Zwischen Nord- und Südkorea herrscht Tauwetter
Ringe des Friedens

Zwischen Nord- und Südkorea herrscht kurz vor Beginn der Winterspiele Tauwetter. Doch Sportdiplomatie führt selten zu Frieden. Das zeigt ein Blick in die Geschichtsbücher.
Publiziert: 22.01.2018 um 15:44 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 22:05 Uhr
Nordkorea will die Olympischen Spiele, um sich Südkorea anzunähern. Doch ist das Tauwetter von Dauer?
Foto: AFP
Krishnadev Calamur

Nachdem Nordkorea die südkoreanischen Anfragen zur Teilnahme an den Olympischen Winterspielen zunächst ­monatelang ignoriert hat, wird das Land nun wohl Sportler, Publikum und eine Girl-Group zu den Olympischen Spielen schicken, die in etwas mehr als zwei Wochen im südkoreanischen Pyeongchang beginnen. Die Vereinbarung, die am Dienstag nach dem ersten Treffen zwischen den beiden Ländern seit zwei Jahren bekannt gegeben wurde, könnte zu einem Abbau der Spannungen beitragen, die durch Pjöngjangs Atomwaffen- und Raketenprogramme entstanden sind. Könnten. Aber werden sie dies auch?

Die Entwicklung ist ein Durchbruch. Sie wurde von der Ankündigung begleitet, dass beide Seiten militärische Gespräche, die den Konflikt entschärfen sollen, führten. An diesem Punkt waren die beide Staaten schon ein paar Mal.

Sport ist «Krieg ohne Schiessen»

Sowohl bei den Sommerspielen 2000 und 2004 als auch bei den Winterspielen 2006 marschierten die beiden koreanischen Staaten unter gemeinsamer Flagge. Diese Ereignisse wurden ebenfalls als ­historische Durchbrüche gefeiert, aber Pjöngjang und Seoul kehrten danach zu ihrer üblichen Haltung zurück, die aus Misstrauen, Spannungen und häufigen Erinne­rungen an die Tatsache bestand, dass der zwischen 1950 und 1953 geführte Koreakrieg nicht mit ­einem Friedensvertrag, sondern bloss in einem Waffenstillstand ­endete.

Ping-Pong-Diplomatie: US-Präsident Richard Nixon (l.) mit Mao Zedong (2. v. r.) an der Chinesischen Mauer. Der Besuch war das Resultat von Sportdiplomatie: 1971 luden die Chinesen US-Tischtennisspieler ein. Diese Annäherung bereitete den Weg für Nixons Visite.
Foto: Corbis via Getty Images
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«Ich bin immer wieder ­erstaunt, wenn ich Leute sagen höre, dass der Sport ein Wohlwollen zwischen den Nationen schaffe und dass die Völker der Welt keinerlei Neigung hätten, sich auf dem Schlachtfeld zu treffen, wenn sich nur die einfachen Menschen beim Fussball oder Cricket treffen könnten», schrieb George Orwell in seinem Essay «The Sporting Spirit» von 1945, der vielleicht am besten dafür bekannt ist, dass er Sport als «Krieg ohne Schiessen» beschreibt. Orwell fügte hinzu: «Auf internationaler Ebene ist Sport offen gesagt die Nachahmung des Kriegs. Aber das Wesentliche ist nicht das Verhalten der Spieler, sondern die Haltung der Zuschauer – sowie, hinter den Zuschauern, die Haltung der Nationen, die sich in eine Wut über diese absurden Wettbewerbe hineinsteigern. Und – zumindest kurzzeitig – ernsthaft glauben, dass Rennen, Springen und das Schiessen eines Balls die nationale Tugend auf die Probe stellen.»Jeder Fussball-Hooligan kann ein Lied davon singen, dass der Sport Spannungen nicht nur entschärfen, sondern ebenso schüren kann – es gibt sogar eine Legende, die den kurzen Krieg von 1969 zwischen El Salvador und Honduras auf ein Fussballspiel zurückführt. Doch Länder verlassen sich weiterhin auf Sport als diplomatisches Instrument – allerdings mit begrenztem Erfolg. Nehmen wir zum Beispiel Indien und Pakistan: Die beiden Länder haben in der Vergangenheit Cricket als diplomatisches Mittel eingesetzt. Die Beziehungen sind mittlerweile so schlecht, dass Indien sich – ausser bei internationalen Turnieren – weigert, in diesem Sport gegen Pakistan zu spielen. Der Grund: Pakistan unterstütze militante Gruppen. Die USA und der Iran sind ein weiteres Beispiel. Die Bush-Regierung schickte 1998 ein Team amerikanischer Ringkämpfer in den Iran, wo man sie herzlich begrüsste. Der Austausch im Sportbereich bestand zur Zeit der Regierung Obamas weiter – aber die Beziehungen zwischen der Trump-Regierung und dem iranischen Regime in Teheran sind angespannt, und nachdem die Iraner auf die Einreiseverbotsliste des Präsidenten gesetzt worden waren, verweigerte die Islamische Republik den US-Ringern die Ausstellung von Visa.Das hindert das US-Aussenministerium nicht daran, Sport «als einen Weg zu betrachten, sprachliche und soziokulturelle Unterschiede zu überwinden und Menschen zusammenzubringen». Eine Vielzahl von Sportstars, von der Eiskunstläuferin Michelle Kwan bis hin zum Basketballer Shaquille O’Neal haben als Gesandte für das Aussenministerium gedient (ganz zu schweigen vom freiberuflichen Diplomaten und Ex-Basketballer Dennis Rodman, der Nord­korea besuchte. Allerdings ohne Unterstützung der USA). Kwan reiste als öffentliche Botschafterin nach China und an andere Orte, um sich mit jungen Leuten zu treffen; O’Neal spielte Basketball mit kubanischen Kindern. 

Von Hitler bis zur PLO: Sport als Selbstdarstellung

Sport kann auch effektiv der Selbstdarstellung eines oftmals hässlichen Nationalismus dienen. Hitler versuchte auf diese Weise, die arische Überlegenheit bei den Berliner Olympischen Spielen 1936 zu demonstrieren – wobei diese Anstrengung von Jesse Owens, dem afroamerikanischen US-Sprin­ter, der vier Goldmedaillen gewann, schwer beeinträchtigt wurde.

Palästinensische Terroristen nutzten die Olympischen Spiele 1972, um israelische Athleten in München zu töten. Iranische Athleten werden von ihren Führern angewiesen, Wettkämpfe gegen ihre israelischen Kontrahenten aufzugeben, weil sie Israel nicht als legitim ansehen. Zu anderen Zeiten werden Sportereignisse verwendet, um Missstände aufzuzeigen: Die sportliche Rivalität zwischen Japan und Korea wird immer noch von Japans Kriegsverbrechen auf der koreanischen Halbinsel überschattet, und koreanische Fans buhen die japanische Hymne aus oder übertönen sie. In Spanien schwenken Unterstützer der katalanischen Unabhängigkeit stolz das Logo der Fussballmannschaft FC Barcelona.Michael Rubin, ein am American Enterprise Institute tätiger Wissenschaftler, schrieb 2014 in der Zeitschrift «Foreign Policy»: «Gewiss, Sportler überwinden bei interna­tionalen Spielen oft die diplomatischen Gräben und tauschen Präsente, Anstecker und Trikots aus. Aber wenn abgepfiffen wird, die Lichter gedimmt werden und die Teilnehmer sich die Hände geschüttelt haben, haben immer noch die gleichen Politiker das Sagen.»

Alles zur Teilnahme von Nordkorea an den Olympischen Spielen

Nachdem Machthaber Kim Jong Un in seiner Neujahrsansprache Dialogbereitschaft signalisiert hatte, trafen sich Vertreter von Nord- und Südkorea erstmals seit mehr als zwei Jahren zu direkten Gesprächen. Neben Schritten zur militärischen Deeskalation ging es um die Teilnahme Nordkoreas an den Olympischen Winterspielen.

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Mann macht ein Foto von Stacheldrahtzaun, der mit Nationalfahnen und Fahnen des einheitlichen Korea geschmückt ist.
AP

Nachdem Machthaber Kim Jong Un in seiner Neujahrsansprache Dialogbereitschaft signalisiert hatte, trafen sich Vertreter von Nord- und Südkorea erstmals seit mehr als zwei Jahren zu direkten Gesprächen. Neben Schritten zur militärischen Deeskalation ging es um die Teilnahme Nordkoreas an den Olympischen Winterspielen.

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Die Ping-Pong-Diplomatie des «grossen Satans»

Wenn überhaupt, dann spiegelt Sport ein gewisses Mass an Wohlwollen zwischen Nationen wider, anstatt die Ursache dafür zu sein. Das bekannteste Beispiel für eine Annäherung zwischen zwei Staaten über den Sport ist die Ping-Pong-Diplomatie in den frühen 70er-Jahren zwischen China und den USA, die Präsident Nixons historischem Besuch in China zugeschrieben wurde. Doch dieser Coup war das Ergebnis monatelanger, stiller Diplomatie, an der Pakistan, damals ein zentraler amerikanischer Verbündeter, beteiligt war. Der altgediente amerikanische ­Diplomat Chas Freeman erinnerte sich später: «Für die meisten Leute im US-Aussenministerium war die Ping-Pong-Diplomatie ein kleiner, aber interessanter Hinweis der chinesischen Seite auf ein Interesse an einer guten Beziehung zu den Vereinigten Staaten. Es war damit der Höhepunkt eines grossen diplomatischen Kraftakts.»

Die beiden koreanischen Staaten können zusammen einmarschieren bei der Eröffnung der Olympischen Winterspiele. Indien und Pakistan können beim Cricket gegeneinander antreten, die Iraner den «grossen Satan» anfeuern – aber es reicht ein Raketentest, ein Angriff von Militanten oder eine Bedrohung gegen einen Verbündeten aus, um den guten Willen zu beenden und ihn in Buhrufe, Ausschreitungen im Stadion oder Schlimmeres zu verwandeln.

© 2018 The Atlantic Media Co., as first published in The Atlantic Magazine.

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