Heftige Reaktionen nach Urteil
Moutiers Zukunft bleibt offen

Moutiers künftige Kantonszugehörigkeit bleibt weiter in der Schwebe: Nach der Regierungsstatthalterin des Berner Juras hat auch das bernische Verwaltungsgericht die Abstimmung von 2017 über den Kantonswechsel von Moutier für ungültig erklärt.
Publiziert: 29.08.2019 um 15:55 Uhr
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Aktualisiert: 30.08.2019 um 09:51 Uhr
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Berntreue aus Moutier stossen nach Bekanntwerden des Urteils mit Champagner an - und fordern den Rücktritt von Separatisten.

Wie das Gericht am Donnerstag mitteilte, hat es zwar einen Teil der Beschwerden gegen den erstinstanzlichen Entscheid vom November des letzten Jahres gutgeheissen. Das Gericht geht aber mit der Statthalterin einig, dass es zu viele Unregelmässigkeiten rund um die Abstimmung gab und spricht von «schweren Rechtsverletzungen».

Bern kritisiert Gesetzesverstösse

Insbesondere hätten sich die Behörden von Moutier in ihrer Kommunikation zum Abstimmungsgegenstand viel stärker zurückhalten müssen, macht das Gericht deutlich. Als Organisatorin des Urnengangs könne die Gemeinde nicht auftreten wie andere Akteure. In Moutier regiert eine projurassische Mehrheit.

Unzulässig gewesen sei etwa ein Brief der Gemeinde an die Eltern von Tagesschülern. Darin gab die Gemeinde Moutier laut dem Urteil der Statthalterin von 2018 eine Art Garantie dafür, dass bei einem Kantonswechsel den Schülern die gleichen Leistungen angeboten würden.

Auch dass die Gemeinde Moutier erst am Abstimmungswochenende dem Kanton Bern und dem Bund die Wählerlisten abgegeben habe, gehe nicht. Nicht statthaft gewesen seien weiter ein Beitrag des Stadtpräsidenten in einer Online-Zeitung und die Art und Weise der Erweiterung des brieflichen Abstimmens.

Diese Gesetzesverstösse seien einzeln respektive als Ganzes geeignet gewesen, das Abstimmungsresultat zu beeinflussen. Deshalb sei es richtig gewesen, dass die Regierungsstatthalterin die Abstimmung annulliert habe. Beschwerde eingereicht gegen deren Entscheid hatten die Gemeinde Moutier und - einzeln oder als Gruppe - 89 Bürger.

Knappe Abstimmung in Moutiers

Mit lediglich 137 Stimmen Differenz entschied Moutiers Stimmvolk am 18. Juni 2017, den Kanton Bern zu verlassen und künftig zum Kanton Jura zu gehören. Bereits als die Regierungsstatthalterin entschied, diesen Urnengang zu annullieren, gingen die Wogen hoch.

Auch am Donnerstag fielen die Reaktionen wieder heftig aus. Berntreue aus Moutier forderten, die Separatisten in der Stadtregierung müssten zurücktreten. Schliesslich habe das Verwaltungsgericht bestätigt, dass es zu Mauscheleien gekommen sei. Das Vertrauen sei zerstört.

Projurassier hingegen werteten den Entscheid als politisch. Das Komitee «Moutier Ville Jurassienne» zeigte auf seiner Facebookseite eine Todesanzeige. Die Demokratie sei gestorben. Es rief für Freitag zu einer Kundgebung auf. Der Generalsekretär des Mouvement autonomiste jurassien, Pierre-André Comte, rief die Autonomisten zur «Revolte» auf.

Die jurassische Kantonsregierung bedauert den Entscheid. Es sei schade, dass die Zukunft Moutiers in der Schwebe bleibe. Die Berner Regierung gab bekannt, sie sei «betroffen vom Ausmass der Unregelmässigkeiten». Sie rief dazu auf, die Ruhe zu bewahren. Der separatistische Stadtpräsident Marcel Winistoerfer wies die Rücktrittsforderungen zurück.

Wie geht es mit der Jurafrage weiter?

Allgemein wird erwartet, dass der Verwaltungsgerichtsentscheid ans Bundesgericht weitergezogen wird, obwohl sich Moutiers Separatisten dazu am Donnerstag noch nicht festlegen wollten.

Sollte der Fall in Lausanne landen, gibt es zwei Szenarien: Das Bundesgericht erklärt die Abstimmung von 2017 für gültig und Moutier wechselt den Kanton. Oder aber es bestätigt den Verwaltungsgerichtsentscheid.

In diesem Fall dürfte in Moutier erneut abgestimmt werden. Der Bund und die beiden Kantone Bern und Jura gaben schon im November 2018 bekannt, aus ihrer Sicht müssten sich Moutiers Bürger an einer gültigen Abstimmung über die Kantonszugehörigkeit aussprechen können.

Jean-Christophe Geiser vom Bundesamt für Justiz bestätigte am Donnerstag auf Anfrage diese Haltung der sogenannten Tripartiten Konferenz. Das ist eine Konferenz des Bunds und der beiden Kantone.

In Moutier ist man allerdings auch in dieser Frage gespalten. Pierre-André Comte sagte, eine solche Abstimmung stelle derzeit keine Option dar. Moutiers Bevölkerung wolle endlich den Kanton wechseln.

Die Proberner sagen, für eine zweite Abstimmung sei es zu früh. Zuerst müssten sich die Wogen glätten. Zudem dürfe nicht nochmals die Stadt Moutier eine solche Abstimmung durchführen. Der Bund müsste einen solchen Urnengang organisieren. (SDA)

200 Jahre Jurafrage - Zankapfel nimmt kein Ende

«Die Jurafrage ist abgeschlossen»: Mit diesen Worten kommentierte die Berner Regierung am 18. Juni 2017 das knappe Ja von Moutier zu einem Kantonswechsel. Doch der Jura-Konflikt brodelt weiter - ein Konflikt, der seinen Ursprung im Jahr 1815 hat.

Wie entstand der Konflikt?

«Erklärung des Wiener Congresses vom 20. März 1815 über die Angelegenheiten der Schweiz»: So heisst das Dokument, das am Anfang des Konflikts steht. Sieben Bezirke des Bistums Basel werden darin dem Kanton Bern zugesprochen: Pruntrut, Delsberg, Freiberge, Moutier, Courtelary, Neuenstadt und Laufen.

Bald kommt es zu Spannungen. Die Bevölkerung dieser Gebiete fühlt sich von den gnädigen Herren in Bern vernachlässigt.

Chronologie der Jurafrage

  • In den 1950er-Jahren wird der Protest lauter. Separatisten drängen auf eine Volksbefragung in den sieben jurassischen Wahlkreisen. Ihre Initiative wird von den bernischen Stimmberechtigten abgelehnt.
     
  • Für Bern ist das Thema damit erledigt. Doch es kommt immer wieder zu Demonstrationen und zusehends auch zu gewaltsamen Zwischenfällen. «Der Jura den Jurassiern» lautet die Parole.
     
  • 1970 ergänzt der Kanton Bern seine Verfassung und macht so den Weg frei zu mehreren Jura-Plebisziten. Der Nordjura löst sich von Bern, seit 1979 gibt es den Kanton Jura.
     
  • Die drei südjurassischen Bezirke Courtelary, Moutier und Neuenstadt stimmen hingegen zweimal für den Verbleib beim Kanton Bern. Auch das Städtchen Moutier sagt mehrmals Ja zu Bern, wenn auch nur knapp. Dass der Jura-Konflikt nun beigelegt wäre, erweist sich als Trugschluss: Separatisten im Süden kämpfen unbeirrt weiter für eine«Wiedervereinigung» mit dem Norden.
     
  • In den 1980er-Jahren kommt es zu gewaltsamen Zusammenstössen zwischen Projurassiern und Berntreuen, Bomben- und Brandanschlägen. 1993 stirbt der Separatist Christophe Bader bei einem versuchten Bombenanschlag in Bern.
     
  • Ab den 1990er-Jahren setzt sich der Bund verstärkt für eine Lösung ein. Der Kanton Bern seinerseits ergänzt die Kantonsverfassung und billigt dem Berner Jura eine «besondere Stellung» zu.
     
  • Schliesslich schafft er ein Sonderstatut für den Berner Jura und Welschbiel. Die Gebiete erhalten eine beschränkte Autonomie im Schul- und Kulturbereich. Doch der Kanton Jura und die Projurassier im Kanton Bern wollen mehr, sie streben weiter eine Vereinigung an.
     
  • 2012 einigen sich die beiden Kantone unter Federführung des Bundes darauf, dass die Bevölkerung an der Urne über die Zukunft des Berner Juras entscheiden soll. Im November 2013 sprechen sich die jurassischen Stimmberechtigten klar für einen neuen Kanton aus - doch im Berner Jura wird das Projekt deutlich abgelehnt.
     
  • Allerdings gab es in Moutier eine Mehrheit für den neuen Kanton. Das Städtchen darf daher - wie vorgängig vereinbart - nochmals abstimmen - und entscheidet sich am 18. Juni 2017 mit knapper Mehrheit für den Wechsel zum Jura. Nur: Aus Sicht der Regierungsstatthalterin des Berner Juras verlief der Urnengang nicht korrekt. Am 5. November 2018 erklärt sie die Abstimmung für ungültig. Die Projurassier ziehen den Entscheid umgehend ans bernische Verwaltungsgericht weiter. Dessen Urteil wird aller Voraussicht nach ein Fall fürs Bundesgericht. (SDA)

 

«Die Jurafrage ist abgeschlossen»: Mit diesen Worten kommentierte die Berner Regierung am 18. Juni 2017 das knappe Ja von Moutier zu einem Kantonswechsel. Doch der Jura-Konflikt brodelt weiter - ein Konflikt, der seinen Ursprung im Jahr 1815 hat.

Wie entstand der Konflikt?

«Erklärung des Wiener Congresses vom 20. März 1815 über die Angelegenheiten der Schweiz»: So heisst das Dokument, das am Anfang des Konflikts steht. Sieben Bezirke des Bistums Basel werden darin dem Kanton Bern zugesprochen: Pruntrut, Delsberg, Freiberge, Moutier, Courtelary, Neuenstadt und Laufen.

Bald kommt es zu Spannungen. Die Bevölkerung dieser Gebiete fühlt sich von den gnädigen Herren in Bern vernachlässigt.

Chronologie der Jurafrage

  • In den 1950er-Jahren wird der Protest lauter. Separatisten drängen auf eine Volksbefragung in den sieben jurassischen Wahlkreisen. Ihre Initiative wird von den bernischen Stimmberechtigten abgelehnt.
     
  • Für Bern ist das Thema damit erledigt. Doch es kommt immer wieder zu Demonstrationen und zusehends auch zu gewaltsamen Zwischenfällen. «Der Jura den Jurassiern» lautet die Parole.
     
  • 1970 ergänzt der Kanton Bern seine Verfassung und macht so den Weg frei zu mehreren Jura-Plebisziten. Der Nordjura löst sich von Bern, seit 1979 gibt es den Kanton Jura.
     
  • Die drei südjurassischen Bezirke Courtelary, Moutier und Neuenstadt stimmen hingegen zweimal für den Verbleib beim Kanton Bern. Auch das Städtchen Moutier sagt mehrmals Ja zu Bern, wenn auch nur knapp. Dass der Jura-Konflikt nun beigelegt wäre, erweist sich als Trugschluss: Separatisten im Süden kämpfen unbeirrt weiter für eine«Wiedervereinigung» mit dem Norden.
     
  • In den 1980er-Jahren kommt es zu gewaltsamen Zusammenstössen zwischen Projurassiern und Berntreuen, Bomben- und Brandanschlägen. 1993 stirbt der Separatist Christophe Bader bei einem versuchten Bombenanschlag in Bern.
     
  • Ab den 1990er-Jahren setzt sich der Bund verstärkt für eine Lösung ein. Der Kanton Bern seinerseits ergänzt die Kantonsverfassung und billigt dem Berner Jura eine «besondere Stellung» zu.
     
  • Schliesslich schafft er ein Sonderstatut für den Berner Jura und Welschbiel. Die Gebiete erhalten eine beschränkte Autonomie im Schul- und Kulturbereich. Doch der Kanton Jura und die Projurassier im Kanton Bern wollen mehr, sie streben weiter eine Vereinigung an.
     
  • 2012 einigen sich die beiden Kantone unter Federführung des Bundes darauf, dass die Bevölkerung an der Urne über die Zukunft des Berner Juras entscheiden soll. Im November 2013 sprechen sich die jurassischen Stimmberechtigten klar für einen neuen Kanton aus - doch im Berner Jura wird das Projekt deutlich abgelehnt.
     
  • Allerdings gab es in Moutier eine Mehrheit für den neuen Kanton. Das Städtchen darf daher - wie vorgängig vereinbart - nochmals abstimmen - und entscheidet sich am 18. Juni 2017 mit knapper Mehrheit für den Wechsel zum Jura. Nur: Aus Sicht der Regierungsstatthalterin des Berner Juras verlief der Urnengang nicht korrekt. Am 5. November 2018 erklärt sie die Abstimmung für ungültig. Die Projurassier ziehen den Entscheid umgehend ans bernische Verwaltungsgericht weiter. Dessen Urteil wird aller Voraussicht nach ein Fall fürs Bundesgericht. (SDA)

 

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