Demonstration für Gleichstellung am Frauenstreiktag 2011 (Archiv)
Foto: Keystone

Meyer rät
«Überprüfen Sie zuerst ihr 
eigenes Frauenbild»

«Ich habe im Freundeskreis gesagt, dass Flüchtlinge ein schlechtes Frauenbild hätten. Seither gelte ich als Nazi», schreibt unser Leser. Der Zürcher Schriftsteller Thomas Meyer nimmt Stellung zu dieser Lebensfrage.
Publiziert: 28.05.2019 um 10:25 Uhr

Ihre Freunde machen den ­gleichen Fehler wie Sie, wenn sie so verallgemeinern. Es ist einfach, jemanden als Nazi zu ­bezeichnen, der sich kritisch über Flüchtlinge äussert. Man stellt sich damit über diese Person und ihre Ansichten – was ein bisschen nazihaft ist, aber das nur am Rande. Gleichzeitig ist es geradezu bösartig, allen Menschen, die aus Kriegsgebieten flüchten, eine frauenfeindliche Gesinnung zu unterstellen (zumal eine ganze Reihe von Flüchtlingen selber weiblich ist).

Es ist allerdings auch naiv, das Gegenteil zu tun und davon auszugehen, dass jeder, der aus dem Nahen Osten nach Europa kommt, ein prima Kerl aus einem toleranten Umfeld ist. Wie in diesen Ländern mit Frauen umgegangen wird, auch mit Homosexuellen, ist absolut empörend, ebenso der Antisemitismus, der dort zum offiziellen Lehrplan zu gehören scheint. Die Frage, wie viel von dieser Geisteshaltung man hier haben will, ist berechtigt und findet in den Übergriffen, die von Migranten ausgehen, eine betrübliche Antwort.

Sind wir wirklich so viel besser?


Fragen müssen wir uns allerdings auch: Sind wir wirklich so viel besser? Achten wir Frauen? Geben wir ihnen den gleichen Lohn wie ihren männlichen ­Kollegen? Verschonen wir sie 
vor ­unserer billigen Anmache? Geniessen Homosexuelle bei 
uns dieselben Rechte wie andere Menschen? Und sehen wir davon ab, antisemitische Klischees zu pflegen? All diese Fragen muss man leider mit Nein beantworten. Wir sind vielleicht weniger gewalt­tätig als andere, vielleicht etwas gesitteter, aber nicht anders. Die genannten Probleme sind keine muslimischen, sondern globale. Wenn Sie sich an einem schlechten Frauenbild stören, sollten Sie zuerst Ihr eigenes prüfen. Und nicht gegen Flüchtlinge hetzen, sondern Ihr Umfeld massregeln, wenn dort verbale oder gar physische Fehltritte stattfinden. Das wäre mutig.

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