Gerüchte sind das Schmiermittel in der Politik. Mit Gossip werden in Bundesbern Geschäfte abgewürgt oder beschleunigt, Repräsentanten geschwächt und Kandidatinnen ausgeschaltet. Die Medien bedanken sich.
Im Moment beziehen sich auffällig viele Erzählungen auf Karin Keller-Sutter (61). Die Finanzministerin erlebt gerade, was es heisst, von der Jägerin zur Gejagten zu werden. Vor ihrem Präsidialjahr, das sich gerade dem Ende zuneigt, galt sie in der Bundespolitik und in ihrer eigenen Partei als unangefochtene Instanz. Blick bezeichnete sie 2023 als «Patin der FDP», und die politischen Gegner fütterten die Journalisten mit allerlei Stoff über den bürgerlichen «Viererblock» im Bundesrat, der, angeführt von ihr und SVP-Magistrat Albert Rösti (58), die Mitte-links-Minderheit im Bundesrat vor sich hertrieb. Mit historischer Ignoranz schrieben manche sogar von einer «Viererbande», obwohl dieser Begriff für eine Gruppe von Massenmördern unter dem chinesischen Herrscher Mao Zedong (1893–1976) stand.
Nonsens über ihren Ehemann
Vor Jahresfrist brachte der Machtblock um Keller-Sutter und Rösti Viola Amherd (63) dazu, als VBS-Chefin zurückzutreten. Heute, bei Ablauf von Keller-Sutters Präsidialjahr, ist von diesem Quartett nicht mehr die Rede.
Nun muss sich die freisinnige Magistratin mit abenteuerlichen Storys herumschlagen, wie etwa dem Nonsens, wonach ihr Ehemann sehnlichst daheim darauf warte, bis seine Gattin endlich, endlich für ihn ihr Amt aufgebe. Wessen Wunsch ist da der Vater des Gedankens?
Besonders pikant ist, dass es manche Exponenten der FDP sind, die intern subtil ihren Drang bekundeten, die St. Gallerin möge doch bitte bis spätestens zum Beginn des neuen Jahres zurücktreten. Das Kalkül: Damit könnte die Partei ihren Deutschschweizer Sitz retten, zumal bei einem Worst-Case-Szenario 2027 die Mitte dem Freisinn seinen zweiten Bundesratssitz wegschnappen würde und die Staatsgründerpartei nur noch mit dem Tessiner Ignazio Cassis (64) in der Regierung sässe. Anwärterinnen und Anwärter aus der Deutschschweiz gäbe es genug – von Ex-Parteichef Thierry Burkart (50) über die Schwyzer Ständerätin Petra Gössi (49) bis zu alt Nationalratspräsidentin Maja Riniker (47), Co-Parteichefin Susanne Vincenz-Stauffacher (58) oder Ständerat Damian Müller (41).
Die Zürcher entschärften die «Lex UBS»
Dem Vernehmen nach hat Keller-Sutter auf diese Intrigen alles andere als nach dem Drehbuch ihrer Widersacher reagiert. Und entschieden betont, dass sie selbstverständlich im Amt bleibe – im Auftrag der Bevölkerung und zum Wohle des Landes. «KKS» ist eben eine Politikerin, die bei Gegenwind grösser wird. Und nach so einem Jahr der Negativschlagzeilen zum Zollstreit die Bühne verlassen? Das ist nicht ihre Art.
Dass die Pharisäer in den eigenen Reihen hocken, ist in der Politik nichts Neues – für Keller-Sutter sind die Stolpersteine aber immer zahlreicher, die ihr von den eigenen Mitstreitern in den Weg gelegt werden. Richtig geärgert hat sie sich schon im vergangenen Frühling über die Zürcher Freisinnigen, die wesentlich mithalfen, die Too-big-to-Fail-Regulierung («Lex UBS») im Sinn der Grossbank zu entschärfen. Der Gipfel ereignete sich diese Woche, als sich die stockbürgerliche Zürcher Kantonsregierung auf die Seite der UBS stellte – der Wirtschaftskanton profitiert von seinem Finanzplatz, der Bund hingegen trägt die Risiken. Und die Bundesrätin schüttelt den Kopf.
Auch Freisinnige bremsten den Sparkurs
Ein anderes Prestigeprojekt der Finanzpolitikerin, das Entlastungspaket des Bundes, wurde durch die Interessenvertreter und Lobbyisten im Parlament bis zur Unkenntlichkeit entstellt – unter tatkräftiger Mithilfe einiger FDP-Vertreter, in erster Linie im Ständerat. Die Kürzung von 19 Millionen Steuerfranken für mediale Dinosaurier wie Swissinfo oder 3sat etwa wurde auch dank freisinniger Stimmen und Enthaltungen gestoppt. Ein anderes Beispiel ist der ominöse «Fonds für Regionalentwicklung», eine Kasse mit schön tönendem Zweck. Darin stecken eine Milliarde Franken, die gar nicht voll ausgegeben werden können, und doch sorgte eine Mehrheit dafür, dass der Bund hier weiter jährlich Millionen einspeist.
Dass die Etatisten von links und von der Mitte die Party crashten, überrascht nicht. Auch wenn es zum Teil dieselben Volksvertreter waren, die zuvor lauthals für mehr Armeeausgaben geweibelt hatten. Dass aber Exponenten der FDP bei diesem Festival der Partialinteressen mitmachen, Mitglieder einer Partei, die einst mit dem Slogan «Weniger Staat, mehr Freiheit» warb, muss der Herrin der Schuldenbremse sauer aufstossen. Der ordnungspolitische Wankelmut des Freisinns reiht sich in eine Serie von Herausforderungen für die Magistratin ein. Die Quittung kommt beim Budget 2027.
Sie bewundert Margaret Thatcher
Der Resonanzraum im eigenen Lager wird kleiner – auch deswegen, weil ihr Intimus Thierry Burkart die Funktion des Parteichefs abgegeben hat. Doch KKS ist zäh; in privaten Runden soll sie schon ihre Bewunderung für die legendäre konservative britische Premierministerin Margaret Thatcher (1925–2013) kundgetan haben. Die als «Eiserne Lady» in die Geschichtsbücher eingegangene Tory-Politikerin vollzog einen radikalen Liberalisierungskurs – und steckte die Anfeindungen von Freund und Feind mit unvergessener Abgeklärtheit weg.
Nun wird Keller-Sutter das Amt des Bundespräsidenten an Kollege Guy Parmelin (66) weiterreichen. Der Wirtschaftsminister befindet sich im Allzeithoch. Das war allerdings auch bei ihr der Fall, bevor sie ihr Präsidialjahr antrat. Sie hat genug Ausdauer, um auf ihren Moment zu warten. Gerüchte sind für sie Nebensache.