Von Sandra Casalini
Seelenruhig stochert Camilo in seinem Teller mit Yucca, rührt im Teebecher. Seine Mama wirft ihm einen warnenden Blick zu. Gut 20 Minuten braucht der Achtjährige für den Schulweg. «Ich renne, dann sinds nur zehn», meint er grinsend. Das reichhaltige Frühstück, das Camilo und seine Geschwister Samir (5) und Kayla (3) täglich bekommen, ist keine Selbstverständlichkeit. Die drei wachsen in Trigo Loma auf, einem abgelegenen Bergtal rund 400 Kilometer von der bolivianischen Hauptstadt Sucre entfernt, auf 2020 Metern Höhe.
Wie die meisten Leute hier leben auch ihre Eltern vom Ackerbau, sind Selbstversorger. Angepflanzt werden traditionellerweise vor allem Mais und Kartoffeln, die Bauern züchten Schweine, Ziegen und Hühner. An Obst und Gemüse kommen die meisten Familien kaum heran. Die Folge: Die Kinder leiden an Mangelernährung, ihnen fehlt es an Vitaminen, Mineral- und Ballaststoffen.
«Komm, ich zeig dir den Garten», sagt Samir und springt vom Stuhl. Markus Mader (59) folgt dem Knirps. Dass Carola Escobar Guerrero (31) und Iver Aramayo Melendres (32) hier Karotten, Zucchetti, Spinat und Salat anpflanzen können, verdanken sie einem Projekt des SRK. Sie erhalten nicht nur das Saatgut, das sie sich nicht leisten könnten, sondern auch das Wissen vermittelt, wie man den Garten anlegt und pflegt. Zusätzlich wurden Fischteiche angelegt, die sich Carola und Iver mit weiteren Familien teilen.
Was nach wenig klingt, bedeutet viel für diese Familie. Das weiss Markus Mader. «Ernährung, Hygiene, Gesundheit, Bildung, soziale Verantwortung – all das hängt zusammen. Und wenn es um Prävention geht, muss man auf der ersten Treppenstufe anfangen.»
Dass Carola und Iver in der Lage sind, ihre Kinder vernünftig zu ernähren, bedeutet, dass die drei ihre Ausbildung abschliessen können und nicht so früh wie möglich arbeiten müssen, um ihre Eltern zu unterstützen. Es bedeutet, dass Camilo, Samir und vor allem auch Kayla, das Mädchen, die Chance auf ein selbstbestimmtes, gewaltfreies Leben haben.
Das ist in diesem Teil der Welt – Bolivien gehört zu den ärmsten Ländern Südamerikas – alles andere als selbstverständlich. Häusliche Gewalt, Femizide, Teenagerschwangerschaften kommen immer noch verhältnismässig häufig vor, es braucht diesbezüglich noch viel Aufklärungsarbeit.
«Mein Vater war Alkoholiker», erzählt Iver so selbstverständlich, als ob es sich dabei um einen Job handle. Neun Kinder satt bekommen? Unmöglich. Mit 14 geht Iver nach Sucre, arbeitet auf dem Bau, holt den Sekundarschulabschluss nach. Als sein Bruder schwer verunfallt, kommt er zurück nach Trigo Loma, unterstützt ihn. Carolas Geschichte ist ähnlich.
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Sie pflegt heute ihre kranke Mutter, das Ziel, Informatik zu studieren, bleibt ein Traum. «Unser grösster Wunsch ist, dass unsere Kinder ihre Ausbildung abschliessen können», sagt Iver.
Für Markus Mader sind die Ernährungsprojekte in Trigo Loma ein grosser Erfolg. Nicht nur, weil «hier die vom SRK angestrebte und sehr wichtige Hilfe zur Selbsthilfe perfekt umsetzt wird, sondern auch, weil die Programme von lokalen Organisationen durchgeführt werden. Es ist wichtig, dass der Bevölkerung das Wissen von ihresgleichen vermittelt wird, die ihre Sprache sprechen und ihre Kultur verstehen, und nicht von Ausländern, die ihnen die Welt erklären», sagt der St. Galler.
Mader weiss, wovon er spricht, schliesslich ist er seit über 30 Jahren fürs Rote Kreuz tätig, spricht dank seiner Zeit als IKRK-Delegierter in Peru fliessend Spanisch. Seit 2008 leitet er als Direktor die operativen Geschicke des SRK.
Projekte wie dieses besucht Markus Mader regelmässig. Obwohl er, gerade bei der Nothilfe, schon viel schlimmere Schicksale gesehen hat, überfällt ihn nach der Heimkehr nach Bern regelmässig das schlechte Gewissen. «Mein Job ist eine ständige Achterbahnfahrt. Auf der einen Seite ist es frustrierend, mehr oder weniger täglich mit der riesigen Schere zwischen Arm und Reich konfrontiert zu sein. Auf der anderen Seite ist es schön zu sehen, dass man – wie hier in Bolivien – mit relativ wenig Aufwand viel erreichen kann.»
Der humanitäre Gedanke ist schon lange Teil von Markus Maders Leben. Als Student fuhr er Behindertentaxi, in den Achtzigern nahm er Flüchtende auf. «In einem anderen Gebiet zu arbeiten, kann ich mir nicht vorstellen», sagt der Vater von zwei erwachsenen Adoptivkindern.
Auf dem letzten Teil der Reise stehen offizielle Treffen mit dem Bolivianischen Roten Kreuz an. Das Ziel: eine noch engere Zusammenarbeit.
So, dass künftig noch mehr Kinder nicht nur ein gesundes Zmorge bekommen, sondern auch die Aussicht auf eine gesunde Zukunft.