Die Schweiz ist ein grosser wirtschaftlicher Widerspruch. Wir sind eines der reichsten, aber auch eines der ärmsten Länder der Welt. Gemessen an Wohlstands-faktoren wie Lohn, Lebenserwartung und Freiheit sind wir international absolute Spitze. Gemessen an Rohstoffen sind wir ein Schlusslicht. Fast kein Land hat weniger natürliche Vorkommen an Gold, Öl, Gas oder anderen wertvollen Materialien. Wie haben wir aus Nichts so viel Wert erschaffen?
So wichtig sind Bildung und Erfindergeist
Die Antworten liegen auf der Hand: Bildung und Erfindergeist. Der Standort Schweiz hat jahrhundertelang davon profitiert, dass Macher und Denker in Ruhe und abseits von Kriegen die Zukunft gestalten konnten. Das Schweizer Gütesiegel ist so nach und nach zu einem Garanten höchster Qualität geworden. Auch heute ist das Land immer noch an der Spitze der innovativsten Länder der Welt. Aber Vorsicht: Nichts hält für ewig, und schon gar nicht ohne Anstrengung! Unser duales Bildungssystem und unsere Hochschulen sind zwar einzigartig, doch genügt diese Einzigartigkeit auch weiterhin für unsere wirtschaftliche Zukunft?
Die Elite hat es verstanden
Ich habe meine Zweifel. Die Wohlstandsmotoren des letzten Jahrhunderts waren grosse Maschinen, die man in der Industrie benötigte, die chemische Industrie und die Präzisionstechnik. All diese Technologien waren damals nicht Teil unseres täglichen Lebens. Somit war es auch nicht nötig, dass ein Grossteil der Bevölkerung diese begriff. Es reichte, wenn eine kleine Elite verstand, wie all das funktionierte.
Die Welt, in der wir heute leben, ist eine radikal andere. Innovation kommt von überall, und meist von da, wo man sie nicht erwartet. Die Airbnb-Gründer verstanden von der klassischen Hotellerie ebenso so wenig wie die Uber-Gründer vom Transportwesen. Geschäftsfelder, die über Jahrhunderte sichere Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt haben, werden innerhalb von zehn Jahren von innovativen Start-ups auf den Kopf gestellt. Und neue Technologien, oft an Hochschulen entwickelt, erobern innerhalb weniger Jahre die Welt. Sie werden in Milliarden von Smartphones fast über Nacht überall zur Gewohnheit. Technologie ist also längst nicht mehr nur noch etwas für die Spezialisten. Sie ist heute Alltag.
Warum wir Programmieren lernen müssen
Aus diesem Grund müssen wir uns wieder auf unsere besten Karten besinnen: Bildung und Erfindergeist. Doch dieses Mal sind wir im digitalen Zeitalter. Und bei dieser vierten industriellen Revolution müssen wir alle mitmachen, nicht bloss eine technologische Elite. Das Programmieren, eine der Kerntechnologien des 21. Jahrhunderts, muss also zum Beispiel zum Grundschulstoff der Schule gehören (so wie Lesen und Schreiben). Die Tatsache, dass meine Kinder von sechs und neun Jahren in der Schule noch kein einziges Mal ernsthaft damit konfrontiert wurden, besorgt mich zutiefst. Denn in ihrem Alter haben sie und ihre Freunde bereits wöchentlich stundenlangen Kontakt mit der digitalen Welt. Nur wenn in Zukunft alle die Technologien des 21. Jahrhunderts mitgestalten, können wir unseren Nachkommen Wohlstand garantieren. Einen anderen Rohstoff als Erfindergeist haben wir nicht.