Berüchtigter «Verzugsschaden»
Nationalrat will umstrittene Inkassogebühren absegnen

Ein Vorstoss aus der Mitte soll bewirken, dass Inkassospesen «gedeckelt» werden. Warum das nicht sinnvoll ist.
Publiziert: 17.09.2024 um 16:55 Uhr
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Aktualisiert: 17.09.2024 um 17:06 Uhr
Der sogenannte Verzugsschaden beim Inkasso ist umstritten.
Foto: imago images/CHROMORANGE
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Julia Gubler
Beobachter

Eine Kundin hat eine Tasche bestellt, aber nie bezahlt: In solchen Fällen heuern Firmen regelmässig Inkassobüros an, um die offene Rechnung einzutreiben. Neben dem Preis für die Tasche verlangen die Geldeintreiber zusätzliche Beträge für Adressverifikationen, Bonitätsprüfungen – und einen sogenannten Verzugsschaden. Oft ist der Betrag so hoch, dass man sich damit zwei Taschen kaufen könnte.

Eine Motion von Mitte-Nationalrat Vincent Maitre (43) verlangt, dass die aufgeblähten Spesen gedeckelt werden. Sie sollen sich prozentual nach der Höhe der Forderung richten. Bei einer Tasche, die weniger als hundert Franken kostet, dürften Inkassobüros maximal Spesen von 100 bis 300 Franken verlangen. 

Der Nationalrat hat die Motion mit einem klaren Mehr angenommen – nun muss der Ständerat noch darüber befinden.

Was ist wirklich geschuldet?

Auch das Beobachter-Beratungszentrum erhält täglich Anfragen zu Inkassospesen. Für die Beraterinnen und Berater ist klar: Man schuldet grundsätzlich nur die Hauptforderung, fünf Prozent Verzugszins pro Jahr und Mahnspesen – falls es dafür eine genügende vertragliche Grundlage gibt. Die restlichen Spesen und den Verzugsschaden sollte man abziehen, nicht bezahlen und bestreiten.

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Den sogenannten Verzugsschaden begründen die Inkassobüros mit dem Artikel 106 Obligationenrecht. Dabei vergessen sie aber meistens die zentralen Voraussetzungen des Artikels. Unter anderem muss der Gläubiger einen eigenen, effektiv entstandenen Schaden beweisen. Und: Der muss höher sein als der Betrag, der schon mit dem gesetzlichen oder vertraglichen Verzugszins abgedeckt ist.

Einige Juristinnen und Juristen sind der Meinung, dass man die Kosten für ein Inkassobüro per se nicht auf den Schuldner überwälzen kann. 

Pauschale Spesen sind rechtlich nicht haltbar

Die Krux bei der Mitte-Motion ist nun: Pauschale Spesen, die prozentual abhängig von der Forderungshöhe sind, sind Humbug – denn damit ist kein konkreter Schaden bewiesen, der dem Gläubiger entstanden ist. Und: Spesen, die nicht geschuldet sind, muss niemand zahlen. Darum ist es auch unnötig und absurd, sie in der Höhe zu begrenzen. 

Mehr noch: Wenn Maximalbeträge eingeführt werden – wie der Nationalrat es will –, heisst das auch, dass die Forderung grundsätzlich berechtigt ist. 

Deshalb beantragt auch Justizminister Beat Jans (60), die Motion abzulehnen. Wenn mit gesetzlichen Bestimmungen nicht geschuldete Gebühren begrenzt würden, wären sie damit legitimiert, so Jans. Der Bundesrat sagt in seiner Stellungnahme, das Anliegen der Motion sei nicht zielführend und widersprüchlich.

«Zum grossen Teil keine rechtliche Grundlage»

«Ein sehr grosser Anteil dieser Gebühren entbehrt jeder rechtlichen Grundlage», sagt auch Arnold Rusch. Er ist Anwalt, hat diverse Fachartikel zum Thema publiziert und gilt als Experte auf diesem Gebiet. Eine Regelung sei darum nicht nötig.

Eine Deckelung wiederum gaukle vor, dass die Verzugszinsen bis zu dieser Höhe tatsächlich bestehen. Nach der Deckelung liege die Argumentation auf der Hand, dass die Deckelung nur dann einen Sinn ergebe, wenn die Kosten tatsächlich existieren.

Ein bekanntes Muster

Dieses Muster habe man bei den Auflösegebühren für Konten beobachten können, sagt Rusch: «Eine Kontoauflösungsgebühr gibt es nicht. Dennoch sagt die Preisbekanntgabeverordnung, dass man solche Gebühren offenlegen müsse. Prompt behaupten Autoren, dass diese Offenlegungspflicht zeige, dass diese Kosten tatsächlich geschuldet seien.»

Wenn man tatsächlich etwas gegen Inkassogebühren unternehmen wollte, wäre es gemäss Rusch sinnvoll, bei Gerichten gute Leitentscheide zu erstreiten. «Hilfreich wäre auch, wenn Konsumentenorganisationen in konkreten Prozessen den Konsumentinnen und Konsumenten beistehen oder selber den Kampf gegen missbräuchliche Allgemeine Geschäftsbestimmungen führen würden.»

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