Darum gehts
- Carol Schuler spielt in Film über Franz Kafka seine erste Verlobte Felice Bauer
- Kafka-Themen sind aktueller denn je und spiegeln gesellschaftliche Entwicklungen wider
- Kafka schrieb Bauer in zwei Jahren über fünfhundert Briefe
Die Zürcherin Carol Schuler (38) verkörpert im Film «Franz K.» Felice Bauer (1887–1960), die erste Verlobte des Schriftstellers Franz Kafka (1883–1924). Blick hat mit Schuler über ihre Rolle in Agnieszka Hollands (76) Drama gesprochen, mit dem Polen ins Oscar-Rennen 2026 steigt.
Blick: Frau Schuler, wie sind Sie in diesen international besetzten Kinofilm einer Starregisseurin über ein Literaturgenie gekommen?
Carol Schuler: Recht unspektakulär, durch eine Anfrage von Castingdirektorin Alexandra Montag. Und nach dem Vorsprechen bekam ich recht schnell eine Zusage. Aber natürlich war die Möglichkeit, mit einer solch renommierten Regisseurin arbeiten zu können, eine seltene Chance. Deshalb war ich sehr aufgeregt und habe mich ausserordentlich gefreut, dass es geklappt hat.
Wie sind Sie zuvor zu Kafka gestanden? Viele mussten Werke von ihm in der Schule lesen ...
Ich kann mich nicht erinnern, dass wir ihn in der Schule gelesen hätten. Ich las ihn freiwillig mit 16. Zuerst «Die Verwandlung». Ich fand Kafka immer toll und habe ihn verschlungen. Ich hege eine grosse Liebe zu so absurden, surrealen und düsteren Stoffen. Und darum hat mich das schon in den Teenagerjahren stark angezogen. Es dreht sich bei ihm vieles um Identitätsfindung und Entfremdung. Und in der Pubertät sind das genau die Themen, die einen ansprechen. Als ich jetzt zur Vorbereitung wieder Bücher von ihm las, staunte ich über sein Talent, Bilder von alltäglichen Szenen im Kopf entstehen zu lassen, die sich plötzlich ins Unheimliche drehen. Diese kafkaesken Welten, wie man sie ihm zu Ehren nun nennt, in der wir gefangen sind und deren Regeln wir nicht mehr verstehen. Heute mag ich Kafka wohl noch mehr als früher schon.
Sind seine Bücher Ihrer Meinung nach gut gealtert? Es gibt Autoren, die einst en vogue waren und heute antiquiert wirken.
Seine Themen sind aktueller denn je. Wir leben scheinbar immer stärker in einer kafkaesken Welt, in der man vieles nicht mehr begreift und sich nicht dagegen wehren kann. Viele seiner Werke, die um 1920 herum entstanden, vor hundert Jahren, handelten von totalitären Systemen. Damit hat er vieles schon vorausgesehen, was zehn Jahre später von Deutschland aus einzutreffen begann und auch heute wieder präsent ist. Der Aufschwung eines totalitären Regimes in den USA zum Beispiel und auch den Rechtsruck in Europa.
Hat die Arbeit an diesem Film Ihre Sicht auf Kafka verändert?
Ich kannte seine Werke, habe mich aber bisher nie mit ihm selber auseinandergesetzt. Als ich mich nun erstmals mit seiner Biografie beschäftigte, war das schon eine ganz besondere Entdeckung und Faszination. Er war wirklich kein einfacher Mensch, als Verlobter schon gar nicht. Das war eine Beziehung, die vor allem auf dem Papier bestand. Live haben sich Bauer und Kafka nur drei-, viermal getroffen. Dafür hat er ihr in den ersten zwei Jahren ihres Kennenlernens über fünfhundert Briefe geschrieben. Heute würde man das als «Love-Bombing» bezeichnen. Er hatte auch etwas sehr Kontrollierendes. Aus meiner heutigen Frauenperspektive wäre wohl schon nach der ersten Woche die normale Reaktion: Ok, ich packe meine Sachen und bin weg. Trotzdem fand ich seinen komplexen und sehr unsicheren Charakter extrem spannend, diese Widersprüchlichkeit. Kafka wünschte sich eigentlich ein sehr bürgerliches Leben inklusive Ehe. Aber er war nicht dafür geschaffen, sondern mit der Literatur verheiratet. Im realen Alltag war er nicht lebensfähig.
Welchen Eindruck bekamen Sie von Felice Bauer?
Für die damalige Zeit war sie sehr modern. Sie übernahm früh Verantwortung für ihre ganze Familie, auch finanziell. Sie kam aus ärmlichen Verhältnissen und stieg in ihrer Firma rasch zur Prokuristin auf. Sie war pragmatisch und wusste, was sie wollte, um in der damaligen Gesellschaft funktionieren zu können. Und dazu gehörte auch eine Ehe. Dass sie sich dafür ausgerechnet Kafka aussuchte, lässt sich wohl damit erklären, dass sie beide etwas suchten, was sie selber nicht hatten. Ihm fehlte dieses Pragmatische und Realitätsnahe. Und sie sehnte sich nach dem Träumerischen und genoss es sicher auch, dass er sie auf ein Podest stellte und sie mit Aufmerksamkeiten überhäufte. Sie war gebildet und ging ins Theater und Kino. Aber ob sie seine Literatur ganz verstanden hat, ist schwer zu sagen. Sie spürte jedenfalls sicher, dass sich darin etwas Grosses verbarg.
Was war Ihnen bei der Darstellung von Bauer besonders wichtig?
Ich denke, sie wird im Rückblick oft unterschätzt und für eine einfache Frau im Schatten des Genies gehalten. Ich wollte zeigen, dass viel mehr in ihr steckte. Dass sie zielorientiert und emanzipiert war und selber die Führung übernahm.
«Franz K.» ist kein herkömmlicher Film über einen prominenten Schriftsteller. Wo würden Sie ihn einordnen?
Es ist sicher kein klassisches und oberflächliches «Biopic», das die Stationen seines Lebens abklappert und sie auf dem Silbertablett zum reinen Konsumieren serviert. Agnieszka Holland wollte seinen kompletten Charakter zeigen und sich seinem Inneren annähern. Sie hat sich ihr ganzes Leben lang mit Kafka beschäftigt. Nach der Deutschland-Premiere in Berlin hörte ich viele Leute sagen, sie müssten den Film mit seinen verschiedenen Zeitebenen «nun erst einmal sacken lassen». Zentral ist auch die Thematisierung des Personenkultes. Diese Idolisierung ist wohl das Gegenteil von dem, was sich Kafka gewünscht hätte. Aber halb Prag ist heute voll davon. Eindrücklich zu sehen in einer Szene in einem Fast-Food-Lokal, wo Touristen Kafka-Burger essen. Was der Vegetarier wohl dazu gesagt hätte?
Erlauben Sie uns noch eine persönliche Frage: Dürfen wir erfahren, welche Farbe Ihre Küche hat? Felice Bauer spricht im Film davon, die Küche der geplanten Wohnung mit Kafka ockerfarben zu streichen.
Meine Küche ist sehr, sehr bunt und vom Boden bis zur Decke mit Filmplakaten zugepflastert. Ocker kommt da nirgends vor.
Haben Sie sonst irgendwo Parallelen zwischen Felice Bauer und Ihnen festgestellt?
Bestimmt. Ich erachte es als Kernaufgabe einer Schauspielerin, herauszufinden, wo ich zur Darstellung einer Figur mit meinen eigenen Erfahrungen andocken kann. Einerseits war Bauer sehr zielorientiert in ihrem Beruf und wollte aufsteigen. Und dann war sie auch sehr emotional. Trotz all dem Pragmatismus gab es vermutlich schon auch eine Art von überzeugter Liebe zwischen ihr und Kafka. Dadurch kamen sie nicht so rasch voneinander weg. Was ich gut nachvollziehen kann. Wenn ich von etwas überzeugt bin, steige ich auch voll darauf ein und habe Mühe mit dem Loslassen.
Die gebürtige Winterthurerin Carol Schuler (38) trat erstmals als Fünfjährige im Theater auf und wurde für ihre erste Film-Hauptrolle in «Lieber Brad» 2001 als Zwölfjährige mit dem Schweizer Filmpreis als beste Darstellerin geehrt. Ihre Ausbildung absolvierte sie von 2006 bis 2009 am Europäischen Theaterinstitut in Berlin, von 2017 bis 2020 gehörte sie zum Ensemble der dortigen Schaubühne. 2015 war sie in der US-Serie «Homeland» zu sehen und 2019 in der Netflix-Serie «Skylines», wofür sie den Deutschen Schauspielpreis und den Grimme-Preis erhielt. Seit 2020 bildet sie mit Anna Pieri Zuercher (46) das Schweizer «Tatort»-Team. Schuler lebt in Berlin und Zürich und tritt auch als Sängerin auf.
Die gebürtige Winterthurerin Carol Schuler (38) trat erstmals als Fünfjährige im Theater auf und wurde für ihre erste Film-Hauptrolle in «Lieber Brad» 2001 als Zwölfjährige mit dem Schweizer Filmpreis als beste Darstellerin geehrt. Ihre Ausbildung absolvierte sie von 2006 bis 2009 am Europäischen Theaterinstitut in Berlin, von 2017 bis 2020 gehörte sie zum Ensemble der dortigen Schaubühne. 2015 war sie in der US-Serie «Homeland» zu sehen und 2019 in der Netflix-Serie «Skylines», wofür sie den Deutschen Schauspielpreis und den Grimme-Preis erhielt. Seit 2020 bildet sie mit Anna Pieri Zuercher (46) das Schweizer «Tatort»-Team. Schuler lebt in Berlin und Zürich und tritt auch als Sängerin auf.
«Franz K.» läuft ab dem 6. November in den Schweizer Kinos.