagneck. Es ist ein gutes Beispiel dafür, dass es sich lohnt, die Wasserkraft zu stärken. Mit der Sanierung konnte die Produktion erhöht werden. Und wir haben bei der Fotovoltaik ein riesiges Potenzial – und zwar da, wo es keinen stört: auf Industriebauten, Flachdächern Parkhäusern oder Kläranlagen. Auch in vielen Siedlungen wird vermehrt grad vor Ort Strom für das Quartier produziert. Mit der Revision des Energiegesetzes will der Bundesrat der einheimischen erneuerbaren Energie zusätzlichen Schub verleihen. Diese Vorlage kommt im Frühsommer ins Parlament.

Und was macht der Hausbesitzer in der Altstadt? Hier kommt gleich der Denkmalschutz, wenn er eine Fotovoltaik-Anlage aufstellen will.
Es gibt viele brachliegende Flächen, wo ein Solarpanel niemanden stört. Wenn wir diese nutzen, haben wir schon viel erreicht. Wir wollen nicht geschützte Altstädte mit Fotovoltaik zudecken. Ausserdem macht die Technologie enorme Fortschritte. Heute gibt es Solarpanel, die wie Ziegel aussehen. Der Bundesrat hat sich kürzlich von einem Start-up informieren lassen, das an Fassaden Solaranlagen anbringt, die kaum mehr zu sehen sind. Das bringt uns vorwärts.

Das noch vorhandene Potenzial der Wasserkraft ist begrenzt. Hier in Hagneck konnte man mit dem Neubau des Kraftwerks die Leistung um …
… 40 Prozent erhöhen. Hagneck ist ein sehr gutes Beispiel. Hier geht es nicht um Wasserkraft oder Umweltschutz, sondern Hagneck zeigt: Wasserkraft und Umweltschutz kann man vereinbaren, das funktioniert. Wir befinden uns hier in einer Auenlandschaft von nationaler Bedeutung. Dazu kommt die Solarkraft. Zudem sind die Möglichkeiten beim einheimischen Windstrom noch nicht ausgeschöpft.

Weil es sehr schwierig ist, in der Schweiz Windräder aufzustellen.
Manche Projekte wurden in der Vergangenheit zu wenig zusammen mit der Bevölkerung aufgegleist. Beziehen wir sie früh genug ein, können wir die Windenergie vermehrt nutzen, es gibt ja auch schon viele positive Beispiele. Die Windenergie ist interessant, weil es sich hier auch um Winterstrom handelt. Er fällt dann an, wenn wir weniger Sonnenenergie nutzen können. Zudem haben wir noch die Biomasse, also zum Beispiel das Holz aus unseren Wäldern. Wir benötigen eine Kombination aus all dem Erneuerbaren. So sind wir vorbereitet für die Zeit ohne Atomkraftwerke.

Die AKW-Betreiber müssen ja in einen Fonds einzahlen. Das Bundesgericht hat den Bund hier zurückgebunden. Es gibt die grosse Sorge, dass die AKW-Betreiber zu wenig einzahlen. Und dass der Steuerzahler bluten muss, sobald ein Betreiber Konkurs geht.
Entscheidend dafür, wie viel Geld in diesen Fonds fliesst, sind insbesondere die Anlagerendite und Teuerungsrate. Diese werden vom Bundesrat festgelegt. Daran ändert der Bundesgerichtsentscheid nichts. Und er ändert auch nichts daran, dass wir dafür sorgen müssen, dass die Betreiber genug Geld fürs Abschalten der Atomkraftwerke und für die Entsorgung von belastetem Material einzahlen.

Es bestehen riesige Zweifel daran, dass der Gesetzesrahmen und die Massnahmen Ihres Departements ausreichen, um die Steuerzahler vor den AKW-Kosten zu schützen.
Ich verspreche Ihnen, wir schauen genau hin, denn auch ich will verhindern, dass plötzlich die Steuerzahler zur Kasse gebeten werden.

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