Darum gehts
- In Brienz BE werden seit 125 Jahren Holzfiguren geschnitzt
- Bildhauerin sitzt einen Tag an einer Figur
- Ein kleines Schaf kostet ab 100 CHF, eine Menschenfigur etwa 300 CHF
Hinter schweren Werkbänken sitzen zwei Holzbildhauerinnen. Vor ihnen der Boden, der wie frisch beschneit wirkt – bedeckt mit Spänen. An den Wänden reihen sich Holzmeissel und Stechbeitel in allen Grössen. Vor dem Fenster der Brienzersee, grau und mürrisch.
In der Huggler Holzbildhauerei ist es warm, es riecht nach Holz. 125 Jahre gibt es den Betrieb schon, der heute als letzte grosse Holzbildhauerei der Schweiz gilt. Noch immer werden alle Krippenfiguren nach den Originalen von Hans Huggler-Wyss geschnitzt.
Ruth Fischer (45), Bildhauerin und Mitinhaberin, beugt sich über eine fast fertige Figur. Sie setzt den Meissel an, löst winzige Späne. «Nach 25 Jahren schmerzen die Hände abends schon manchmal», sagt sie lachend. «Und der Erste-Hilfe-Kasten ist direkt unter der Werkbank.»
Fischer und ihr Partner Heinz Linder (44) übernahmen den Betrieb 2015 – damals wollte Familie Huggler verkaufen. Fischer war zu dieser Zeit bereits als Holzbildhauerin angestellt. «Es steckte so viel Herzblut in der Firma. Die Holzbildhauerei gehört zu Brienz. Sie ist lebendiges Kulturgut, für mich war klar: Sie muss weiterleben.»
Dieser Artikel wurde erstmals in der «Schweizer Illustrierten» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.schweizer-illustrierte.ch.
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Holz lebt und erfordert Präzision
Neben ihr arbeitet Sylvia Hilpertshauser (38). Ihr Arbeitsplatz ist ein Meer aus Meisselklingen, Holzstücken und Modellfiguren. Sie schnitzt hier seit Jahren, zwei bis drei Stunden am Stück, dann macht sie Pause. «Sonst lässt die Präzision nach. Die Arbeit erfordert höchste Konzentration.»
An einem Tag schafft sie eine einzige Figur. Jede ist ein Unikat. Weil jede Holzbildhauerin ihren ganz eigenen Stil hat. Und weil Holz sich weigert, uniform zu sein. «Holz lebt», sagt Sylvia Hilpertshauser. «Es trocknet, es verbiegt sich, es nimmt die Farbe unterschiedlich auf.»
Bevor sie schnitzen kann, hat das Holz schon bis zu fünf Jahre hinter sich: Es wird im Freien getrocknet, dann im kühlen Lager, dann im warmen Raum. Erst wird das Holz mit der Bandsäge, dann mit der Kopierfräse aus den 1950er-Jahren, schliesslich von Hand geformt. «Wir arbeiten im Flachschnitt», erklärt Hilpertshauser. «Die Flächen sind leicht abgeflacht, etwas kubistisch. Das ist typisch Huggler.» Sie selbst entwirft jedes Jahr zwei bis drei neue Figuren. Dieses Jahr etwa einen Falkner. Sammler warten darauf. Einige Stammkunden besitzen alle der vielen hundert Huggler-Krippenfiguren. Andere beginnen mit dem Starterset – Maria, Josef, Jesus – und erweitern die Familie jedes Jahr. «Eine einzelne Figur hat keinen Sinn», sagt Hilpertshauser.
Zu jeder traditionellen Huggler-Krippe können Dutzende Figuren dazugekauft werden. Ein Ziehbrunnen, ein schreitender Hund, ein Hirt mit Tamburin und junge Elefanten sind zu haben. Ausserdem lassen sich fast alle Figuren anpassen: naturbelassen oder bemalt, schlicht oder mit einem Gesicht nach Wunsch. Sylvia Hilpertshauser erzählt von einem Samichlaus, dessen Züge eindeutig die des Bestellers trugen. Ein anderes Mal schnitzte sie die kantigen und stolzen Gesichter der Schwingerkönige.
Plastik ist keine Konkurrenz
Der Preis spiegelt den Aufwand wider. Ein kleines Schaf beginnt bei rund 100 Franken, Menschenfiguren kosten mindestens 300. Nicht das Holz treibt die Summe hoch, sondern die Zeit und der Blick fürs Detail, der die Figuren vom groben Rohling zum feinen Charakterstück transformiert. Die aufwendigsten Krippenfiguren-Modelle erreichen rund 5000 Franken.
Trotzdem fürchtet hier niemand um die Zukunft des Handwerks. 3D-Drucker? Plastik aus Asien? Für Mitinhaber Heinz Linder keine Konkurrenz. «Wir können Rohlinge seit Jahrzehnten mit der Kopierfräse herstellen», sagt er. «Unsere Kunden hingegen schätzen die Handarbeit.» Er glaubt fest an den Fortbestand des Gewerbes. «In der Schweiz schätzt man das Handwerk sehr.»
Die meisten Kunden stammen aus der Schweiz. Viele kennen die Figuren aus dem Elternhaus und führen die Tradition weiter. Auch in Deutschland finden sich treue Fans des Miniaturhandwerks. Für amerikanische Touristen sind die Figuren ein traditionelles Andenken an ihre Reise und ihre Wurzeln. Vielleicht liegt es an den Spuren, die bleiben. Den kleinen Kerben der Meissel. Den Schatten der Beize, die das Holz atmen lässt. Den Unebenheiten, die eine Figur lebendig machen. Man sieht, dass ein Mensch sie geschaffen, warm in der Hand gehalten und Stück für Stück zum Leben erweckt hat.