Mysteriöse Wunderheilungen
Sechs Millionen suchen hier jährlich die Wunderheilung

Genesungen, für die die Schulmedizin keine Erklärung hat: Ein Dok von Filmemacher Simon Christen sucht Antworten.
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Simon Christen geht in neuem Dok mysteriösen Wunderheilungen auf den Grund.
Foto: SRF

Darum gehts

  • Unerklärliche Heilungen: Seltene Fälle von Genesung ohne medizinische Erklärung
  • Filmemacher Simon Christen untersucht drei Fälle von unerwarteter Heilung
  • Lourdes: 72 anerkannte Wunder, bis zu 6 Millionen Gläubige jährlich
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
Miriam Zollinger
Tele

Nach Jahren im Rollstuhl wieder gehen können, Krebs im Endstadium, der plötzlich verschwindet – solch unerwartet positive Krankheitsverläufe sind selten. «So selten, dass ich keine Logik dahinter erkennen kann», sagt Filmemacher Simon Christen, «aber sie kommen vor und sind darum auch ausgesprochen interessant.» Anstoss zu seinem Dok über unerklärliche Heilungen gab die Frau eines Freundes. Der Krebs hatte gestreut, ein hoffnungsloser Fall. «Wider alle Wahrscheinlichkeit gilt sie heute aber als geheilt.» Das weckte sein Interesse an Genesungen, die die Schulmedizin nicht erklären kann.

Christen hat drei vormalig «unheilbare» Patientinnen besucht. «Sie stehen gleichzeitig auch für drei verschiedene Zugänge zum Thema.» Esther Rathgebs Diagnose: Darmkrebs mit Ablegern in Lunge und Hirn. «Die Ärzte gaben ihr nur wenige Monate.» Rathgeb habe nichts Spezielles unternommen, sich mit dem baldigen Tod arrangiert. Ihr einziger Wunsch: die Zwillinge, mit denen ihre Tochter schwanger war, noch zu sehen. Heute, 6 Jahre später, ist der Krebs komplett weg. Laut Christen ist bei Darm- oder Lungenkrebs «ein solcher Verlauf extrem selten». Daher taxieren die Onkologen im Berner Inselspital den Fall als aussergewöhnlich. Auch Dale Weber, die Gebärmutterhalskrebs im (vermeintlichen) Endstadium hatte, ist heute krebsfrei. «Sie ist der Ansicht, das selbst gemacht zu haben, kraft ihrer Gedanken, durch Nahrungsergänzungsmittel und Bewegung.»

In Lourdes hofft man auf Muttergottes

Die Amerikanerin glaubt, dass der Mensch durchaus imstande sei, selber ein Wunder herbeizuführen. Kann positive Einstellung Krebsverläufe beeinflussen? Prof. Dr. Alexander Wünsch, Leiter der Psycho onkologie im Inselspital, bezweifle das, sagt Christen. «Er sagt, man habe das wissenschaftlich bis jetzt nicht nachweisen können.» Ähnlich skeptisch äussert sich Prof. Dr. Adrian Ochsenbein, Insel-Direktor und Chefarzt der Onkologie. «Er sagt, man solle keine Zeit verschwenden und auf ein Wunder warten, da es so selten passiere.» Es sei wichtig, schnellstmöglich mit schulmedizinischer Behandlung anzufangen. Ochsenbein und Wünsch befürworten ergänzende Massnahmen, raten aber dringend davon ab, sich einzig darauf zu verlassen. Und was denkt der Filmemacher über selbstheilende Kräfte? Christen ist der Ansicht, man dürfe sie nicht unterschätzen. «Im Umkehrschluss kann man allerdings fragen, warum sich dieses gewaltige Potenzial nur in so wenigen Fällen voll entfaltet und nicht alle diese Kräfte mobilisieren können.»

Ein Artikel aus «Tele»

Das ist ein Beitrag aus «Tele». Das Fernsehmagazin der Schweiz taucht für dich nach den TV- und Streamingperlen.

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Auch wer nach Lourdes reist, setzt nicht auf die Schulmedizin, sondern hofft, dass die Muttergottes Heilung bringt. Der Wallfahrtsort in Südfrankreich zieht im Jahr bis zu 6 Millionen Gläubige an. Die Italienerin Antonietta Raco litt an Primärer Lateralsklerose und war an den Rollstuhl gefesselt. «Sie konnte nicht mehr gut schlucken und atmen.» Nach ihrem Besuch in Lourdes besserte sich ihr Zustand schlagartig, sie konnte wieder gehen. «Eindrücklich!», sagt Christen. Raco ist eines von insgesamt 72 anerkannten Wundern von Lourdes. Das heisst: Ihre Genesung war medizinisch nicht erklärbar. «Aber eben, es ist weniger als ein Fall pro Jahr», so der Filmemacher. Zwar würden sehr viel mehr Lourdes-Heilungen vermeldet, doch die Kriterien für deren Anerkennung sind streng.

Heilungen sind unerklärlich

Ein medizinisches Fachgremium untersucht einzelne Fälle jeweils jahrelang. Einer dieser Ärzte ist Prof. Dr. Cornel Sieber. Der leitende medizinische Direktor im Kantonsspital Winterthur ist renommierter Geriater und gläubiger Katholik, trennt Religion und Wissenschaft aber strikte. «Eine spannende Figur», sagt Christen über die Begegnung mit Sieber. Einer, der nicht an Wunder glaubt, ist Urs Pilgrim. «Er sagt, man könne Spontanheilungen durch Prozesse im Hirn erklären.» Aus medizinischer Sicht, so der Autor und pensionierte Arzt, gebe es nach heutigem Kenntnisstand keine Kräfte ausserhalb des Menschen. «Und folglich auch kein wundersames Wirken.» Was ist nun, da er sich so intensiv mit dem Thema beschäftigt hat, Christens Fazit? «Geht man diesen Heilungen nach, muss man zumindest anerkennen, dass sie unerklärlich sind.»

Ein Stück weit würden sie ein Mysterium bleiben. Und auch die Schulmedizin komme an einen Punkt, wo sie sagt: «Wir wissen nicht, warum.» Die Schlussfolgerung daraus aber ist Interpretationssache. «Die einen sagen, wir wissen es noch nicht, andere hingegen sind überzeugt, dass es eine andere Ebene gibt, eine höhere Macht, eben das Unerklärbare.» Da sei man im Bereich des Glaubens angelangt. Das Entschlüsseln sogenannter Wunder ist für Simon Christen «ein Widerspruch in sich selbst». Wahre Wunder seien per Definition unerklärlich, das gelte es so zu akzeptieren. «Aber ob es sie tatsächlich gibt, das weiss ich nicht.» Er bleibe in dieser Frage demütig und bescheiden.

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