Darum gehts
- Das AKW Gösgen liefert seit Mai keinen Strom mehr – Stillstand bis Februar 2026
- Ein entdeckter Sicherheitsmangel besteht seit der Inbetriebnahme 1979
- Die Kosten für gedämpfte Rückschlagklappen liegen im einstelligen Millionenbereich
Seit Ende Mai produziert das Atomkraftwerk Gösgen keinen Strom mehr – und bleibt voraussichtlich bis Februar 2026 vom Netz. Bei der Jahresrevision traten Mängel im AKW auf Solothurner Boden zutage. Brisant ist: Die Schwachstelle besteht bereits seit der Inbetriebnahme 1979, wie nun klar wurde.
Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) machte dies am 12. September publik – allerdings in einer Mitteilung voller technischer Fachbegriffe, die für die breite Öffentlichkeit kaum verständlich sind. Vereinfacht gesagt betrifft das Problem die Speisewasserleitungen: Sie führen das Wasser vom Kondensator zurück in den Dampferzeuger und sind entscheidend für die Kühlung des Reaktors. In diesem Kreislauf gibt es ein potenzielles Sicherheitsrisiko.
In einem bestimmten Szenario ist Kühlung nicht gewährleistet
Damit ein Kernkraftwerk sicher betrieben werden kann, muss es so konstruiert sein, dass der Bruch einer Wasserleitung keine Gefahr darstellt. Dafür sorgen Rückschlagklappen, die im Notfall automatisch schliessen. Hier liegt jedoch der Sicherheitsmangel in Gösgen: Schnappen die Klappen abrupt zu, entsteht ein Druckstoss, der die Rohrhalterungen stark belastet. Im schlimmsten Fall könnte dadurch die Kühlung des Reaktors «infrage gestellt» werden, wie das Ensi warnt.
Für die Behebung des Problems gibt es zwei Optionen: Entweder werden die Rohrhalterungen verstärkt, sodass sie dem Druck standhalten, oder es werden gedämpfte Rückschlagklappen installiert, die den Stoss abfangen. Welche Lösung gewählt wird, ist laut dem Kernkraftwerkbetreiber noch offen. Die Kosten für gedämpfte Klappen samt Einbau lägen im einstelligen Millionenbereich.
Der Sicherheitsmangel besteht seit 1979
Das Problem mit den Rückschlagklappen besteht seit der Inbetriebnahme. Schon Ende der 1990er-Jahre zeigte eine Sicherheitsprüfung, «dass im Unterschied zu anderen Anlagen desselben Lieferanten im KKW Gösgen keine gedämpften Rückschlagklappen verwendet werden», heisst es. Gösgen musste damals nachweisen, dass diese nicht nötig sind. Die damaligen Berechnungen kamen zum Schluss, dass eine Verstärkung der Wasserleitungen genüge.
Neue Erkenntnisse gab es dank einem Nachrüstungsprojekt: Eigentlich sollten die bisherigen Rückschlagklappen ersetzt werden. Doch umgesetzt wurde dies nie – denn «die Untersuchungen zeigten, dass es im ‹Lastfall Rohrbruch einer Speiswasserrohrleitung› zu deutlichen Überlastungen kommen kann».
Gösgen meldete die Schwachstelle im März der Atomaufsicht. Vom Netz genommen wurde das Werk jedoch erst im Mai. Laut einem Sprecher der zuständigen Kernkraftwerks Gösgen-Däniken AG waren im März die Kriterien für eine vorläufige Ausserbetriebnahme noch nicht erfüllt.
«Die nukleare Sicherheit ist sehr relativ»
Die wiederentdeckte Schwachstelle ist nach Einschätzung von Greenpeace Schweiz «sehr problematisch». Denn Störfälle dieser Art müssten laut Gesetz beherrscht werden. Würde im schlimmsten Fall die Kühlung unterbrochen, könnte es zur Freisetzung radioaktiver Stoffe kommen.
«Es ist bedenklich, dass eine gravierende Sicherheitslücke so lange bestehen konnte. Es muss geklärt werden, warum Gösgen erst 2025 einen Ersatz der fraglichen Komponenten plant, obwohl die Schwachstellen seit Jahrzehnten bekannt sind», sagt Florian Kasser von Greenpeace zu Blick.
Zudem lege die Situation nahe, dass in Schweizer Atomkraftwerken weitere Sicherheitsmängel existieren könnten, die bislang unentdeckt blieben. «Es wird nur überwacht, was bekannt ist. Die nukleare Sicherheit ist also sehr relativ», so Kassers Fazit.
Die Behörden weisen dies zurück. Auf Anfrage von Blick erklärt das Nuklearsicherheitsinspektorat Ensi, bei den Kernkraftwerken Beznau I, Beznau II und Leibstadt bestünden «systemtechnische Unterschiede». Der Fall Gösgen sei für diese Anlagen daher nicht relevant.
Für Gösgen gilt nun: Die Sicherheitslücke muss so schnell wie möglich behoben werden. Bis dahin bleibt das Werk vom Netz. «Erst wenn das Ensi die Sicherheitsnachweise akzeptiert und die Freigabe erteilt hat, darf das Kernkraftwerk wieder anfahren», heisst es. Der Betreiber rechnet weiterhin damit, Ende Februar 2026 den Betrieb wieder aufzunehmen.