Desinteressierte Volksvertreter
Nur fünf Parlamentarier wollen EU-Verträge sehen

Wochenlang haben sich Parlamentarier über die Geheimniskrämerei um die EU-Verträge genervt. Nun ist der Bundesrat eingeknickt – aber es haben sich nur eine Handvoll Parlamentsmitglieder für die Einsicht angemeldet.
Publiziert: 10:26 Uhr
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Aktualisiert: 10:45 Uhr
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Am Mittwoch hat der Bundesrat beschlossen, dass alle Parlamentsmitglieder Einsicht in die EU-Verträge erhalten. Bild: Aussenminister Ignazio Cassis.
Foto: keystone-sda.ch

Darum gehts

  • Parlamentarier erhalten Einsicht in geheime EU-Verträge nach Streit mit Bundesrat
  • Nur fünf Parlamentsmitglieder haben sich bisher für Vertragseinsicht angemeldet
  • Jans definiert Schutzklausel zur Begrenzung der EU-Einwanderung
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Céline ZahnoRedaktorin Politik

Mit viel Lärm haben Parlamentarier und Parlamentarierinnen um Einsicht in die geheimen EU-Verträge gekämpft. Und hatten Erfolg: Der Bundesrat hat dem Druck am Mittwoch nachgegeben und beschlossen, dass alle Parlamentsmitglieder die Vertragstexte einsehen dürfen.

Damit setzt Aussenminister Ignazio Cassis (64) langen Streitereien ein Ende. Denn einige ausgewählte Parlamentarier konnten die bislang streng geheimen Dokumente schon vorher ansehen. Das sorgte für öffentliche Diskussionen, woraufhin das Aussendepartement (EDA) entschied, dass jeweils zwei Mitglieder pro Fraktion die Verträge sehen dürfen.

Aber das stiess wiederum den Aussenpolitikern des Nationalrats sauer auf. Sie schickten sogar einen Protestbrief an Cassis und forderten Einsicht für alle Parlamentarier. Und SVP-Nationalrat Alfred Heer (63, ZH) kündigte an, das ungewöhnliche Vorgehen in der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats zu thematisieren.

Gleichgültige Parlamentarier?

Ein regelrechtes Hickhack! Es stellt sich nun aber vor allem um viel Lärm um nichts heraus: Stand Freitag haben sich lediglich fünf Parlamentsmitglieder für die Einsicht in die Verträge angemeldet, wie das EDA auf Anfrage schreibt. Von einem «ausserordentlichen parlamentarischen Interesse», dem der Bundesrat mit dem Schritt Rechnung tragen wolle, kann also kaum die Rede sein.

Sind unseren Volksvertreter die Vertragsdetails gleichgültig? FDP-Nationalrat Simon Michel (48, SO) hat sich jedenfalls nur Minuten nach der Einladung für einen Termin gemeldet, wie er zu Blick sagt.

Andere Politiker und Politikerinnen dürften sich wohl noch bis Juni gedulden wollen, wenn die Verträge sowieso öffentlich werden. Dann haben sie auch Zeit, den rund 800-seitigen-Wälzer mit der Sorgfältigkeit zu studieren, der ihm gebührt. Während der vorgezogenen Einsicht dürfen sie nämlich nur für eine beschränkte Zeit durch das Vertragswerk blättern. Handschriftliche Notizen sind erlaubt, Fotos nicht.

Knackpunkt Schutzklausel

So oder so: Auch nach der Veröffentlichung werden viele wichtige Fragen weiterhin offenbleiben. Einer der wichtigsten Knackpunkte ist die Zuwanderung. Die Übereinkunft mit Brüssel regelt hier nur die Grundsätze, alles Weitere muss durch innenpolitische Arbeit geregelt werden.

Und die hat gerade erst begonnen. Am Mittwoch hat Bundesrat Beat Jans (60) erklärt, wie die Schutzklausel zur Begrenzung der EU-Einwanderung funktionieren soll. Neu kann der Bund die Schutzklausel einseitig aktivieren, wenn die EU-Zuwanderung in der Schweiz zu «schwerwiegenden wirtschaftlichen oder sozialen Problemen» führt.

Liechtensteins Erfahrung

Die SVP sieht in der Klausel zwar vor allem ein «Ablenkungsmanöver». Eine Aktivierung wäre aber in der EU keine Premiere. Als Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) hat Liechtenstein ebenfalls eine Schutzklausel.

1999 hat das Ländle die Klausel aktiviert, da eine Übergangsfrist für ein eingeschränktes Niederlassungsrecht ausgelaufen war. Der Kleinstaat wollte damit verhindern, dass die Einwanderung während der Verhandlung um eine Verlängerung stark zunimmt. Georges Baur war als stellvertretender Chef der Mission Liechtenstein viele Jahre in Brüssel. «Die EU war nicht begeistert, hat aber letztlich nichts gemacht», sagt Baur.

Baur traut dem Bundesrat zu, dass auch er die Schutzklausel aktivieren würde. Die Klausel gebe der Schweiz einen grossen Handlungsspielraum. «Ich habe der Schweiz zugetraut, dass sie gut verhandelt, das Ergebnis ist nun aber besser als erwartet», sagt Baur. Leichtfertig werde die Klausel aber sicher nicht ausgerufen. «Der Bundesrat weiss, dass er dazu einen guten Fall braucht.»

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