Das ist Ihnen bestimmt auch schon passiert: Jemand, den Sie nicht kennen, benimmt sich ziemlich unrühmlich. Sie sind verärgert, ringen mit sich, ob Sie den Unbekannten tadeln sollen. Tun Sie es nicht, ärgern Sie sich im Nachhinein und sagen: Ach, hätt ich doch bloss.
Der 26-jährige Berner Gil Wenger reagierte, machte seinem Ärger Luft und wird jetzt für seinen Mut auf Social Media gefeiert. Wer von seiner kleinen Heldentat hört, denkt sich: Das Land braucht mehr von diesen kleinen Helden. Öffentliche Diskussionsrunden, politische Vorstösse – alles gut, alles wichtig. Aber wir sollten Sexismus und Rassismus bereits in kleinsten Alltagssituationen im Keim ersticken und das Gegenüber direkt auf seine despektierliche Art ansprechen. Denn dann muss es sofort reagieren und sich rechtfertigen.
Der Mann, der im Zug laut über Interna plaudert
Und nun Gils Geschichte. Gil Wenger sitzt an einem Nachmittag im Zug. Strecke Zug–Zürich. Sein Sitznachbar telefoniert mit einem Geschäftspartner. Wenger bekommt das Telefonat 1:1 mit. Es geht um eine vertrauliche Personalentscheidung. Der Herr sagt: «Das ist noch vertraulich, aber wir haben die Frau Winkler eingestellt. [...] Jaaa, die muss sich erst noch beweisen. [...] Das Gute ist, dass wir dadurch die Frauenquote wieder etwas verbessern können. Und zum Glück in einem Bereich, in dem es nicht so schlimm ist. [...] Immerhin ist sie nicht mehr schwangerschaftsgefährdet.»
Erst zögert Gil, fragt sich, ob er überhaupt einschreiten soll, dann, wie er das tun soll, schliesslich ist der Mann am Telefon. Doch als er das Wort «schwangerschaftsgefährdet» hört, reicht es ihm. Da sein Sitznachbar ohnehin ständig auf seinen Laptop starrt, nimmt Wenger allen Mut zusammen, tippt eine Botschaft in Rot in den Computer und dreht den Bildschirm in Richtung des Sitznachbarn. Seine Message: «Frauenquoten sind schon deswegen nötig, damit es weniger Kotzbrocken wie dich in Führungspositionen gibt.»
Frauen danken ihm, Männer nennen ihn «Ehrenmann»
Verdutzt weiss der Mann gar nicht wie auf die direkte Zurechtweisung reagieren. Schliesslich steht er wütend auf, rempelt den Nachbarn, der sich erdreistet, sich einzumischen, beim Zusammenpacken seiner Sachen immer wieder an, schwafelt etwas von Frechheit und macht sich davon.
Gil postet sein Erlebtes inklusive der Textnachricht für den Sexisten auf Facebook. In kurzer Zeit wird sein Post über 5000-mal gelikt und über 1000-mal geteilt. Gil ist überrascht über die vielen Reaktionen. Doch sie sind überwiegend positiv. Die User feiern Gils Mut. Frauen danken ihm, Männer nennen ihn einen «Ehrenmann».
Um Sexismus im Alltag, der vielen gar nicht (mehr) auffällt, Einhalt zu gebieten, braucht es Männer, die andere Männer zurechtweisen. Sein Zugnachbar hat sich nicht gemeldet. «Noch nicht», sagt Gil und lächelt.
Auf diese Weise eingeschritten sei er vorher noch nie, erzählt der Berner. Aber er ist sich sicher: «Ich würde es immer wieder machen. Gestärkt durch den Rückhalt, den ich erfahren habe.» Gil sagt jetzt: «Wenn man in eine solche Situation kommt, gehört sich das.» Er wünscht sich, dass andere sich auch einmischen und für andere einstehen.
Nicht nur beim Thema Sexismus und nicht nur Männer. Sondern die ganze Gesellschaft. Am Ende gehe es um unser aller Zusammenleben.