Darum gehts
- Autobahn-AG NSNW zeigt radikale Offenheit: Transparente Löhne und moderne Bewerbungsprozesse
- Kein Motivationsschreiben erforderlich, Duzen vom Lehrling bis zum Kaderjob
- Lohnschere: Höchster Lohn maximal viermal so hoch wie der tiefste
Ein Betrieb, der auf Formalitäten pfeift? Ein Arbeitgeber, der den Lohn für jeden Job nennt? Ein Chef, der keine Motivationsschreiben will? Was eher nach Start-up tönt, ist bei einem staatsnahen Unternehmen Realität: bei der NSNW AG.
Der Name steht für Nationalstrassen Nordwestschweiz. Das Unternehmen mit seinen rund 220 Mitarbeitenden betreibt und unterhält im Auftrag des Bundes das Autobahnnetz in der Region. Es gehört den Kantonen Aargau, Basel-Landschaft und Solothurn. Eigentlich ein recht klassischer Staatsbetrieb. Doch in den vergangenen Jahren hat die NSNW einen «radikalen Kulturwandel» vollzogen, wie es die Verantwortlichen selbst nennen – ein seltener Schritt in diesem Sektor.
«Transparenz ist für uns ein Segen»
«Radikal offen», so lautet die Devise. Angefangen bei der Lohntransparenz: Während die EU dafür nun Vorschriften macht, sind vergleichbare Vorstösse in der Schweiz gescheitert. Nur wenige Privatunternehmen legen die Löhne offen. Und beim Staat sind die Lohnklassen zwar einsehbar, doch wie eine Stelle letztlich eingestuft ist, bleibt für Interessenten meist unklar.
Anders die NSNW. Sie macht die Löhne schon in der Ausschreibung publik – vor fünf Jahren hat der Betrieb damit angefangen. Welche Bilanz zieht er heute? «Die Transparenz ist für uns ein Segen. Wer es durchzieht, kann nur profitieren», sagt NSNW-Geschäftsführer Werner Dähler (56) zu Blick. Er betont, dass es auch um Glaubwürdigkeit gehe – gerade bei einem Unternehmen, das wesentlich von Steuergeld lebt.
In der Praxis heisst das: Ein Fachspezialist Automation bekommt einen Einstiegslohn zwischen 80'000 und 96'000 Franken. Und für einen Applikationsmanager gibt es zwischen 95'000 und 110'000 Franken.
Kürzlich suchte die Autobahn-AG eine neue Personalleitung. Auch hier gabs Transparenz beim Lohn: 95'000 bis 130'000 Franken pro Jahr – «je nachdem, wie prall dein Rucksack bereits gefüllt ist», hiess es in der Ausschreibung. Und selbst für diesen Kaderposten war kein Motivationsschreiben gefragt.
Offenlegung des eigenen Lohns kein Tabu
Zugleich auferlegt sich der Betrieb, obwohl als privatrechtliche Aktiengesellschaft organisiert, eine fixe Lohnschere. Wer fest angestellt ist und eine Berufslehre abgeschlossen hat, verdient brutto mindestens 5000 Franken pro Monat. Der höchste Lohn soll höchstens viermal so hoch sein wie der tiefste. Jede und jeder könne nachvollziehen, wo er innerhalb eines Lohnbands eingestuft sei, so Dähler, und die Offenlegung der individuellen Löhne untereinander sei kein Tabu mehr.
Die Transparenz habe handfeste Vorteile in der Rekrutierung, sagt Dähler. «Alle wissen von Anfang an, was Sache ist. So gibt es im Bewerbungsprozess keine Enttäuschungen. Wer ganz andere Vorstellungen hat, bewirbt sich erst gar nicht.» Während andere Betriebe über fehlende Fachkräfte klagen, bezeichnet Dähler die Lage bei der NSNW als «anspruchsvoll, aber stabil».
Auch technische Stellen könnten meist innerhalb weniger Wochen besetzt werden. Bemerkenswert: Jede dritte Stelle werde heute über persönliche Empfehlungen aus dem Team vergeben. «Das funktioniert wie eine Community», sagt Dähler.
«Ein alter Zopf mit Floskeln»
Die offenen Löhne sind nur ein Teil des Kulturwandels. Auch in der Kommunikation geht die NSNW andere Wege: Der Webauftritt funktioniert weniger wie eine Verlautbarungsstelle, sondern wie eine einzige Personalplattform. Es gilt: kein Blabla. «Die Arbeit an und auf der Autobahn ist kein Zuckerschlecken», heisst es da etwa. Aber ebenso: «Bei uns kannst Du auch ohne den Einsatz der Ellenbogen weiterkommen.»
Schon mit Bewerberinnen und Bewerbern ist der Betrieb per Du – vom Lehrling bis zum Kaderjob. Formalitäten im Bewerbungsverfahren wurden nach und nach abgeschafft. «Das Motivationsschreiben ist ein alter Zopf mit Floskeln», sagt Dähler. «Was zählt, sind der Rucksack mit den bisherigen Erfahrungen, die Motivation und das persönliche Gespräch.»
Man wolle es unkompliziert, sagt Dähler. Und das zahle sich aus: «Dadurch erhalten wir auch mehr Blindbewerbungen.» Die NSNW baut gezielt einen «Fan-Pool» auf – eine Sammlung abgelehnter Bewerber, die sich einverstanden erklärt haben, bei passenden Jobs kontaktiert zu werden.
Damit die Strategie aufgeht, brauche es aber mehr. «Solche Massnahmen bleiben Worthülsen, wenn die Betriebskultur nicht stimmt», sagt Dähler. Weiterbildung werde aktiv gefördert, interne Karrieren seien erwünscht. Seit 2019 habe man rund 20 Kaderstellen besetzt, 90 Prozent davon intern. Wer dennoch den Betrieb verlasse, werde systematisch befragt. «Wir investieren einiges, um zu verstehen, warum jemand geht», sagt Dähler. «Nur so können wir uns verbessern.»
Dazu gehört schliesslich ein offener Umgang mit Fehlern. Schon gegenüber Bewerbern macht die NSNW keinen Hehl daraus, dass sich der Betrieb im Wandel befindet und es hin und wieder knorzt. So wird den Interessenten mitgeteilt: «Bei diesen Veränderungen läuft noch nicht alles rund, und manche Mitarbeitende sind über diese Entwicklung nicht glücklich.»