Nächsten Donnerstag präsentiert Giona A. Nazzaro (56) sein erstes Programm als neuer künstlerischer Leiter des Locarno Film Festival. Vom gebürtigen Zürcher, der sein Amt im Januar antrat und aktuell noch zwischen Rom und dem Tessin pendelt, erhofft sich Festival-Präsident Marco Solari (77) nach der kurzen Ära von Lili Hinstin (43) wieder mehr Kontinuität und Struktur: «Er ist hochkompetent und geeignet, die zukünftigen digitalen Innovationsprojekte des Festivals voranzutreiben und umzusetzen.»
Nazzaro war seit 2016 Leiter der Kritikerwoche des Filmfestivals Venedig und in der Auswahlkommission des Filmfestivals Rotterdam, um nur zwei seiner Stationen zu nennen. Locarno ist für ihn «das Kino- und Film-Erlebnis par excellence», sagt er zu SonntagsBlick. Die Liebe zum Film sei überall spürbar. «Auch die Filmemacher fühlen die Magie und den Rausch.» Grundsätzlich freut sich Nazzaro, dass es nach der hybriden Ausgabe vom letzten Jahr wieder mit grösserem Publikum losgeht. «Ein physisches Festival mit einer Kulisse von 5000 Leuten ist für mich nach der langen Zeit der Pandemie schon das schönste Ergebnis. Mein erklärtes Ziel ist aber, die Position von Locarno innerhalb der Filmindustrie immer mehr zu stärken.»
«Mein erster Leinwandheld war James Dean»
Der frühere Filmjournalist glaubt nicht, dass die Pandemie die Kinokultur grundsätzlich beschädigt hat. «Sie wird überleben, weil der Film und die Bilder, ganz einfach gesagt, unser Leben sind. Filme befreien den Kopf, wie man so schön sagt. Ohne Film ist alles langweiliger.» Fragt man den Sohn eines ABB-Ingenieurs nach den Einflüssen auf ihn, gerät er ins Schwärmen: «Die Liste ist unendlich und hat mit den verschiedenen Jahreszeiten meines Lebens zu tun. Regisseure, von denen ich etwas gelernt habe, sind ganz bestimmt Roberto Rossellini und Buster Keaton, John Ford und Howard Hawks. Aber das ist eine Frage ohne Ende.»
Ein buchstäblich happiger Einstieg waren seine ersten Kinobesuche.: «‹Der weisse Hai› von Steven Spielberg und ‹Star Wars› von George Lucas. Den ersten Film habe ich im Orion in Dübendorf gesehen, den zweiten in Zürich im ABC. Und mein erster Leinwandheld war James Dean.» Schon damals habe ihn erfasst, was ihn später auch dazu gebracht habe, diese Welt zum Beruf zu machen: «Das Gefühl, dass Kino und Filme besser als das Leben sind.» Nazzaro ist gekommen, um länger zu bleiben: «Meine Vision ist ein Festival, das frei und unabhängig ist und tapfer in die Zukunft schaut. Ich liebe Locarno. Ich hoffe, das ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, wenn ich hier das Ende von ‹Casablanca› zitieren darf.»
Das 74. Locarno Film Festival findet vom 4. bis 14. August 2021 statt.