Nachruf auf Hans Magnus Enzensberger
Ein Menschenfreund ist gegangen

Er liebte Kinderreime, Mathe-Schulbücher und Erwachsenen-Lexika: Der deutsche Schriftgelehrte und grosse Menschenfreund Hans Magnus Enzensberger ist am 24. November mit 93 Jahren gestorben. Erinnerungen an eine Begegnung.
Publiziert: 25.11.2022 um 18:06 Uhr
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Aktualisiert: 25.11.2022 um 21:41 Uhr
Stets ein Lächeln: Hans Magnus Enzensberger war ein Menschenfreund.
Foto: keystone-sda.ch
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Daniel ArnetRedaktor Gesellschaft / Magazin

Hans Magnus Enzensberger (†93) war ein Intellektueller der anderen Art: Die Stirn in Falten zu legen und hochnäsig dreinzuschauen, entsprach nicht seiner Art; stets spielte ein sanftmütiges Lächeln um seine Lippen – so auch, als er mich im Oktober 2001 zu einem Interview in München (D) empfing.

«Ich finde es ausgesprochen unhöflich, andere mit seinen Kümmernissen, Depressionen und schlechten Launen zu behelligen», sagte er mir damals zur Begründung. Es gehöre zur Berufskrankheit vieler Künstler, beleidigt zu sein und zu jammern. Viel lieber beglückte er die Menschen mit seinen unzähligen Büchern – als Dichter, Herausgeber und Übersetzer.

1929 in Kaufbeuren (D) geboren, wuchs er mit drei Brüdern als Sohn des Nürnberger Oberpostdirektors auf. Hans Magnus widersetzte sich der Hitlerjugend und absolvierte nach dem Krieg unter anderem an der Pariser Sorbonne ein Literaturwissenschafts- und Philosophiestudium, das er 1955 mit dem Doktortitel abschloss.

«Das Leben ist ja auch nicht endlos lange»

1957 folgte mit «verteidigung der wölfe» die erste Veröffentlichung eigener Gedichte – es sollten über ein Dutzend weitere Lyrikbände folgen. Der Poesie blieb Enzensberger ein Leben lang treu, fand sie aber auch in Kinderreimen («Allerleirauh», 1961) oder Zahlen («Der Zahlenteufel. Ein Kopfkissenbuch für alle, die Angst vor der Mathematik haben», 1997).

Seine 1965 gegründete Kulturzeitschrift «Kursbuch» war ein wichtiges Sprachrohr für die Studentenbewegung. 20 Jahre später gründete er die bibliophile Buchreihe Die Andere Bibliothek, worin er etwa die Enzyklopädie von Denis Diderot (1713–1784) veröffentlichte und eine Liebeserklärung an Gedichte unter dem Pseudonym Andreas Thalmayr.

«Es gibt kein Thema, das so abgelegen wäre, dass es in der Lyrik keinen Platz fände», sagte mir Enzensberger damals. Zudem könne man in ein paar Zeilen so viel sagen wie auf hundert Romanseiten. «Das ist enorm ökonomisch», sagte er. «Das Leben ist ja auch nicht endlos lange.» Ein Grosser ist von uns gegangen – Magnus ist Latein und heisst gross.

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