Darum gehts
Blick: Stimmt es, dass Beziehungen zwischen Müttern und Töchtern öfter problematisch sind als jene zwischen Müttern und Söhnen?
Moritz Daum: Ja. Mutter-Tochter-Beziehungen sind tatsächlich häufiger konfliktreich.
Woran liegt das?
Dasselbe Geschlecht führt zu einer grösseren Nähe. Es werden eher intime Themen geteilt. Kommt es dann zu einem Vertrauensmissbrauch, ist die Verletzung umso grösser.
Nach dieser Logik müssten Vater-Sohn-Beziehungen ähnlich konfliktreich sein. Trifft das zu?
Nein, denn diese sind in der Regel etwas distanzierter und weniger emotional. Das verringert das Potenzial für Konflikte. Ähnlich verhält es sich in Mädchen- und Bubenfreundschaften: Mädchenfreundschaften gehen oft tiefer, sind aber dadurch auch anfälliger für Streitigkeiten. Diese Aussagen müssen natürlich mit Vorsicht betrachtet werden, da es sich um allgemeine Befunde handelt, die nicht auf jede und jeden zutreffen müssen.
Sie nennen die Nähe als wichtigen Nährboden für Konflikte. Welche weiteren Gründe können dazu führen?
Nähe ist ja grundsätzlich etwas Positives. Sie kann aber auch zu fehlender Distanz führen. Wenn Mütter ihre Töchter als beste Freundinnen betrachten, kann es sein, dass sie diese mit Themen belasten, die sie überfordern. Zudem werden oft die eigenen unerfüllten Lebensträume auf die Töchter übertragen. Es ist aber für die Entwicklung ihrer eigenen Identität wichtig, selbst herauszufinden, wer sie sind.
Müssen solche «Fehler» von Müttern vorliegen, damit es zu Konflikten kommt?
Nein, es müssen keine gravierenden Fehler vorliegen. Im Grunde kann man als Elternteil machen, was man will, und es kommt zu Konflikten – und das ist auch richtig so. Konflikte gehören zur gesunden Entwicklung von Jugendlichen dazu und sind kein Zeichen für eine schlechte Beziehung. Im Gegenteil: Kinder, die laut werden und mit ihren Eltern streiten, tun das, weil sie sich sicher fühlen. Sie wissen, dass sie aufgrund dieses Verhaltens keine gravierenden Sanktionen fürchten müssen.
Treten diese Probleme hauptsächlich in der Pubertät auf?
Die Pubertät ist eine Phase besonderer Vulnerabilität, in der die Jugendlichen auf der Suche nach sich selbst sind und sich abgrenzen möchten. Zwischen Müttern und Töchtern ist diese Abgrenzung oft besonders herausfordernd. Da Mütter zudem Rollenvorbilder für ihre Töchter sind, kann es vorkommen, dass eine Tochter plötzlich findet: «Ich möchte alles ganz anders machen als du.» Die Mädchen beginnen, Werte zu hinterfragen und ihr Leben – im für sie möglichen Rahmen – nach ihren Vorlieben zu gestalten. Mit endender Adoleszenz und der sich stabilisierenden eigenen Identität der Kinder nehmen die Konflikte meist wieder ab.
Und flammen wieder auf, wenn die Tochter selbst Mutter wird?
Das ist tatsächlich eine interessante Phase in der Beziehung zwischen Müttern und Töchtern. Auch in dieser Zeit sagen sich die Töchter oft: «Ich werde alles anders machen als meine Mutter.» Ausserdem kann es zu Konflikten kommen, wenn die Tochter das Gefühl hat, ihre Mütter mischt sich in ihre Erziehung ein.
Wer leidet stärker unter den Streitereien, Mütter oder Töchter?
Beide leiden darunter. Aber da die Pubertät eine Zeit voller Umbrüche ist, belasten sie die Töchter meist stärker. Sie sind weniger gefestigt, während sich die Mütter in einer stabileren Lebensphase befinden.
Wie könnte eine problematische Beziehung verbessert werden?
Das Wichtigste ist, Konflikte als normalen Teil der Entwicklung und Ablösung zu sehen. Man muss akzeptieren, dass das Kind sein eigenes Leben leben möchte. Wichtig ist, im Gespräch zu bleiben oder Erlebnisse zu schaffen, die es ermöglichen, ins Gespräch zu kommen. Zudem sollte man sich bewusst sein, dass Kinder nicht immer Tipps und Lösungen benötigen, sondern manchmal einfach Dampf ablassen müssen. Oft ist es besser, einfach zuzuhören, als ungefragt Ratschläge zu erteilen.
Wann hilft nur ein Kontaktabbruch?
In gewissen schwerwiegenden Fällen kann das der einzige Weg sein, um aus einer schwierigen Situation herauszufinden. Der Kontaktabbruch muss nicht immer für den Rest des Lebens gelten. Vielleicht helfen bereits einige Monate Abstand. Dann kann man für sich entscheiden, ob es einem ohne die andere Person besser geht oder ob man es noch mal versuchen möchte. Niemand ist verpflichtet, eine belastende Beziehung aufrechtzuerhalten.