Ein Schweizer im Gaza-Einsatz
Georg Stein hilft, die Hamas zu entwaffnen

Georg Stein weiss, wie man eine Terrorgruppe wie die Hamas dazu bringt, ihre Gewehre abzugeben. Als einer von ganz wenigen weltweit. Gerade war der Basler Entwaffnungsspezialist für die Schweiz im Gaza-Einsatz. Uns erzählt er davon.
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Georg Stein ist Mediator beim EDA und als solcher Spezialist für Entwaffnung. Wir haben ihn im Bundeshaus West getroffen.
Foto: Samuel Schalch

Darum gehts

  • In Gaza arbeiten die Amerikaner zusammen mit internationalen Spezialisten am Friedensplan
  • Die Schweiz hat vier Spezialisten zur Unterstützung geschickt
  • Einer der Kernpunkte des Plans ist die Entwaffnung der Hamas
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Rebecca WyssRedaktorin SonntagsBlick

Erst sieht man ihn gar nicht. Im kargen Sitzungszimmer im Westflügel des Bundeshauses, wo das Aussendepartement (EDA) untergebracht ist, verschwindet er fast hinter der Tür. Er wartet ab, die Hände über dem Bauch zusammengefaltet, die Daumen gegeneinander gepresst. Georg Stein hat nicht um unseren Besuch gebeten, Rummel um seine Person mag er nicht. Das zeigt sich, noch bevor wir uns zum Gespräch an den Tisch setzen, als unser Fotograf ankündigt, ihn ablichten zu wollen. «Aha, bruuuchts das?», fragt er mit dem für Basler typischen Zäpfchen-R.

Georg Stein scheut die grosse Bühne. Er bewegt sich sonst in den Räumen hinter verschlossenen Türen. Da wird manchmal Geschichte geschrieben. So wie derzeit im Gaza-Konflikt in Israel. Deshalb trifft er sich mit uns. Er hat eingewilligt, von seinem letzten Einsatz zu erzählen – erstmals öffentlich.

Georg Stein ist Mediator und als solcher auch Spezialist für Entwaffnung beim EDA. Und einer von einer Handvoll von Experten, die die Schweiz nach Israel geschickt hat. Nach dem Waffenstillstand zwischen der Hamas und Israel vom 10. Oktober sollen sie die Friedensinitiative der Amerikaner unterstützen. Einen wie Stein können sie brauchen.

Nur wenige wissen, was er weiss

Der Mann mit dem unauffälligen Tweed-Sakko, der Hornbrille und dem Bart gehört zu einer raren Gattung. Nur rund ein Dutzend wie ihn gibt es weltweit: Stein weiss, wie man eine Entwaffnung von Gruppierungen wie der Hamas aufgleist, wie man sie durchführt, was es braucht, damit sie gelingen kann. Er hat es erfahren, viele Male, auch während seiner Einsätze, in Myanmar, in Kolumbien. Dort haben Schweizer Vermittler massgeblich dazu beigetragen, dass die Farc-Rebellen 2017 ihre Waffen abgaben. Darum geht es auch den Amerikanern; damit steht und fällt der Gaza-«Friedensplan» von US-Präsident Donald Trump: ob die Entwaffnung der Hamas gelingt. Es ist eines der Kernanliegen seines 20-Punkte-Plans. Eines der heikelsten.

Georg Stein hat nun mitgeholfen, diesen Schritt vorzubereiten. Gerade ist er aus Israel heimgekehrt. Fünf Wochen lang ist er jeden Morgen von seiner Unterkunft in der Hauptstadt Tel Aviv in Richtung Süden zur Stadt Kiryat Gat gefahren. Zum zivil-militärischen Koordinationszentrum (CMCC). Die Amerikaner haben die fünfstöckige Lagerhalle mit der Fläche eines halben Fussballfelds im Oktober zu einer Schaltzentrale umfunktioniert. Dort arbeiten nun zivile Spezialisten und Militärleute aus über 20 Ländern und 21 Organisationen auf Hochtouren. Sie tüfteln in Arbeitsgruppen an Fragen zur humanitären Hilfe, zum Wiederaufbau Gazas, zu dessen künftiger Regierung, zur Sicherheit. Stein hat Letzterer angehört. Nun sitzt er mit uns am Tisch, im kleinen Raum mit Blick auf die Bundeshauskuppel, und sagt mit ehrfürchtiger Stimme: «Die Atmosphäre dort hat mich sehr beeindruckt.»

Von morgens bis abends hielt er sich in der Lagerhalle des Koordinationszentrums auf, sah fast nur Neonröhrenlicht, kaum einen Sonnenstrahl. Und bewegte sich auch im Herzstück des Zentrums, ein grosser, offener Raum, vollgestellt mit grossen Monitoren und Schreibtischen, an denen Menschen mit Laptops sitzen. Über eine Grossleinwand flimmern Live-Updates aus Gaza, etwa Medienberichte zu Verletzungen des Waffenstillstands. Immer wieder trifft man sich laut Stein zu Meetings. Oder zu Gesprächen bei einem Kaffee, Small Talk ist selten. So viele Menschen auf einem Haufen, top fokussiert, und hochkonzentriert – «das habe ich selten in diesem Ausmass erlebt», sagt Stein und schüttelt ungläubig den Kopf. Kein Wunder, sie alle haben nur ein Ziel, nur dafür sind sie gekommen: die Umsetzung des 20-Punkte-Friedensplans von Trump.

Und man fragt sich, wie solche Leute nach der Arbeit entspannen. Trifft man sich auf ein Feierabendbier? Stein guckt belustigt. Nein, Bier habe es «ganz sicher nicht» gegeben. Dafür viel Kaffee.

Es geht um die Guten Dienste, ihr Standing

Die Schweiz gehört international zu den Langsamen, politische Entscheide brauchen viel Zeit. Ganz anders in der Gaza-Frage. Als klar wurde, dass die Amerikaner Unterstützung wollen, machte der Bund sofort vorwärts. Schaute eilig, welche Expertise man vor Ort braucht, wen er entsenden kann. Schickte als eines der ersten Länder seine Spezialisten ins Koordinationszentrum. Mit Kalkül. Er will Präsenz markieren. Simon Geissbühler, der Schweizer Botschafter in Israel, sagt: «Die Schweiz wollte mit ihrer Expertise früh sichtbar sein und so Einfluss nehmen.» Man wolle zeigen: Die Schweiz sei eine glaubwürdige Partnerin.

Wahr ist auch: Es geht ihr um ihr internationales Standing, um das ihrer Guten Dienste. In letzter Zeit hat dieses an Glanz eingebüsst. Im Gaza-Konflikt sind plötzlich Länder wie die Türkei oder Katar die gefragten Vermittler. Deshalb will die Schweiz sich jetzt einen Platz zurückerkämpfen.

Bislang tat sie dies mit vier zivilen Spezialisten, die sie ins Koordinationszentrum gesandt hat – für humanitäre Hilfe, humanitäres Völkerrecht und Entwaffnung. Weitere sollen folgen. Derzeit rekrutiert das EDA einen Minenräumungsexperten sowie eine Art Koordinator, jemanden, der über den Zivilbereich in Gaza den Überblick hat. Laut dem Schweizer Botschafter Geissbühler kommen die Schweizer Fachleute gut an. Er sagt: «Die Rückmeldungen der Generäle, der internationalen Organisationen und anderen Länder sind positiv.»

Und wie ist es für den Entwaffnungsspezialisten? Was reizte Georg Stein an diesem Einsatz?

«Es entspricht meiner Expertise, es ist mein Job», antwortet er so trocken, als wäre ihm die Frage völlig fremd. Seit 2002 arbeitet er beim EDA, betreute Friedensprogramme, unterstützt nun Mediationsverhandlungen in der Abteilung Frieden und Menschenrechte. Manchmal muss es schnell gehen. Innert 24 Stunden muss er seine Sachen packen und wird an einen Einsatzort geflogen. Und doch ja, es hat auch seinen Reiz, wie er auf nochmalige Nachfrage sagt: «Es ist immer wieder von Neuem spannend, in aufgeladene Kontexte hineinzugehen und zu schauen: Was ist möglich?»

Diskretion gehört zu seinem Job

Was in Israel möglich ist – darüber schweigt der Mann nun aber. Genauso darüber, wie man eine Hamas entwaffnen kann, was schwierig dabei ist, wie er die Terrorgruppierung einschätzt. Mit unseren Fragen laufen wir bei ihm auf. Wie kommt das? Stein lehnt sich im Stuhl nach vorne, zieht die Augenbrauen hoch und sagt: «Wir reden nicht über die Parteien und was sie von uns verlangen. Sie wollen, dass wir diskret sind.»

Und das passt ins Bild.

Seit Jahrzehnten vermittelt die Schweiz in Konflikten und Kriegen, über 20 sind es bis heute. Mediation gehört zu den Pfeilern der Aussenpolitik, ist in Form der Friedensförderung in der Bundesverfassung verankert. Doch an die Öffentlichkeit dringen kaum je Details – auch wegen der Vermittler selbst. Julian Hottinger, langjähriger EDA-Mediator und heute pensioniert, erklärte das einst dieser Zeitung.

Viele Mediatoren würden unter dem «Crowded solitude»-Phänomen leiden, auf Deutsch: belebte Einsamkeit. Man sei zwar immer unter Menschen, müsse aber dauernd aufpassen, was man sage. Jeder Satz könne neue Probleme kreieren oder einer Partei den Eindruck geben, dass man die andere bevorzugt. Deshalb komme man diesen Menschen selten wirklich nahe. «Weil sie an alles mit einer gewissen Distanz herantreten.»

Bei einer Entwaffnung ist Vertrauen der Schlüssel

Georg Stein ist distanziert, aber höflich. Er sagt, was er sagen kann. Er erklärt uns, wie eine Entwaffnung abläuft. «Das geschieht über Verhandlungen.» Und dafür braucht es Vertrauen. Am Anfang liegt das immer bei unter null. Die Vorbehalte der Konfliktparteien sind gross: Meint der andere es ernst? Stein sagt: «Zuerst muss man das Vertrauen aufbauen, Schritt für Schritt.» Auch in die eigene Person als Vermittler. Man muss zeigen, dass man erfahren ist – aber nicht besserwisserisch sein! Man darf keine Versprechungen machen, die man nicht halten kann. Schon gar nicht lügen. Und es braucht Respekt.

In Israel hat Stein an den Vorbereitungen für all das gearbeitet. Zu diesen gehören technische Fragen: Wer hat welche Waffen benutzt? Wo sind diese aktuell? Wie soll eine Gruppierung wie die Hamas diese abgeben und wo? Was geschieht nach der Abgabe mit diesen? Der grösste Knackpunkt: mit welchen Waffen genau die Konfliktparteien hantiert haben. Das legten sie ungern offen, sagt Stein. «Das kann gefährlich sein.» Vor allem später. Wenn jene, die die Entwaffnung auf dem Feld durchführen, nicht wissen, dass sie gerade unstabile Munition bewegen – und diese dann explodiert. Und das vielleicht zu einer Eskalation führt.

Offen bleibt aber, was all die Vorbereitungen derzeit bringen. Kritiker behaupten, die Hamas werde ihre Waffen nie abgeben. Wie beurteilt das Georg Stein? Nur einen Satz sagt er dazu: «Solche Verhandlungen brauchen Zeit.»

Trump muss nun endlich entscheiden

Und in diesem Fall Trumps Wille, den Friedensprozess in die nächste Phase überzuleiten. Noch gibt es keine international zusammengesetzte Stabilisierungstruppe. Und ohne sie ist eine Entwaffnung der Hamas illusorisch. Denn sie ist es, die diese auf dem Feld durchführen und überwachen soll. Seit Mitte November gibt es zwar eine Uno-Resolution dafür (das war die erste Hürde) – doch keinen offiziellen Auftrag, der die Pflichten und Rechte dieser Stabilisierungsgruppe festlegt. Dafür ist das Peace Board (Deutsch: Friedensgremium) zuständig, eine von Trump angeführte Gruppe – doch auch da: Sie steht noch nicht.

Am 29. Dezember fliegt nun Benjamin Netanyahu nach Florida zu Trump. Der Schweizer Botschafter Simon Geissbühler sagt: «Ich gehe davon aus, dass der Besuch Bewegung in die Sache bringt.»

Dann wird ein neues Kapitel aufgeschlagen. Vielleicht wird Georg Steins Expertise noch einmal gefragt sein. Doch damit rechnen kann die Schweiz nicht. Sie wird mit ihren Guten Diensten wieder schauen müssen, wo sie Platz findet.

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