Drohen jetzt US-Verhältnisse?
Allianz will das Gesundheitssystem umkrempeln

Im Berner Jura soll ein ganz neues Gesundheitssystem entstehen: Die Krankenkasse Visana, der Kanton Bern und eine Privatklinik-Gruppe spannen zusammen und wollen Gesundheitsleistungen aus einer Hand anbieten. Das wäre einmalig in der Schweiz.
Publiziert: 28.10.2022 um 18:00 Uhr
Sermîn Faki

Wenn eine Veranstaltung mit dem Schlagwort «Paradigmenwechsel» angekündigt wird, rät einem die Erfahrung zu Vorsicht. In diesem Fall aber ist es berechtigt: Die Krankenkasse Visana beteiligt sich am Spital Berner Jura der Aevis-Victoria-Gruppe. Das Spital heisst künftig «Réseau de l'Arc». So weit, so unspektakulär.

Doch die drei Partner – Visana, Aevis Victoria und der Kanton Bern – wollen nichts weniger als die Gesundheitsversorgung umkrempeln: Konkret werden den Bewohnern des Jurabogens künftig medizinische Dienstleistungen in Kombination mit einer Krankenversicherung angeboten.

Mitgliederbeitrag statt Prämie

Anstelle einer normalen Krankenkassenprämie zahlen die Mitglieder ihre Prämie an das Netzwerk «Réseau de l'Arc». Dieses verwaltet die Gelder und bezahlt daraus alle Kosten, die in den Kliniken und Praxen anfallen. Der Arzt wiederum rechnet nicht die einzelne Leistung ab, sondern bekommt eine Pauschale pro Patient. Eine Rechnung sieht der Versicherte nicht mehr. Das System soll 2024 eingeführt werden.

Alle Gesundheitsleistungen aus einer Hand – das versprechen Antoine Hubert vom Swiss Medical Network, der Berner Regierungsrat Pierre Alain Schnegg und Lorenz Hess, Verwaltungsratspräsident der Visana.
Foto: keystone-sda.ch
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Zum Spital Berner Jura gehören die Spitäler von Moutier und Saint-Imier, der psychiatrische Stützpunkt mit der Klinik Bellelay sowie das Medizentrum in Tavannes. Ausserdem hält das Spital Beteiligungen am Medizentrum in Moutier, an der interjurassischen Zentralapotheke, am Röntgeninstitut des Berner Jura sowie am Radio-Onkologie-Zentrum Biel-Seeland-Berner Jura. Und «Réseau de l'Arc» will sein Angebot schrittweise ausbauen, beispielsweise in der ambulanten Pflege und der Altenpflege.

Vorbild USA

Das neue Geschäftsmodell hat sein Vorbild in den USA. Der 1945 gegründete Gesundheitskonzern Kaiser Permanente betreibt 39 Krankenhäuser und mehr als 700 Arztpraxen mit über 300'000 Mitarbeitern, darunter mehr als 87'000 Ärzte und Krankenschwestern. Zu diesem riesigen medizinischen Angebot hat Zugang, wer bei der Kaiser-Krankenversicherung versichert ist – und das sind 12,5 Millionen Menschen in den USA.

Dieses sogenannte Managed-Care-Angebot soll alle Beteiligten, einschliesslich der Versicherten, zu verantwortungsvollem Handeln motivieren – und damit Kosten sparen. Durch die Pauschale pro Patient würden Anreize zu unnötigen Behandlungen wegfallen, was zu mehr Effizienz und tieferen Kosten führe.

«System stösst an Grenzen»

Das erhofft man sich auch in der Schweiz. Der Berner Regierungsrat Pierre Alain Schnegg (59) betonte an der Medienkonferenz, dass die steigenden Prämien ein Zeichen dafür seien, dass etwas nicht stimme: «Das aktuelle System stösst an seine Grenzen, es ist an der Zeit, es zu erneuern.»

Mitte-Nationalrat Lorenz Hess (61), Verwaltungsratspräsident der Visana, zeigte sich überzeugt, dass man erstmals den Beweis antreten werde, «dass die Kostenstrukturen mit einem integrierten Versorgungsmodell nachhaltig gesenkt werden können». Im Ausland habe man 30 Prozent der Kosten eingespart – vor allem auch, weil Prävention grossgeschrieben werde. Ziel sei, dass die Mitglieder erst gar nicht krank würden.

Kaiser steht aber auch immer wieder in der Kritik – sei es, dass die Angestellten wegen zu schlechter Bedingungen streiken oder dass Patienten zu früh entlassen werden.

Bund gibt sich zurückhaltend

Ob das Modell wie geplant in Kraft treten kann, steht allerdings noch in den Sternen. Denn zunächst muss es vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) genehmigt werden. Und dafür muss sichergestellt sein, dass es nicht gegen das Krankenversicherungsgesetz verstösst.

Der Bund gibt sich zurückhaltend. Neue Ansätze zur Kostendämpfung sind grundsätzlich zu begrüssen, heisst es vom BAG. Das Modell könne aber noch nicht beurteilt werden. «Das BAG wird das Modell prüfen, sobald die Visana uns dieses unterbreitet», so ein Sprecher.

Viele offene Fragen

Zudem gibt es noch Tausende offene Fragen: Kann jemand, der bei «Réseau de l'Arc» versichert ist, auch Ärzte ausserhalb des Netzwerkes aufsuchen? Hat man Zugang zu Spezialisten, wenn diese nicht mit dem Netzwerk kooperieren? Kann man in ein anderes Spital? Was ist mit ausserkantonalen Patienten?

Wie Visana-Präsident Hess sagt, werde man all diese Fragen mit dem BAG anschauen. Sicher sei aber, dass auch, wer nicht Mitglied des Reseau-Netzwerkes sei, im Spital Moutier behandelt werden könne. Es wird also nicht exklusiv für Mitglieder sein.

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