Neues Handbuch «Sprachräume der Schweiz»
Von viersprachig zu vielsprachig

Ein wissenschaftliches Buch, das am Donnerstag vorgestellt wurde, beleuchtet die komplexe Sprachlandschaft des Landes, einschliesslich der gewachsenen Bedeutung von Englisch, Portugiesisch und Albanisch neben den traditionellen Landessprachen.
Publiziert: 29.11.2024 um 09:09 Uhr
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Aktualisiert: 29.11.2024 um 11:09 Uhr
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Der frühere Nati-Spieler Xherdan Shaqiri zeigt die gewachsene Bedeutung des Albanischen in der Schweiz.
Foto: keystone-sda.ch

Auf einen Blick

  • Schweiz entwickelt sich von viersprachig zu vielsprachig. Neues Handbuch vorgestellt
  • Röstigraben zwischen Deutsch und Französisch konstant geblieben
  • Schon die Landessprachen entstanden durch Migration
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Daniel ArnetRedaktor Gesellschaft / Magazin

Englisch, Deutsch, Ukrainisch, Kroatisch, Französisch, Spanisch: Wer in einer Schweizer Stadt mit dem öffentlichen Verkehr unterwegs ist, bekommt eine Vielzahl an Sprachen zu hören – und dabei handelt es sich nicht primär um die vier offiziellen Landessprachen.

Wir sind auf dem «Weg von der ‹viersprachigen› zur ‹vielsprachigen› Schweiz», steht denn auch im Handbuch «Sprachenräume der Schweiz», welches das Herausgeberteam um Elvira Glaser (Germanistin), Johannes Kabatek (Romanist) und Barbara Sonnenhauser (Slavistin) am Donnerstag in Zürich vorstellte.

Die fast 500-seitige Sammlung mit 19 wissenschaftlichen Beiträgen über die landesweit verwendeten Sprachen – einschliesslich der drei Gebärdensprachen – ist der erste Band einer Gesamtdarstellung der aktuellen Situation in der Schweiz. Band 2 mit Forschungsergebnissen der letzten Jahrzehnte folgt nächsten Spätsommer.

Auf die Landessprachen folgen Englisch und Portugiesisch

«Deutsch», «Français», «English» oder «Portugiesisch» sind die Kapitel im ersten Band schlicht betitelt. Und ein Fazit lautet: «Heute gibt es in der Schweiz weit mehr Sprechende des Englischen, Portugiesischen oder Albanischen als etwa der rätoromanischen Idiome.» Englisch sprechen gemäss BfS 5,8%, Portugiesisch 3,8%, Romanisch bloss 0,5%.

Der Abwärtstrend der vierten Landessprache setzte schon vor Jahrhunderten ein: Die Stadt Chur sei bis ins 16. Jahrhundert dominant romanischsprachig gewesen, «und die Tendenz besteht weiterhin, dass traditionell romanischsprachige Gemeinden nahe der Sprachgrenze ins deutschsprachige Lager wechseln».

Andererseits ist der Röstigraben zwischen dem schweizerdeutschen und frankophonen Gebiet seit Jahrhunderten praktisch konstant. So gab es zuletzt etwa nur eine Zuwanderung deutschsprachiger Bewohner der Gemeinden um Mont Vully FR und einen Rückgang der deutschsprachigen Minderheit in der Stadt Freiburg.

In Freiburg ist das Verhältnis der Sprachgruppen nicht unproblematisch: So habe man den Bahnhof erst 2012 nach rund fünfzig Jahren Lobbyarbeit der deutschsprachigen Minderheit zweisprachig angeschrieben, was als gewisses Zeichen der Entspannung gewertet werden könne.

Durch eine bewusst gestaltete Zweisprachigkeitspolitik der Stadt Biel ist dort das Verhältnis weit entspannter. So gebe es das «Bieler Modell», gemäss dem man sich «des Deutschen oder des Französischen bedient, je nachdem, in welcher Sprache ein Gespräch begonnen wurde».

Schon die Landessprachen entstanden durch Migration

Was in der Kommunikation zwischen verschiedenen Sprachgruppen angebracht sei, müsse ständig neu verhandelt werden, schreibt Raphael Berthelé (54) von der Universität Freiburg in seinem Beitrag: «Sprachen sind nicht statisch, sondern dynamische, sich ständig den Kommunikationsbedürfnissen anpassende Phänomene.»

Weil alles ständig in Bewegung ist, sei der Schutz von Sprachen und Dialekten durch Institutionen ein «ausserordentlich schwieriges Unterfangen», so Berthelé. Und Johannes Kabatek (59) weist darauf hin, dass schon unsere «Landessprachen das Resultat einer komplexen Geschichte von Migrationen» seien.

So geht der Walserdialekt in Graubünden und im Tessin auf Migration zurück. Und Albanisch gehört heute zu den drei am häufigsten verwendeten Nichtlandessprachen, denn nach der Eskalation der Gewalt in Kosovo beantragten innerhalb von zwei Jahren fast 50’000 Kosovarinnen und Kosovaren Asyl in der Schweiz.

Das verändert das Sprachbewusstsein: Wer hätte vor 20 Jahren gewusst, wie man den Namen des Fussballers Xherdan Shaqiri (33) richtig schreibt? Und die Kennerinnen und Kenner der albanischen Sprache wissen auch: Den Familiennamen spricht man richtig «Schatschiri» aus.

Dass wir ihn «Schakiri» aussprechen, zeigt die gegenseitige Anpassung von Sprachen – ein Phänomen, das die Wissenschaftler schon bei den Landessprachen feststellten: «Wenn Sprechende über lange Zeit in gemischtsprachlichen Zonen zusammenleben, führt dies in der Regel zu zunehmender Ähnlichkeit der Sprachen.»

Elvira Glaser/Johannes Kabatek/Barbara Sonnenhauser (Hrsg.), «Sprachräume der Schweiz, Band 1», Narr Francke Attempto 

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