Darum gehts
Trotz herbstlicher Temperaturen weigert sich das Kind, für eine Wanderung die Jacke anzuziehen. Statt Druck zu machen, lassen die Eltern es nur im Pullover rausgehen, damit es selbst spürt, wie kalt es ist. So funktioniert der Erziehungstrend «Fuck around and find out», kurz Fafo, dem man zurzeit in den sozialen Medien begegnet.
Auf Deutsch bedeutet der Ausdruck so viel wie: Mach etwas Blödes, und sieh, was passiert. Die Idee ist, dass Kinder aus den Folgen ihres Handelns lernen sollen, anstatt ständig davor bewahrt zu werden. Die Vorteile: weniger Machtkämpfe und mehr Selbstwirksamkeit. Doch steckt hinter Fafo ein pädagogisches Konzept, oder ist es bloss eine provokante These?
Raum für Interpretationen
«In meinem beruflichen Umfeld ist Fafo bislang kaum verbreitet. Es handelt sich eher um ein Social-Media-Phänomen», sagt Alexander Bertrams, Professor für Pädagogische Psychologie am Institut für Erziehungswissenschaft der Uni Bern.
Er findet es problematisch, dass der Begriff sehr vage ist, was Raum für Interpretationen und Missverständnisse lässt. «Es ist ein grosser Unterschied, ob Eltern Fafo mit einem Augenzwinkern und in einem sicheren Rahmen anwenden oder mit einer Haltung von ‹Geschieht dir recht›.»
Das Drama mit der Jacke
Die Idee, dass Kinder eigene Erfahrungen machen und daraus lernen sollen, ist nicht neu. In der Montessori-Pädagogik spielen natürliche Konsequenzen eine zentrale Rolle. Das heisst, auch dort können Eltern das Kind ohne Jacke nach draussen lassen, damit es die Konsequenzen zu spüren bekommt.
Doch im Unterschied zu Fafo werde das Kind im Montessori-Verständnis aufgefangen, sagt Bertrams. «Die Mutter hat die Jacke dabei und gibt sie dem frierenden Kind, ohne eine hämische Bemerkung wie ‹Ich habe es dir ja gesagt› zu machen.» Solche «besserwisserischen» Kommentare könnten ein unnötiges Gegeneinander zwischen Eltern und Kind implizieren und vom Kind irgendwann als solches wahrgenommen werden.
Ein weiterer Punkt, der in solchen Situationen oft übersehen wird: «Kinder leben in höherem Masse in der Gegenwart. Sie können sich schwerer als Erwachsene vorstellen, dass es draussen kalt ist, wenn sie gerade im Warmen sitzen.»
Kinder nicht in Watte packen
Der Experte plädiert für eine positive, unterstützende Grundhaltung in der Erziehung. «Das Konzept des Positive Parenting Program betont, wie wichtig es ist, Risiken zu minimieren, ohne Kinder in Watte zu packen.»
Ein aufgeschlagenes Knie gehöre zum Aufwachsen dazu. Steckdosen hingegen sollten mit einer Kindersicherung versehen und scharfe Tischkanten gepolstert werden. Dann können Kinder zu Hause ausprobieren, entdecken und lernen, ohne sich dabei schwer zu verletzen.
Was Befürworter des Fafo-Konzepts besonders schätzen, ist, dass sich damit angeblich Machtkämpfe vermeiden lassen. Doch Bertrams sieht Trotzphasen nicht als Problem. «Ja, Machtkämpfe sind anstrengend, aber auch eine Chance für die Kinder. Sie lernen dabei nach und nach, zu diskutieren, zu argumentieren und Kompromisse zu schliessen.»
Mehr Planung, weniger Eskalation
Zudem gibt es gemäss Experte andere Wege, Machtkämpfen vorzubeugen. Ein Beispiel: Wenn die Kinder vor dem Zubettgehen noch eine Sendung schauen dürfen, hilft es, den richtigen Moment zu wählen, um ihnen zu sagen, dass sie jetzt den Pyjama anziehen und die Zähne putzen sollen.
Anstatt sie mittendrin zu unterbrechen, rät Bertrams, den Spannungsbogen oder das Ende der Serie abzuwarten. «Dann gehen sie vielleicht ein paar Minuten später ins Bett, aber motzen weniger.» Wenn man mitten in einer spannenden Szene unterbreche, laufe man Gefahr, ignoriert zu werden.
«Dann muss man die Stimme erheben, und die Kinder gewöhnen sich daran, erst dann auf die Eltern zu hören, wenn sie laut werden.» Mit kluger Planung lasse sich eine Eskalation also oftmals vermeiden.