Herr Bardy, wie gross ist die Lücke, die Jan Kuciak hinterlassen hat?
Peter Bardy: Ich erinnere mich nicht an einen Tag im vergangenen Jahr, an dem ich nicht über ihn nachgedacht habe. Er ist immer noch bei uns, er ist immer noch hier in diesem Büro.
Was bedeutet das?
Wir haben hier kein riesiges Team, wir sind ungefähr 30 Leute. Es ist wie eine Familie, wir besuchen uns gegenseitig bei Geburtstagen und Hochzeiten. Wir haben enge Verbindungen zueinander. Jan ist einer von uns, und er wird einer von uns sein. Ich sehe immer noch sein Gesicht hier in unserem Büro. Er war so ein bescheidener Typ.
In welchen Situationen vermissen Sie ihn und seine Arbeit am meisten?
Da sind viele Situationen. In der vergangenen Woche zum Beispiel haben wir den Audio-Mitschnitt eines Telefongesprächs zwischen ihm und dem Geschäftsmann Marian Kocner veröffentlicht. Wir wollten zeigen, wie Kocner Jan ein paar Monate vor dessen Tod bedroht hatte. Es war schrecklich, Jans Stimme ein Jahr nach dem Mord in diesem Mitschnitt zu hören. Es war, als ob er hinter mir stehen würde. Jeder in der Redaktion war in diesem Moment ganz still.
Heilt die Zeit die Wunden?
Ich denke nicht. Es ist immer noch alles sehr frisch. Ich hatte gehofft, dass ich mich nach einem Jahr etwas besser fühle, aber die Traurigkeit ist immer noch tief in mir. Vielleicht wird sich daran etwas ändern, wenn ein Richter die Täter ins Gefängnis schickt.
Wie sind Sie und Ihre Kollegen mit diesem Grauen umgegangen?
Wir mussten unsere Arbeit fortsetzen. Das war die beste Art und Weise, mit dieser Situation umzugehen.
Hatten Sie persönlich nach dem Mord an Jan Angst?
Ich hatte keine Angst um mich, aber um meine Kollegen. Ich bin verantwortlich für sie. Und ich wollte nicht weitere Telefonate machen wie dieses im Februar vergangenen Jahres, als ich Jans Eltern anrufen musste, um mit ihnen über den Mord an ihrem Sohn zu sprechen. Ich möchte so etwas nie mehr erleben.
Hat Aktuality.sk & quot besondere Sicherheitsmassnahmen geschaffen?
Ich kann keine Details verraten, aber wir sind vorsichtiger als vorher. Und was uns am meisten hilft, ist die internationale Solidarität. Wir haben die Unterstützung von Institutionen und Journalisten aus vielen verschiedenen Ländern. Ich weiss, dass ich auf unsere Partner in der Europäischen Union, der Europäischen Kommission und in Medienorganisationen setzen kann. Leider können wir nicht darauf vertrauen, dass uns die slowakischen Politiker helfen. Das wollen sie einfach nicht tun.
Eine Tat wie diese ist immer auch ein Versuch, Menschen einzuschüchtern, in diesem Fall Journalisten. Hat das funktioniert?
Definitiv nicht. Wir sind stärker und mächtiger als vorher. Jetzt hat jeder realisiert, dass unsere Arbeit wichtig ist – für die Leute und für unser Land. Wenn wir als investigative Journalisten nicht über Korruption und andere Straftaten sprechen, wer macht es dann? Niemand. Deswegen sind wir auch Botschafter einer besseren Zukunft für die Slowakei.
Nach Jans Tod sagten Sie, dass Sie sich nicht vorstellen können, dass ein Investigativjournalist in der Europäischen Union ermordet wird. Was hat sich hinsichtlich Ihrer Einschätzung der Lage der Pressefreiheit in Europa mit diesem Verbrechen geändert?
Für mich ist es immer noch unvorstellbar. Ich habe Vertrauen in die EU, in die europäischen Gesetze. Aber es gibt die Notwendigkeit für Verlage und Regierungen, sicherzustellen, dass so etwas wie die Tötung eines Journalisten nicht wieder passiert.
In der Slowakei gibt es eine Debatte über ein neues Mediengesetz. Wie nehmen Sie diese Diskussionen wahr?
Eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Journalisten, Juristen, Polizisten und Leuten aus dem Innenministerium, hat einen Entwurf für ein neues Mediengesetz entwickelt und es der Regierung übergeben. Das war Ende vergangenen Jahres. Auch ich bin Teil dieser Gruppe, und einer der wichtigsten Vorschläge war, ein System zu implementieren, in dem Journalisten ihre Fragen schicken können, ohne sensible persönliche Informationen preisgeben zu müssen.
Was bedeutet das?
Wenn du in der Slowakei eine Anfrage an Politiker und Behörden stellt, muss diese Anfrage deine Heimatadresse beinhalten. Deswegen ist es für die Bösewichte ziemlich einfach, diese Informationen über Journalisten zu bekommen. Wir wollen das ändern.
Was war die Reaktion auf den Entwurf?
Es gab bis jetzt überhaupt keine Reaktion. Wir hätten ihnen ein leeres Blatt Papier geben können. Sie denken, dass sie mit diesem Thema keine Stimmen gewinnen können, also interessiert es sie nicht.
Die Regierung scheint andere Ideen zu haben.
Ja, genau. Sie wollen sicherstellen, dass Politiker das Recht haben, auf jeden Zeitungsartikel mit einem Text in der gleichen Länge zu antworten. Das würde bedeuten, dass sie unsere Fragen komplett ignorieren können. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass diese möglichen Veränderungen bezüglich der Mediengesetze die Rechte von Journalisten sogar weiter beschneiden würden.
Nach dem Mord an Jan gab es riesige Proteste in der Slowakei. Robert Fico, der Premierminister, trat zurück. Der slowakische Polizeichef räumte seinen Posten. Ist die Slowakei noch das gleiche Land wie vor einem Jahr?
Es kam zu einigen Rücktritten, das ist korrekt. Aber in der höchsten Ebene der Politik und der Institutionen gibt es immer noch keinen wirklichen Wandel. Robert Fico ist immer noch einer der mächtigsten Menschen im Land. Was jetzt anders ist, ist das slowakische Volk. Wenn sie sehen, dass etwas falsch ist, sprechen sie das an. Aber es braucht Zeit, ehe diese Veränderung den ganzen Weg hoch in die Elite des Landes zurückgelegt hat. Meine Rolle dabei ist es nur, ein Journalist zu sein. Ich bin kein «Game Changer».
Im Oktober hat die Polizei vier Personen festgenommen, die verdächtigt werden, für den Mord an Jan und Martina verantwortlich zu sein. Kurz darauf wurde klar, dass auch Marian Kocner ein Verdächtiger ist. Hat er die Tat in Auftrag gegeben?
Ja, ich glaube schon. Kocner hatte Freunde in der Justiz, bei der Polizei, in der Politik. Er war ziemlich unberührbar. Und Jan war sein grösster Feind. Er hat Informationen über ihn gesammelt, und Kocner wusste, dass Jan die Person sein könnte, die ihn am Ende ins Gefängnis schickt. Er hatte ein Motiv. Ich bin sicher, dass er Geld ausgegeben hat, um Jan loszuwerden. Aber die Ermittlungen laufen noch, deswegen müssen wir auf die finalen Urteile warten.
Sie haben das Telefonat zwischen den beiden erwähnt. Kocner hat ihn bedroht, Jan meldete die Drohungen, aber nichts ist passiert. War sein Tod vermeidbar?
Ja, auf jeden Fall. Es ist ein riesiger Skandal, dass sie (Polizei und Staatsanwaltschaft, Anm. der Redaktion) nichts für ihn getan haben. Das war auch der Grund, warum ich entschieden habe, den Mitschnitt zu veröffentlichen. Die Leute sollen wissen, was vor seinem Tod geschehen ist.
Es gibt nicht viele Chefredaktoren, die sich mit dem Mord an einem ihrer Kollegen
auseinandersetzen mussten. Wie hat dieses Drama Sie verändert?
Das ist sehr schwer zu sagen. Ich war nur ein Chefredaktor, niemand, der erwartet hatte, über den Mord an einem Kollegen zu sprechen. Ich wollte nicht berühmt sein. Ich denke, dass ich wegen allem, was passiert ist, zynisch geworden bin. Wenn ein Freund mir heute erzählt, dass er Probleme mit seiner Freundin hat, kann ich das nicht wirklich ernst nehmen. Ausserdem fühle ich die Schmerzen des Alltags nicht mehr. Und ich bin auch nicht mehr der lustige Typ, der ich vorher war.
Haben Sie darüber nachgedacht, zurückzutreten?
Ich habe mein Team gefragt, ob ich gehen soll. Sie haben gesagt, ich soll bleiben. Das ist es, was ich dann getan habe.
Der 21. Februar ist der Todestag von Jan. Wie werden Sie diesen Tag verbringen?
Es wird eine grosse Demonstration in Bratislava geben, und wir organisieren einen Event mit Freunden, Kollegen und Nichtregierungsorganisationen. Da werden so 200 Leute sein. Wenn ich über diesen Tag nachdenke, bin ich nervös. Ich möchte mir nicht vorstellen, wie es sein wird.
Peter Bardy (41) ist seit 2008 Chefredaktor der News-Plattform Aktuality.sk, für die auch Jan Kuciak (†27) tätig war. Bardy studierte Publizistik und arbeitete für die slowakische Zeitung «Novy Cas» sowie das «Live Magazin». Zu Beginn seiner journalistischen Laufbahn befasste er sich mit Kriminalität, später fokussierte er sich auf Politik, insbesondere die der EU. Bardy gewann 2017 mit Kollegen den Preis des slowakischen Verlegerverbands für die Berichterstattung zum 25-jährigen Bestehen der Slowakischen Republik.
Peter Bardy (41) ist seit 2008 Chefredaktor der News-Plattform Aktuality.sk, für die auch Jan Kuciak (†27) tätig war. Bardy studierte Publizistik und arbeitete für die slowakische Zeitung «Novy Cas» sowie das «Live Magazin». Zu Beginn seiner journalistischen Laufbahn befasste er sich mit Kriminalität, später fokussierte er sich auf Politik, insbesondere die der EU. Bardy gewann 2017 mit Kollegen den Preis des slowakischen Verlegerverbands für die Berichterstattung zum 25-jährigen Bestehen der Slowakischen Republik.
Velka Maca (Slowakei) – Der slowakische Journalist Jan Kuciak wurde am 21. Februar 2018 mit seiner Verlobten Martina Kusnirova ermordet. Kuciak hatte in einer Recherche Mafia-Verbindungen ins Büro des Regierungschefs nachgewiesen. Die Bluttat brachten so viele Menschen auf die Strasse wie seit der Samtenen Revolution 1989 nicht mehr. In der Folge traten Regierungschef Robert Fico und auch andere Politiker zurück. Auch der Polizeiapparat wurde umgebaut. Im September 2018 wurden vier Verdächtige verhaftet.
Velka Maca (Slowakei) – Der slowakische Journalist Jan Kuciak wurde am 21. Februar 2018 mit seiner Verlobten Martina Kusnirova ermordet. Kuciak hatte in einer Recherche Mafia-Verbindungen ins Büro des Regierungschefs nachgewiesen. Die Bluttat brachten so viele Menschen auf die Strasse wie seit der Samtenen Revolution 1989 nicht mehr. In der Folge traten Regierungschef Robert Fico und auch andere Politiker zurück. Auch der Polizeiapparat wurde umgebaut. Im September 2018 wurden vier Verdächtige verhaftet.