In diesem Badezimmer-Video geht es schmutzig zu und her: Auri Kananen (29), Hygienemaske vor dem Mund, Schaber und Schwamm in den Händen, kratzt eine Schimmelpilz-Schicht von den Kacheln. Einen Tag später schrubbt die Finnin schwarze Verkrustungen von einer Küchenplatte. Die selbst ernannte «Queen of Cleaning» veröffentlicht regelmässig selbst gedrehte Filmchen über das Tiefenreinigen – und fast zehn Millionen Menschen aus aller Welt schauen ihr zu. Clip zwei: Einen Spritzer Zitrus-Putzmittel drauf, schrubben, abbrausen, fertig – die Dusche glänzt wieder. Nächster Clip: Rieselndes Pulver, ein Schuss Wasser. Es blubbert. Rohr frei!
Tausende zelebrieren derzeit auf den sozialen Netzwerken die Arbeit mit Gummihandschuhen. Je ekliger der Beginn des Videos, desto besser. Am Ende teilen alle stolz ihr grandioses «Nachher-Erlebnis».
Erste Erfolge feierte die private Putzequipe im Pandemie-Lockdown – sozusagen als erweiterte Version der Aufräumexpertin Marie Kondo. Inzwischen verzeichnen sie unter Hashtags wie #cleaning, #deepcleaning, #cleantok oder #cleanwithme auf Tiktok und Instagram Milliarden Views. Im Juni gab der Konsumgüterriese Unilever in Anbetracht des Putzhypes eine Partnerschaft mit Tiktok bekannt – nun gibt es auf der sozialen Plattform sogar ein Reinigungsfestival und «CleanTok Awards».
Die Putzgurus gewähren Einblicke in die gruseligsten Ecken ihrer Wohnung, saugen meterlange Teppiche und reinigen WCs mit flottem Hintergrund-Pop. Je nach Vorliebe servieren sie detaillierte Hacks wie über das Putzen mit Backpulver oder halten motivierende Ansprachen – und erfegen sich damit eine Karriere: Pro Clip kassieren manche Cleanfluencer laut eigenen Angaben bis zu 1100 Euro. Auffällig ist die archaisch anmutende Tatsache, dass nahezu alle Putzberater weiblich sind. Das erinnert an den Trend mit Stichwort #Stayathomegirlfriend, unter dem Frauen ihren Alltag wie anno 1950 darstellen.
Doch woher kommt diese plötzliche Feier eines alltäglichen Übels? «Intensive Putzaktionen samt Vorher-Nachher-Ergebnis können beruhigend wirken», sagt Jakub Samochowiec vom Gottlieb Duttweiler Institut. Die These des Sozialpsychologen: «Wir stehen der komplexen und von Konflikten geplagten Welt bis zu einem gewissen Grad machtlos gegenüber. Beim Putzen haben wir die Kontrolle und werden mit einer sichtbaren und konkreten Lösung eines klar abgesteckten Problems belohnt – und sei es noch so klein.»
Aber auch mit der Vermutung, dass gewisse Menschen gerne sehen, wenn es bei anderen auch nicht immer picobello aussieht, lehnt man sich wohl nicht zu weit aus dem Fenster …