Kolumne «Wild im Herzen»
Die Schmetterlinge unserer Kindheit

Die Zahl der Insekten hat in den letzten dreissig Jahren um bis zu 80 Prozent abgenommen. Betroffen von der dramatischen Entwicklung ist auch das Weissfleck-Widderchen.
Publiziert: 18.07.2019 um 22:54 Uhr
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Aktualisiert: 24.01.2024 um 00:05 Uhr
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Simon Jäggi, Mitarbeiter Naturhistorisches Museum Bern.
Foto: Thomas Buchwalder
Simon Jäggi

Wenn Sie auch zu den nicht mehr ganz jungen Schnaufern zählen, teilen wir drei Dinge: Wir sind ohne Handy aufgewachsen, lesen Zeitungen auf Papier – und erinnern uns, dass es früher mehr Schmetterlinge gab. 

Als Kind verbrachte ich jedes Jahr die Sommerferien im Tessin. Ich erinnere mich an die Abende, als jeweils Hunderte dieser schwarzen Schmetterlinge mit den weissen Punkten über den Fluss flatterten. Auch heute gehe ich regelmässig ins Maggiatal, erst jetzt ist mir aber aufgefallen, dass ich sie nur noch ganz selten antreffe, diese unbeholfen fliegenden Falter.

Augenweide für YB-Fans

Bei der Art handelt es sich um das Weissfleck-Widderchen. Der Nachtfalter weist eine Flügelspannweite von bis zu vier Zentimetern auf. Bei näherer Betrachtung glänzen die schwarzen Flügel bläulich und haben weisse Punkte, nie gleich viele und unterschiedlich grosse. Gerade für einen YB-Fan ist auch der gelbe Ring am Hinterleib eine Augenweide. Der Falter ist ein Südländer, kommt aber auch nördlich der Alpen vor. 

Besonders ist nicht nur das Aussehen des Falters, besonders ist vor allem, dass er damit eine andere Schmetterlingsart imitiert: das Veränderliche Widderchen (Zygaena ephialtes), das für Vögel giftig ist. Daher lassen die Fressfeinde häufig auch vom ungiftigen Weissfleck-Widderchen. Mimikry nennt sich dieses Phänomen. Selbst die Wissenschaftler, die dem Falter seinen Namen gaben, sind ihm auf den Leim gekrochen: Tatsächlich gehört es nämlich in die Familie der Bärenspinner, nicht zu jener der Widderchen. 

Die Landwirtschaft sind wir alle

Was nicht trügt, ist unsere Erinnerung. Die Schmetterlinge sind wirklich weniger geworden – zusammen mit allen anderen Insekten. Dank neuer wissenschaftlicher Studien weiss man, dass die Situation leider dramatisch ist. Man geht davon aus, dass die Zahl der Insekten in den letzten dreissig Jahren um bis zu 80 Prozent abgenommen hat. Einer der Hauptgründe ist die Landwirtschaft.

Wir sollten aber nicht die Schuld den hart schuftenden Bäuerinnen und Bauern auf den 50'852 Betrieben in der Schweiz in die Schuhe schieben. Die Landwirtschaft sind wir alle. Und wir alle können etwas gegen den bedrohlichen Rückgang der Insekten tun, als Konsumenten, Stimmbürger oder etwa Hobbygärtner.

Simon Jäggi (38) ist Sänger der Rockband Kummerbuben, arbeitet im Naturhistorischen Museum Bern und hält Hühner. Wissenschaftlicher Rat: Prof. Christian Kropf.
Jäggi schreibt jeden zweiten Freitag im BLICK.

 

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