Zu Besuch bei Nierenpatient Thomas Hunziker
«Die Dialyse ist ein 30-Prozent-Job»

Gut 10 Prozent der Schweizer Bevölkerung hat chronische Nierenleiden, fast 5000 müssen mehrmals wöchentlich zur Dialyse. Zu ihnen gehört Thomas Hunziker. Trotz dreimal wöchentlicher Blutreinigung reist er, engagiert sich für andere Betroffene und geniesst das Leben.
Teilen
Schenken
Anhören
Kommentieren
Foto: Siggi Bucher
Dialyse-Patient Thomas Hunziker: Leben trotz Nierenversagen

Darum gehts

Die Zusammenfassung von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast.
RMS_Portrait_AUTOR_484.JPG
Olivia RuffinerRedaktorin
Publiziert: 12:05 Uhr
|
Aktualisiert: 14:29 Uhr

Die blaue Brille sitzt etwas schief auf der Nase, vor ihm liegen noch die letzten Gipfeli-Brösmeli auf dem Teller. Thomas Hunziker (69) blättert entspannt in der Zeitung und nippt an seinem Espresso. Ein ganz normaler Morgen – wäre da nicht die mannshohe Maschine neben seinem Bett, die über zwei Schläuche sein Blut reinigt.

Diese Maschine rettet Thomas Hunziker das Leben. Sie übernimmt die Arbeit seiner Nieren.
Foto: Siggi Bucher

Spüren täte er nichts, antwortet er auf die Frage, ob die Dialyse wehtut. Zudem habe er das Glück, dass er davon nicht müde werde. Während andere Dialyse-Patienten im Nebenzimmer dösen, ist er hellwach und gut gelaunt.

Dabei ist er einer von 4919 Menschen in der Schweiz, die dreimal pro Woche drei bis vier Stunden an einer Maschine hängen, die ihnen das Leben rettet. «Die Dialyse ist ein 30-Prozent-Job», sagt Johannes Trachsler (55), Facharzt für Nephrologie.

Johannes Trachsler (55) hat die ärztliche Leitung des Dialysezentrums in Affoltern am Albis und ist Chefarzt am Stadtspital Zürich, die das Dialysezentrum gemeinsam mit dem Spital Affoltern betreibt.
Foto: Siggi Bucher

Zu diesem Job gehört auch das Warten auf ein Transplantat. Im Jahr 2024 wurden in der Schweiz 380 Nieren transplantiert. Die Anzahl der Menschen, die unter chronischem Nierenversagen leiden, steigt jedoch stetig. Vor zehn Jahren waren es noch 4250 Dialysepatienten – 669 Personen weniger.

Hämeodialyse
Foto: Blick Visuals

So mancher würde diesen Aussichten mit Resignation begegnen. Hunziker aber strahlt eine spürbare Gelassenheit aus. Woher kommt dieser ungebrochene Lebenswille? «Ich bin als Optimist geboren», sagt er.

Schwere Nieren – schweres Leiden

Der heute 69-Jährige kommt ursprünglich aus Leimbach ZH. Mit 35 Jahren erhielt er die Diagnose autosomal-dominante polyzystische Nierenerkrankung. Ein medizinischer Zungenbrecher für eine Erbkrankheit, bei der Zysten in den Nieren wachsen und das gesunde Gewebe verdrängen. «Bei der Entnahme wogen meine Nieren je 3,5 Kilo», sagt Hunziker und zeigt die ungefähre Grösse mit seinen Händen.

Er legt die Hände wieder in den Schoss und blickt aus dem Fenster: «Wir wussten ja immer, dass die Mutter etwas mit den Nieren hat.» Seine beiden jüngeren Geschwister liessen sich auf den Gendefekt testen – beide negativ. Hunziker schloss daraus, dass er wahrscheinlich die Krankheit hat. Er musste wegen Schmerzen im Hüftbereich ins Spital. Noch bevor der Ultraschall es bestätigte, wusste er, dass er Zystennieren hat. Den Gendefekt übertrug er zu seinem Bedauern an eine seiner beiden Töchter. Das schmerzt ihn noch heute.

Wenn er über seine Mutter spricht, wird er nachdenklich. Über die Krankheit sprachen sie nie viel zu Hause.
Foto: Siggi Bucher

Zehn Jahre lang lebte Hunziker mit den wachsenden Zystennieren, leitete eine Baufirma, war dort als Macher bekannt und engagierte sich politisch in der Ortspartei von Affoltern am Albis ZH, wo er mit seiner Frau noch heute wohnt. «Viele denken, ich sei ein waschechter Affoltermer», sagt er mit leisem Stolz.

Die Suche nach einer Niere

2005 die Wende: Seine Werte verschlechterten sich dramatisch. Doch statt zu verzweifeln, handelte er pragmatisch. Schon frühzeitig gab er seine Leitungsposition ab, denn 60- bis 70-Stunden-Wochen lagen nicht mehr drin. Er begann, bei der Gemeinde zu arbeiten, führte hobbymässig eine Weinhandlung und suchte eine Spenderniere. «Lustigerweise waren es vor allem Frauen, die mir anboten, sich abklären zu lassen.»

Die Spenderniere kam schliesslich von seiner Geschäftspartnerin aus der Weinhandlung – unter einer Bedingung: «Ich musste ihr versprechen, dass ich mich für die Aufklärung von Nierenerkrankungen einsetze», sagt Hunziker mit erhobenem Zeigefinger. Das Versprechen sollte zu seiner Berufung werden.

Halbe Sachen scheint Hunziker ohnehin nicht zu machen: Die Lehre vom Strassenbauer führte ihn zum Direktor eines Bauunternehmens, als seine Kinder eingeschult wurden, stieg er in den Schulzweckverband Affoltern ein. Seine Nieren versagen, und er wird Vorstandsmitglied im Verband Nierenpatienten Schweiz, Patientenvertreter der Schweizerischen Nierenstiftung, hält Vorträge und vernetzt im deutschsprachigen Raum Nierenpatienten mit Fachkräften.

Er prüft auf Herz und Nieren

Blick: Welches ist die häufigste Nierenerkrankung, die Sie im Spitalalltag antreffen?
Johannes Trachsler: Statistisch gesehen sind es chronische Nierenerkrankungen aufgrund Bluthochdrucks und Diabetes. Wenn jemand über längere Zeit einen schweren Bluthochdruck hat, oder einen hohen Blutzucker, dann greift das die Nieren an.

Weil es die Gefässe schädigt?
Ja, es schädigt die Blutgefässe und Nierenkörperchen. Die Nieren verlieren zunächst an Eiweiss und dann langsam ihre Funktion. Das spürt man aber nicht. Die Patienten merken erst etwas, wenn die Nierenfunktion auf etwa 10-15 Prozent gesunken ist. Dann ist es eigentlich schon extrem spät – fast zu spät.

Welche Symptome habe ich bei 10-15 Prozent Nierenfunktion?
Man merkt allenfalls, dass der Blutdruck steigt. Und wenn der sehr stark steigt, haben Sie Kopfschmerzen. Das Tückische ist, und das ist auch der Slogan der Schweizer Nierenstiftung, «Nieren leiden leise». Bei einer so tiefen Nierenfunktion treten Symptome wie Müdigkeit, Schlappheit, Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen und Juckreiz auf, wegen der Giftstoffe, die im Körper sind.

Man vergiftet innerlich.
Ja, es ist ein Vergiftungszustand. Die Nieren scheiden jeden Tag unzählige Giftstoffe aus. Wenn sie nicht mehr funktionieren, bleiben die Giftstoffe im Blut und lösen diese Symptome aus.

Was passiert dann in der Klinik?
Wir suchen den Grund der Nierenerkrankung, behandeln diesen und versuchen die Nieren zu stabilisieren. Und wenn das nicht gelingt, dann muss man mit einer Dialysetherapie beginnen. Gleichzeitig muss man Abklärungen für eine Nierentransplantation durchführen. Die Faustregel ist, wir transplantieren bis etwa zum 70-75. Lebensjahr, mit Ausnahmen.

Wie stabilisiert man eine Niere?
Zuerst behandeln wir den Auslöser, also den hohen Blutdruck oder -zucker. Das geschieht medikamentös. Es gab im letzten Jahr einige Durchbrüche bei Medikamenten, die die Nierenfunktion sehr gut stabilisieren können,

Die da wären?
Die SGLT-2-Inhibitoren zum Beispiel, das ist eigentlich ein Blutzuckermittel. Man hat dann bei den Diabetikern gesehen, dass es auch die Nieren schützt. Im Rahmen von grossen Studien wurden sie dann auch bei Nicht-Diabetikern getestet und es wurde der gleiche Effekt beobachtet.

Braucht jede Person mit einer Nierenerkrankung einmal eine neue Niere?
Nein, man fängt mit rund 100-prozentiger Funktionsfähigkeit an, wenn man um die 20 ist. Ab etwa 40 fängt die Funktion an zu sinken, unter einem Prozent pro Jahr. Hat man Einflussfaktoren wie hohen Blutdruck oder Blutzucker, sinkt sie schneller. Bei vielen Personen können wir die Nierenfunktion medikamentös stabilisieren, so dass sie zu Lebzeiten nicht an die Dialyse müssen. Das ist eigentlich das Ziel.

Johannes Trachsler (55) ist seit 20 Jahren Facharzt für Nephrologie und allgemeine innere Medizin. Er hat die ärztliche Leitung des Dialysezentrums in Affoltern am Albis und ist Chefarzt am Stadtspital Zürich, die das Dialysezentrum gemeinsam mit dem Spital Affoltern betreibt.
Siggi Bucher

Blick: Welches ist die häufigste Nierenerkrankung, die Sie im Spitalalltag antreffen?
Johannes Trachsler: Statistisch gesehen sind es chronische Nierenerkrankungen aufgrund Bluthochdrucks und Diabetes. Wenn jemand über längere Zeit einen schweren Bluthochdruck hat, oder einen hohen Blutzucker, dann greift das die Nieren an.

Weil es die Gefässe schädigt?
Ja, es schädigt die Blutgefässe und Nierenkörperchen. Die Nieren verlieren zunächst an Eiweiss und dann langsam ihre Funktion. Das spürt man aber nicht. Die Patienten merken erst etwas, wenn die Nierenfunktion auf etwa 10-15 Prozent gesunken ist. Dann ist es eigentlich schon extrem spät – fast zu spät.

Welche Symptome habe ich bei 10-15 Prozent Nierenfunktion?
Man merkt allenfalls, dass der Blutdruck steigt. Und wenn der sehr stark steigt, haben Sie Kopfschmerzen. Das Tückische ist, und das ist auch der Slogan der Schweizer Nierenstiftung, «Nieren leiden leise». Bei einer so tiefen Nierenfunktion treten Symptome wie Müdigkeit, Schlappheit, Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen und Juckreiz auf, wegen der Giftstoffe, die im Körper sind.

Man vergiftet innerlich.
Ja, es ist ein Vergiftungszustand. Die Nieren scheiden jeden Tag unzählige Giftstoffe aus. Wenn sie nicht mehr funktionieren, bleiben die Giftstoffe im Blut und lösen diese Symptome aus.

Was passiert dann in der Klinik?
Wir suchen den Grund der Nierenerkrankung, behandeln diesen und versuchen die Nieren zu stabilisieren. Und wenn das nicht gelingt, dann muss man mit einer Dialysetherapie beginnen. Gleichzeitig muss man Abklärungen für eine Nierentransplantation durchführen. Die Faustregel ist, wir transplantieren bis etwa zum 70-75. Lebensjahr, mit Ausnahmen.

Wie stabilisiert man eine Niere?
Zuerst behandeln wir den Auslöser, also den hohen Blutdruck oder -zucker. Das geschieht medikamentös. Es gab im letzten Jahr einige Durchbrüche bei Medikamenten, die die Nierenfunktion sehr gut stabilisieren können,

Die da wären?
Die SGLT-2-Inhibitoren zum Beispiel, das ist eigentlich ein Blutzuckermittel. Man hat dann bei den Diabetikern gesehen, dass es auch die Nieren schützt. Im Rahmen von grossen Studien wurden sie dann auch bei Nicht-Diabetikern getestet und es wurde der gleiche Effekt beobachtet.

Braucht jede Person mit einer Nierenerkrankung einmal eine neue Niere?
Nein, man fängt mit rund 100-prozentiger Funktionsfähigkeit an, wenn man um die 20 ist. Ab etwa 40 fängt die Funktion an zu sinken, unter einem Prozent pro Jahr. Hat man Einflussfaktoren wie hohen Blutdruck oder Blutzucker, sinkt sie schneller. Bei vielen Personen können wir die Nierenfunktion medikamentös stabilisieren, so dass sie zu Lebzeiten nicht an die Dialyse müssen. Das ist eigentlich das Ziel.

Die Lust zu leben

Sein Engagement reichte auch in die Forschung. Er machte bei einer Medikamentenstudie mit. Bei einer Kontrolle bemerkte man, dass er seine Spenderniere abstösst. Sein Schicksal meinte es wieder nicht gut mit ihm. Seit November 2023 ist Hunziker auf die Dialyse angewiesen.

Die Tür geht auf. Leise bringt eine Pflegefachfrau mit Maske, Schürze und Handschuhen bekleidet einen zweiten Espresso und ein Glas Wasser. Sie räumt das benutzte Geschirr ab, Hunziker bedankt sich. Das Gespräch findet abseits der anderen statt, nicht nur aus Gründen der Privatsphäre, sondern weil er gerade von drei Wochen in Südfrankreich zurück ist.

Nach einem Auslandsaufenthalt muss er zuerst auf verschiedene Krankheitserreger getestet werden, bevor er wieder zu den anderen kann. Viele Nierenpatienten nehmen Medikamente, die das Immunsystem schwächen. Eine eingeschleppte Infektion kann im schlimmsten Fall tödlich verlaufen.

So schützt du deine Nieren

Statt auf eine fixe Trinkmenge zu achten oder einen Nierengurt zu tragen, tust du deinen Nieren mehr einen Gefallen, wenn du regelmässig deinen Blutdruck und Blutzucker testen lässt.

  • Ab 18 Jahren mindestens alle 5 Jahre einmal den Blutdruck messen.
  • Ab 40 Jahren jährlich den Blutdruck messen.
  • Regelmässig den Blutzucker messen, je nach Risikofaktoren wie Alter, Übergewicht, Zuckerkrankheit in der Familie, hoher Blutzucker in der Schwangerschaft (Schwangerschaftsdiabetes).
  • Jährliche Kontrollen der Nieren empfiehlt Trachsler Personen, die einen Diabetes, Bluthochdruck oder andere Risikofaktoren für eine Nierenerkrankung wie zum Beispiel einen früheren Herzinfarkt haben.

Statt auf eine fixe Trinkmenge zu achten oder einen Nierengurt zu tragen, tust du deinen Nieren mehr einen Gefallen, wenn du regelmässig deinen Blutdruck und Blutzucker testen lässt.

  • Ab 18 Jahren mindestens alle 5 Jahre einmal den Blutdruck messen.
  • Ab 40 Jahren jährlich den Blutdruck messen.
  • Regelmässig den Blutzucker messen, je nach Risikofaktoren wie Alter, Übergewicht, Zuckerkrankheit in der Familie, hoher Blutzucker in der Schwangerschaft (Schwangerschaftsdiabetes).
  • Jährliche Kontrollen der Nieren empfiehlt Trachsler Personen, die einen Diabetes, Bluthochdruck oder andere Risikofaktoren für eine Nierenerkrankung wie zum Beispiel einen früheren Herzinfarkt haben.

Das Stehaufmännchen

Jeder Schicksalsschlag, den das Leben ihm entgegenschleudert, scheint Hunzikers Lust zum Leben nur zu befeuern. Er reist viel, besonders jetzt, da er und seine Frau beide im Ruhestand sind. Ferien von der Dialyse kann er aber keine machen. Er sucht neben dem Hotel jedes Mal auch einen Dialyseplatz, was sich je nach Destination schwierig gestaltet. «In Deutschland geht es fast immer am einfachsten, Österreich ist grauenhaft», sagt er, dort fehle es an Plätzen. In Südfrankreich hiess es bei seinem Anruf «mais, bien sûr» – aber sicher doch.

Trotz Isolationsmassnahmen und Organisationsaufwand möchte Hunziker das Reisen mit seiner Frau nicht missen. Es gebe ihm viel Kraft und Lebensqualität. Das versucht er auch seinen Dialyse-«Gschpänli» zu vermitteln. Wieder zeigt sich der Macher in ihm, Resignation ist keine Option.

Inzwischen ist der zweite Espresso leer, die Maschine summt vor sich hin. Der Zähler zeigt an, dass es noch gut zwei Stunden dauert, bis Hunziker von Schadstoffen und überschüssiger Flüssigkeit befreit ist. Für ihn ist es aber keine verlorene Zeit: Er hat einen Stapel ehrenamtlicher Arbeit und ein halb volles Glas vor sich.

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.
Teilen
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Liebe Leserin, Lieber Leser
Der Kommentarbereich von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast. Noch kein Blick+-Abo? Finde unsere Angebote hier:
Hast du bereits ein Abo?
Heiss diskutiert
    Meistgelesen