Der Salathé Report
Die Elite 
sind wir alle

Marcel Salathé ist Professor für digitale Gesundheit an der EPFL und spielte mit seiner Band früher als Vorgruppe von Lenny Kravitz
Publiziert: 11.11.2018 um 14:46 Uhr
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Aktualisiert: 19.11.2018 um 15:59 Uhr
Marcel Salathé

Die Schweiz ist ein ­grosser wirtschaftlicher Widerspruch. Wir sind eines 
der reichsten, aber auch ­eines der ärmsten Länder der Welt. Gemessen an Wohlstands-­faktoren wie Lohn, Lebens­erwartung und Freiheit sind wir international absolute Spitze. Gemessen an Rohstoffen sind wir ein Schlusslicht. Fast kein Land hat weniger ­natürliche ­Vorkommen an Gold, Öl, Gas oder anderen wertvollen Materia­lien. Wie haben wir aus Nichts so viel Wert erschaffen?

So wichtig sind Bildung und Erfindergeist

Die Antworten liegen auf der Hand: Bildung und Erfindergeist. Der Standort Schweiz hat jahrhundertelang davon profitiert, dass Macher und Denker 
in Ruhe und abseits von Kriegen die Zukunft gestalten konnten. Das Schweizer Gütesiegel 
ist so nach und nach zu einem ­Garanten höchster Qualität ­geworden. Auch heute ist das Land immer noch an der Spitze der innovativsten Länder der Welt. Aber Vorsicht: Nichts hält für ewig, und schon gar nicht ohne Anstrengung! Unser duales Bildungssystem und unsere Hochschulen sind zwar einzig­artig, doch genügt diese ­Einzigartigkeit auch weiterhin für ­unsere wirtschaftliche ­Zukunft?

Die Elite hat es verstanden

Ich habe meine Zweifel. Die Wohlstandsmotoren 
des letzten Jahrhunderts 
waren grosse Maschinen, die man in der ­Industrie benötigte, die chemische Industrie und 
die Präzisionstechnik. All diese Technologien waren damals nicht Teil unseres täglichen ­Lebens. Somit war es auch nicht nötig, dass ein Grossteil der ­Bevölkerung diese begriff. Es reichte, wenn eine kleine Elite verstand, wie all das funktionierte.

Die Welt, in der wir heute leben, ist eine radikal andere. Innova­tion kommt von überall, und meist von da, wo man sie nicht erwartet. Die Airbnb-Gründer verstanden von der klassischen Hotellerie ebenso so wenig wie die Uber-Gründer vom Transportwesen. Geschäftsfelder, 
die über Jahrhunderte sichere Arbeitsplätze zur Verfügung ­gestellt haben, werden innerhalb von zehn Jahren von innovativen Start-ups auf den Kopf gestellt. Und neue Technologien, oft an Hochschulen entwickelt, erobern innerhalb weniger Jahre die Welt. Sie werden in Milliarden von Smartphones fast über Nacht überall zur Gewohnheit. Technologie ist also längst nicht mehr nur noch etwas für die Spezialisten. Sie ist heute Alltag.

Warum wir Programmieren lernen müssen

Aus diesem Grund müssen 
wir uns wieder auf unsere besten Karten besinnen: Bildung und Erfindergeist. Doch dieses Mal sind wir im digitalen Zeitalter. Und bei dieser vierten indust­riellen Revolution müssen 
wir alle mitmachen, 
nicht bloss eine ­technologische Elite. Das Programmieren, eine der Kerntechnologien des 21. Jahrhunderts, muss also zum Beispiel zum Grundschulstoff der Schule gehören (so wie Lesen und Schreiben). Die Tatsache, dass meine Kinder von sechs und neun Jahren in der Schule noch kein einziges Mal ernsthaft damit konfrontiert wurden, besorgt mich zutiefst. Denn in ihrem ­
Alter haben sie und ihre Freunde ­bereits wöchentlich stunden­langen Kontakt mit ­der digitalen Welt. Nur wenn in ­Zukunft 
alle die Technologien des 21. Jahrhunderts mitgestalten, können wir unseren Nach­kommen ­Wohlstand garantieren. ­Einen ­anderen Rohstoff als ­Erfinder­geist haben wir nicht. 

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