Beschränkte Einsicht in EU-Verträge sorgt für Unmut
Cassis droht eine GPK-Untersuchung

Die Vertragsentwürfe zum neuen EU-Deal sind noch geheim. Ein ausgesuchter Kreis bekommt nun aber Einblick. In Bundesbern sorgt das für Kopfschütteln – sogar die Kontrollbehörde des Parlaments wird aktiv.
Publiziert: 00:01 Uhr
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Aktualisiert: 08:39 Uhr
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EDA-Staatssekretär Alexandre Fasel (r.) hat die Parteispitzen zur exklusiven Einsichtnahme eingeladen.
Foto: keystone-sda.ch

Darum gehts

  • Neuer EU-Deal: Geheimhaltung und exklusive Einsichtnahme für ausgewählte Personen
  • Parlamentarier kritisieren selektive Einsichtnahme und fordern Untersuchung
  • EU-Verträge sollen im Juni zur Vernehmlassung veröffentlicht werden
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Céline ZahnoRedaktorin Politik

Ein spezielles Büro sorgte vergangene Woche für viel Gesprächsstoff in Bundesbern. Im Aussendepartement (EDA) von Ignazio Cassis (64) wurde ein sogenannter Reading-Room eingerichtet – unter strengen Bedingungen sollen Parlamentarier dort Einsicht in die geheimen EU-Verträge erhalten. Handys müssen draussen bleiben und Notizen sind nur handschriftlich erlaubt.

Das EDA wollte mit diesem Manöver für Ruhe unter der Bundeshauskuppel sorgen. Unter den Parteien gab es nämlich Stunk: Obwohl die Vertragstexte noch unter Verschluss waren, hatte man in Bundesbern mitbekommen, dass ausgesuchte Personen trotzdem schon Zugang erhalten hatten. Darunter: Mitte-Ständerat Benedikt Würth (57, SG), der ein Mitglied des Sounding Boards begleiten konnte. Darin sind verschiedene Organisationen vertreten, die dem Bundesrat quasi als Feedback-Gremium zum EU-Prozess dienen.

Um die Ungleichbehandlung auszumerzen, schickte der zuständige EDA-Staatssekretär Alexandre Fasel (64) den Parteispitzen eine exklusive Einladung: Je zwei Parlamentarier pro Partei dürfen die Textentwürfe zum EU-Abkommen im Reading-Room anschauen. Aber von wegen Beruhigungspille! Das ungewöhnliche Vorgehen löste im Parlament noch mehr Unmut aus – und wird nun sogar Thema in der Geschäftsprüfungskommission (GPK) des Nationalrats. Das Gremium hat die Aufgabe, dem Bundesrat und der Verwaltung auf die Finger zu schauen.

«Scheingrüppli» und Protestbrief

«Der Bundesrat kann nicht einfach ein Scheingrüppli bilden, das im Parlamentsgesetz gar nicht so vorgesehen ist», sagt SVP-Nationalrat und GPK-Mitglied Alfred Heer (63, ZH). Die Zusammenarbeit des Parlaments mit der Regierung sei klar geregelt. In diesem Fall gehörten die Verträge in die Aussenpolitische Kommission (APK) und müssten dort sauber behandelt werden. «Wenn man jetzt ein neues, selektives Verfahren einführt, kann man die Kommissionen auch gleich abschaffen», so Heer. «Ich will abklären, ob das Vorgehen des EDA rechtmässig ist.» Er werde deswegen in der nächsten Sitzung der GPK einen Antrag zur Untersuchung stellen.

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Tatsächlich haben sich die Aussenpolitiker des Nationalrats, die eigentlich für die EU-Verträge zuständig sind, zuvor mit einem scharfen Brief an den Bundesrat gewandt, wie die Tamedia-Zeitungen berichteten. «Vorgezogene selektive Einsichtmöglichkeiten für einzelne Ratsmitglieder» seien zu unterlassen, heisst es im Schreiben. Entweder müssten alle Einsicht haben – oder niemand.

Das Vorgehen sorgt über die Parteigrenzen hinweg für Unverständnis. SP-Nationalrätin Gabriela Suter (52, AG) ist ebenfalls Mitglied der GPK. «Es ist wichtig, den Bundesrat darauf aufmerksam zu machen, wie der Prozess eigentlich laufen sollte», sagt sie. Falls der Bundesrat nach dem Schreiben der APK nicht einlenke, fände sie es richtig, das Vorgehen des EDA in der GPK zu untersuchen.

Das EDA sagt, es habe den Brief der Aussenpolitiker zur Kenntnis genommen. Eine Antwort zuhanden der Kommission werde vorbereitet.

Umstrittener Bundesratsentscheid

Dass sich im Parlament ausgerechnet diese Woche Widerstand formiert, ist für Aussenminister Ignazio Cassis denkbar ungünstig. Am Mittwoch fällte der Bundesrat einen Entscheid mit Sprengkraft: Über die neuen EU-Verträge solle nur das Stimmvolk befinden. Ein Ständemehr sei nicht nötig. Die Frage ist entscheidend für das Schicksal der Verträge. Dass es zu einer Volksabstimmung kommt, ist klar. Allerdings ist ein Ja zu den Verträgen deutlich wahrscheinlicher, wenn es dafür nur das Volksmehr und nicht zusätzlich auch das Ständemehr braucht. Das letzte Wort in der Frage hat das Parlament.

Der Entscheid ist politisch umstritten – dass er für Aufruhr sorgt, war absehbar. Das ist nun umso mehr der Fall, als sich die Parteien über die Geheimniskrämerei im Aussendepartement enervieren. Erst im Juni, mit Beginn der Vernehmlassung, sollen die Verträge veröffentlicht werden.

«Die Parteien können zu diesem Entscheid kaum Stellung nehmen, wenn sie die Verträge nicht gesehen haben», sagt etwa Alfred Heer. Auch die selektive Einsichtnahme würde da kaum Abhilfe schaffen – die 1800 Seiten Verträge und Regulierungen könnten in einer einmaligen Einsichtnahme gar nicht seriös geprüft werden.

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