Helen Fisher, was passiert in unserem Hirn, wenn wir verlassen werden?
Helen Fisher: Im Hirn findet dieselbe Aktivität statt, wie wenn wir verliebt sind. Unser Hirn schüttet das antriebssteigernde Hormon Dopamin aus.
Wieso?
Das Hormon verleiht uns die Energie und die Zielstrebigkeit,
die Person zurückzugewinnen. In der ersten Phase nach dem Verlassenwerden haben die meisten nur dieses eine Ziel. Sie schreiben, rufen betrunken an, besuchen
den oder die Ex. Sie versprechen, sich zu ändern, versuchen zu verführen, kaufen Geschenke. Sie tun alles, um ihren Partner zurückzuerobern.
Warum tun wir das?
Der wichtigste evolutionäre Grund ist: Wir haben die Möglichkeit verloren, uns fortzupflanzen. Daran leiden wir. Menschen bringen sich sogar um deswegen.
Sie sagen, wir reagieren wie Drogensüchtige, die keinen Stoff mehr bekommen.
Ja. Der Unterschied ist: Drogensüchtige bringen sich meist um, wenn sie auf Drogen sind. Menschen, die ihre Liebe verlieren, bringen sich um, weil sie die
Droge nicht mehr bekommen.
Doch die meisten von uns geben irgendwann auf. Dann kommt die zweite Phase.
Was passiert da?
Resignation. Männer schauen pausenlos TV, Frauen weinen.
Wir werden antriebslos. Aber dann beginnt hoffentlich die Zeit der Erholung, und Verlassene entwickeln ein neues Ich. Nur, das kann sehr lange dauern. Bei manchen Menschen drei oder vier Jahre. Nach einer Weile beginnt man die Emotionen zu verlieren, aber vergessen kann man das Verlassenwerden nie.
Warum nicht?
Liebeskummer ist körperlicher Schmerz. Eine Hirnregion wird aktiv, die für physischen Schmerz zuständig ist. Dieselbe wie für Zahnschmerzen. Aber nach einer Wurzelbehandlung erinnern Sie sich bereits eine Woche später nicht mehr an den Schmerz. Wenn Sie verlassen werden, hingegen schon. Es ist erstaunlich, wie lang wir uns daran erinnern. Eine Trennung ist etwas vom Schmerzlichsten, was ein Mensch erleben kann. Das Hirn ist dazu gemacht, aufgrund eines Partnerverlusts zu leiden.
Was hilft?
Eine milde Form der Depression hilft uns, die Dinge klar zu sehen. Liebeskummer aktiviert bei uns eine Region im Hirn, die kalkuliert, was wir verloren und was wir gewonnen haben. Normalerweise laufen wir mit einer rosa Brille herum. Wenn wir verlassen werden, sehen wir das Leben in seiner ungeschönten Realität. Wir beginnen sehr klar zu denken. Das hilft, um wieder auf die Beine zu kommen.
Meine Sie das ernst?
Eines muss ich klarstellen: Ich rede nicht von schweren Depressionen. Aber eine milde Depression kann uns helfen, die Dinge zu sehen, wie sie sind. Und die Depression hat noch eine weitere Aufgabe: Sie sendet ans Umfeld das Signal: Hier braucht jemand Hilfe.
Aber evolutionsbiologisch
wäre doch die beste Reaktion,
so schnell wie möglich einen neuen Partner zu finden!
Ja, aber das Hirn sagt einem: Du hast ja einen Partner! Gewinne ihn zurück! Und dasselbe Hirn sagt uns: Was hast du jetzt daraus gelernt? Die Menschen beginnen sich dann zu sammeln, um begehrenswert für einen neuen Partner zu werden. Depressive findet niemand attraktiv.
Bei manchen dreht Liebe in
Hass um. Wie ist das möglich, dass wir jemanden, den wir
einst liebten, plötzlich hassen?
Hass und Liebe sind eng verbunden. Das Gegenteil von Liebe
ist nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit.
Wenn uns Liebeskummer
so quält, wieso lassen wir es
dann zu, dass wir uns wieder verlieben?
Unser Hirn ist so aufgebaut. 97 Prozent aller Säugetiere bilden keine Zweier-Teams. Wir aber tun es. Die simple Tatsache, dass wir uns als Paare zusammenfinden und überhaupt treu sein können, ist das wirklich Erstaunliche – und die Ursache dafür ist diese seltsame Anziehungskraft, die wir Liebe nennen. So viele Leute sagen zu mir: Ich werde mich nie mehr verlieben. Fünf Jahre später tun sie es wieder. Das ist in unserem Gehirn drin, das kriegt man nicht raus.
Aber daraus resultiert ja am Ende doch nur Leiden …
Nein, gute Beziehungen sind äusserst gut für den Körper. Sie sind gut für Herz, Lungen und für unser Immunsystem. Sie helfen uns gegen Stress, senken den Cholesterinspiegel, verbessern den Schlaf. Leute in guten Beziehungen leben sieben bis zehn Jahre länger.
Noch nie hatten 30-Jährige
im Schnitt so viele Trennungen hinter sich wie heute. Weshalb?
Wir waren 10'000 Jahre lang Bauern. Einen Bauernhof kann man nicht einfach verschieben. Wir mussten jung heiraten und dafür sorgen, dass der Partner bei uns bleibt, bis wir sterben. Also haben wir Traditionen begründet, die Frauen ans Haus binden und sie
am Weglaufen hindern: Der Platz der Frau ist zu Hause, sie hat den Haushalt zu schmeissen, und sie muss als Jungfrau in die Ehe kommen. Aber wissen Sie, ich bin Anthropologin. Und ich weiss, dass die Menschen in 99 Prozent ihrer Zeit Jäger und Sammler waren.
Was meinen Sie damit?
Die Frauen jagten und sammelten genauso wie die Männer. Frauen hatten damals bis zu drei Ehen in ihrem Leben. Und wieso? Weil sie sexuell, sozial und wirtschaftlich unabhängig waren. Sie brauchten die Männer nicht, sie konnten weglaufen. Heute reden alle über die Technologie und wie sie die Beziehungen verändert. Aber die wirkliche Veränderung ist nicht
die Technologisierung, sondern dass Frauen auf der ganzen Welt zurück in den Arbeitsmarkt drängen. So werden sie ökonomisch unabhängig. Frauen müssen nicht mehr 60 Jahre in einer Ehe sein, die sie unglücklich macht. Frauen gewinnen die Macht zurück, die sie vor einer Million Jahren hatten.
Liegt es auch daran, dass die heutige Generation keine Werte und Normen mehr hat?
Ich glaube nicht. Aber es gibt einen Trend, den ich «Slowlove» nenne. Wie alt sind Sie?
Ich bin 32.
O. k. Mich beeindruckt Ihre Generation. Die heute Mitte 20- und Anfang 30-Jährigen dehnen die unverbindliche Phase einer Beziehung in die Länge.
Wie meinen Sie das?
Ihr stürzt euch nicht mehr in die Heirat. Ihr geht langsam vor: Ihr seid mit euren Partnern erst befreundet, dann geht ihr mit ihnen ins Bett, dann stellt ihr sie langsam euren Freunden und Familien vor, dann zieht ihr zusammen. Die Menschen lernen heute über eine lange Zeit, was sie wollen. Sie üben sexuell und in der Beziehung.
Das hilft. Ich sehe das positiv.
Aber erst mal will sich keiner
so richtig festlegen.
Ich finde es gut, wenn jemand bis
30 drei Beziehungen hinter sich hat, weil die Person so garantiert etwas über ihre Bedürfnisse gelernt hat. Daraus entstehen glücklichere Ehen. Ich bin gerade daran, eine Studie mit 1500 Ehepaaren durchzuführen, und ich frage sie dort unter anderem: Würden Sie Ihren Partner nochmals heiraten? 81 Prozent sagen Ja. Ich glaube, wir werden in eine Phase stabilerer Partnerschaften vorstossen, weil sich Paare mehr Zeit füreinander nehmen.
Die US-Amerikanerin Helen Fisher (73) ist eine der weltweit bekanntesten Liebesexpertinnen. Die Anthropologin und Autorin verbringt ihr ganzes Leben damit, die romantische Liebe zu studieren. Um die Hirnaktivität von Verliebten und von Verlassenen zu untersuchen, schickte sie Leute in den Computertomografen. Fisher hat zahlreiche Bücher verfasst, unter anderem «Anatomy
of Love». Für Fisher ist Liebe keine Emotion, sondern ein Trieb. Und eine natürliche Sucht, die fast alle Menschen erfahren. Fisher lehrt an der Rutgers-Universität in New Bruns-wick, New Jersey.
Die US-Amerikanerin Helen Fisher (73) ist eine der weltweit bekanntesten Liebesexpertinnen. Die Anthropologin und Autorin verbringt ihr ganzes Leben damit, die romantische Liebe zu studieren. Um die Hirnaktivität von Verliebten und von Verlassenen zu untersuchen, schickte sie Leute in den Computertomografen. Fisher hat zahlreiche Bücher verfasst, unter anderem «Anatomy
of Love». Für Fisher ist Liebe keine Emotion, sondern ein Trieb. Und eine natürliche Sucht, die fast alle Menschen erfahren. Fisher lehrt an der Rutgers-Universität in New Bruns-wick, New Jersey.