Darum gehts
Die Freibadsaison ist eröffnet, und viele Kinder möchten am liebsten den ganzen Tag in der Badi verbringen – ab einem gewissen Alter gern auch mal ohne Eltern.
Alt genug für Alleingänge?
Doch ab welchem Lebensjahr ist ein Kind wirklich reif genug dafür? Die Schweizerische Lebensrettungs-Gesellschaft (SLRG) gibt dazu keine eindeutige Empfehlung ab. Denn nicht das Alter allein ist entscheidend, sondern ein Zusammenspiel vieler Faktoren, wie Reto Abächerli (46) erklärt. «Allem voran sollten Kinder in der Lage sein, die wichtigsten Regeln rund um einen sicheren Badibesuch einzuhalten.» Fünf Punkte findet der Experte relevant.
Ich gehe nie allein ins Wasser:
«Wenn man gegenseitig aufeinander schaut, kann einer Alarm schlagen, falls dem anderen etwas passiert.»
Ich weiss, was ich im Notfall tun muss:
«Würde eine bedrohliche Situation respektive ein Notfall erkannt, so ist die Alarmierung das A und O. Es gilt, möglichst rasch Erwachsene auf die Situation aufmerksam zu machen und sich gleichzeitig nicht selber zu gefährden.»
Ich beachte Baderegeln:
«Ausserdem sollten Kinder und Jugendliche allfälligen Anweisungen des Badipersonals Folge leisten.»
Ich verhalte mich rücksichtsvoll und risikokompetent:
«Dazu gehört, dass man sich nicht auf Wettrennen, Rangeln und Schubsen am Beckenrand einlässt, dass man nur dort ins Wasser springt, wo es erlaubt und das Wasser tief genug ist, dass man Sicherheitsabstände am Sprungturm oder bei der Rutsche einhält – und dass man sich gegenüber anderen Badegästen rücksichtsvoll verhält.»
Ich achte darauf, dass es meinem Körper gut geht:
«Genügend essen und trinken ist wichtig. Man sollte weder mit zu leerem noch mit zu vollem Magen schwimmen gehen, denn sowohl Hunger und Dehydrierung als auch ein Völlegefühl beeinträchtigen die Leistungsfähigkeit. Auch Pausen am Schatten gehören dazu.»
Doch ab welchem Alter können Kinder sich selbst so weit regulieren, dass sie diese Regeln einhalten? Das lässt sich nicht pauschal sagen, meint Reto Abächerli. Sinnvoll sei, dass ein Kind vor dem ersten Badibesuch mit Freunden den Wasser-Sicherheits-Check (WSC) bestanden habe. Neben einer gewissen Schwimmkompetenz braucht es jedoch auch ein vorbeugendes Gefahrenbewusstsein. «In der Regel entwickelt sich die Fähigkeit, Situationen präventiv einschätzen und handeln zu können, ab ungefähr dem zehnten Lebensjahr. Dies zeigt die aktuelle Forschung aus der Entwicklungspsychologie. Vorher würde ich kein Kind allein mit Freunden und ohne erwachsene Begleitung in die Badi lassen.»
Ob ein Kind bereits ein entsprechendes Bewusstsein entwickelt hat, erkennen Eltern an Alltagssituationen. «Wenn es beim Velofahren wild um die Ecke schiesst, ohne zu schauen, was danach kommt, zeigt das: Das Bewusstsein für Risiken ist noch nicht ausgereift.»
Ein unterschätzter Faktor: Die Gruppendynamik
Es kommt jedoch nicht nur auf das Kind und seine Fähigkeiten an, sondern auch auf die Umstände des Badibesuchs. «Kinder verhalten sich in Gruppen anders als allein», sagt Abächerli. Und sie verhalten sich nicht mit allen Freunden gleich. «Es gibt Kombinationen, die gut funktionieren, und andere, die schnell aus dem Ruder laufen. Ich frage jedes Mal genau nach, wer dabei ist, wenn meine Kinder mit Freunden in die Badi wollen – und entscheide je nach Gruppenzusammensetzung.» Wichtig ist ihm, dass auch die anderen Kinder in der Gruppe die Regeln für einen sicheren Badibesuch kennen und fähig sind, sich daran zu halten.
Vertrauen schafft Sicherheit
All das sei keine Garantie dafür, dass nichts passiere, sagt Abächerli. Dennoch findet er es wichtig, Kindern den Freiraum zu lassen, um eine gewisse Selbstständigkeit zu entwickeln. «Ich bin der Überzeugung – und die SLRG vertritt ebenfalls diese Haltung –, dass man als Eltern auch die Verantwortung hat, Kindern Entwicklungsräume zu schenken. Sie können nur lernen, selbstständig zu sein und risikobewusste Entscheidungen zu treffen, wenn wir es ihnen zutrauen. Es gibt immer Restrisiken – die gibt es ja sogar auf dem Schulweg. Alles zu umzäunen und jedes Risiko aus dem Weg zu räumen, ist meiner Meinung nach nicht der richtige Ansatz. So würde man eine Generation unmündiger Leute heranziehen. Dass Kinder mit Risiken verantwortungsvoll umgehen lernen, ist erstrebenswert.»