Die BLICK-Community erzählt von ihren Phobien
«Wenn ich über den Tod nachdenke, bekomme ich Panik»

Wir haben unsere Leserinnen und Leser gefragt, was ihnen panische Angst bereitet. Dabei entdeckten wir Phobien, die wir teilweise noch gar nicht kannten.
Publiziert: 07.09.2020 um 09:00 Uhr
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Aktualisiert: 18.09.2020 um 17:04 Uhr
Community-Team

Jeder hat ab und zu Angst. Manche von uns rennen schreiend weg, wenn sie eine Spinne sehen, andere würden niemals in ein Flugzeug steigen, und einige bekommen in engen Räumen Panik.

Wir haben unsere Leserinnen und Leser nach ihren Phobien gefragt und über 50 Rückmeldungen erhalten. Hier liest du die spannendsten Geschichten.

Luzia Schlegel – Demophobie: «Ich habe manchmal das Gefühl, alle starren mich an»

«Ich leide an Demophobie. Das ist verwandt mit der Agoraphobie, bezieht sich aber vor allem auf grosse Menschenmengen. Wenn ich zum Beispiel bei einem Konzert mitten im Gedränge stehe, bekomme ich schnell Panik. Ich denke dann, dass es keinen Weg raus gibt. Dass ich eingesperrt bin, alle immer näher kommen und ich langsam zerquetscht werde. Dazu kommt eine gewisse Form der sozialen Phobie: Ich habe dann häufig das Gefühl, alle Leute würden mich anstarren. Das endete bereits einmal damit, dass man mich aus der Menschenmasse raustragen musste und ich danach fast eine Stunde gebraucht habe, um mich zu beruhigen.

Angefangen hat das wahrscheinlich, als ich ungefähr zehn war. Damals verlor ich an einer grossen Veranstaltung meine Eltern und meine Geschwister. Ich bin dann anderthalb Stunden allein herumgeirrt und habe geweint. Deshalb haben mich auch alle angestarrt. Wahrscheinlich kommt meine Phobie von diesem Trauma.

Im Alltag gibt es unzählige Situationen, die für mich schwierig sein können. Schon nur das Einkaufen in einem überfüllten Geschäft. Oder im Zug. Wenn da das ganze Abteil voll ist und ich ans Fenster gedrängt bin, fange ich an, mich zu verkrampfen. Einmal war das so schlimm, dass ich mir meinen gesamten Handrücken blutig gekratzt habe. Einer vom Militär hat dann gesehen, dass es mir nicht gut geht, und er hat mich aus der Situation rausgeholt.

Ich habe es mit einer Therapie versucht. Das hat aber nicht wirklich viel gebracht. Mittlerweile habe ich einfach meine eigenen Strategien entwickelt, mit der Phobie umzugehen. Wenn ich in einem vollen Zug sitze, ziehe ich meine Kopfhörer an und schaue aus dem Fenster, um mich zu beruhigen. Gewisse Grossanlässe halte ich auch aus, etwa die Game- und Comic-Messe Fantasy Basel. Die Leute da sind sehr verständnisvoll und erkennen, wenn es jemandem nicht gut geht. Ausserdem achte ich immer darauf, dass ich jemanden dabei habe, dem ich vertraue. Dann geht das halbwegs. Aber allein kann sowas für mich richtig schlimm sein.»

Luzia Schlegel ist leidenschaftliche Cosplayerin und die Fantasy Basel eine der wenigen Grossveranstaltungen, an denen sie sich wohl fühlt.

Lulzim Ukgjini – Thalassophobie: «Bilder vom offenen Meer machen mir Gänsehaut»

«Meine Phobie ist relativ weit verbreitet, aber die meisten Leute kennen sie gar nicht. Ich habe Angst vor tiefen Gewässern. Nennt sich Thalassophobie. Ausgelöst wird das bei mir zum Beispiel durch Bilder, die das offene Meer zeigen. Besonders schlimm sind Aufnahmen aus der Tiefsee. Je tiefer, desto grösser und unheimlicher werden die Viecher. Wenn ich sowas in Dokumentationen sehe, bekomme ich Gänsehaut. Dann schaue ich lieber kurz aufs Handy.

Bei mir ist es besonders übel, wenn das Wasser trüb ist und man den Boden nicht mehr sieht. Man fühlt sich hilflos und ausgesetzt, und ich will dann nur noch weg. Der Punkt ist: Niemand weiss, was da unten lauert. Mir wird deshalb schon leicht mulmig, wenn am Strand im Wasser der Sand aufgewirbelt wird und ich meine Füsse nicht mehr sehen kann. Meines Wissens sind nur ein paar Prozent des Meeres wirklich erforscht. Ich will mir deshalb gar nicht vorstellen, was es da draussen für Ungeheuer gibt.

Angefangen hat das bei mir mit einer Illustration aus der Bibel. Da gibt es diese Geschichte von Jonas, der von einem Wal verschluckt wird. Ich war noch ein Kind, als ich das sah. Wahrscheinlich hat das ein kleines Trauma ausgelöst, und seither habe ich halt diese Phobie. Im Alltag leide ich aber nicht gross darunter. In einem See zu schwimmen, ist kein Problem – solange das Wasser halbwegs klar ist. Ich habe auch keine besonderen Schwierigkeiten, mit dem Schiff rauszufahren. Hauptsache, ich werde nicht einfach auf dem offenen Meer ausgesetzt.»

Lulzim Ukgjini bekommt Gänsehaut, wenn er an tiefe Gewässer denkt. In der Fachsprache nennt man diese Angst Thalassophobie.

Carina Prates – Thanatophobie: «Wenn ich über den Tod nachdenke, bekomme ich Panik»

«Ich leide an einer diagnostizierten Angststörung, die sich bei mir vor allem auf den Tod bezieht. Es geht um die Ungewissheit: Niemand weiss, was danach kommt, und wenn ich zu lange darüber nachdenke, bekomme ich Panikattacken. Ich bin erst 21 und natürlich noch nicht bereit, zu sterben. Besonders schlimm ist für mich der Gedanke, dass das Leben für die ganze Welt und alle, die ich kenne, einfach weitergeht, während ich nicht mehr existiere.

Angefangen hat das alles, als ein Freund einen Unfall hatte und im Spital gelandet ist. Da merkte ich, wie schnell alles vorbei sein kann. Danach habe ich mich so reingesteigert, dass ich wegen meiner Angst nicht einmal mehr Zeitung lesen konnte, weil ich da mit dem Thema konfrontiert war. Eine Zeit lang schrieb ich vor dem Schlafengehen sogar immer auf, wie ich mich fühle: Falls ich dann im Schlaf gestorben wäre, hätte man vielleicht rausfinden können, woran. Ich bin auch bewusst Situationen aus dem Weg gegangen, die ich als gefährlich empfand – irgendwann konnte ich nicht einmal mehr Zug fahren. Und sobald ich zum Beispiel nur ein bisschen Herzrasen bekam, machte ich mir Sorgen, dass ich einen Infarkt habe und dachte mir: ‹Jetzt ist es vorbei.› Völlig absurd – eigentlich bin ich ja noch jung und gesund.

Irgendwann ging ich dann in Therapie. Mache ich auch heute noch unregelmässig, einfach, wenn ich in einer üblen Phase bin, wie etwa jetzt durch meine Schwangerschaft und all die Hormone. Schliesslich möchte ich mich um mein Kind kümmern können. Die Gedanken sind also immer noch da. Ich könnte heute die Treppe runterfallen und alles wäre vorbei, ohne, dass ich mich von jemandem verabschieden konnte. Mittlerweile versuche ich aber, von der Vorstellung wegzukommen, dass nach dem Tod einfach alles vorbei ist. Viel beruhigender finde ich zum Beispiel den Gedanken an die Wiedergeburt. Aber was genau passiert, kann halt niemand sagen, und diese Ungewissheit macht mir Angst.»

«Ich könnte heute die Treppe runterfallen und alles wäre vorbei», sagt Carina Prates über ihre Angst vor dem Tod.

Reto* – Kuchenphobie: «Nachdem meine Mutter starb, ging die Phobie plötzlich weg»

«Meine Phobie ist fast schon ein bisschen witzig: Ich hatte jahrzehntelang Angst vor Kuchen. Diese Form und dieser Belag … Wenn ich nur schon das Wort ‹Kuchen› hörte, wurde mir sofort übel. Auch die vielen Patisserien und Bäckereien, die Kuchen anbieten, waren für mich zum Kotzen. Natürlich ist das etwas skurril, und meine Freunde machten immer wieder Witze darüber. Trotzdem konnte das ganz schön belastend sein. Wenn ich zum Beispiel zu einem Geburtstag eingeladen wurde, musste ich immer den Kuchen ablehnen – entweder waren die Gastgeber dann beleidigt, oder sie glaubten mir nicht.

Als es mir besonders schlimm ging, suchte ich eine Selbsthilfegruppe für Kuchenphobiker. Das Absurde: Auf der Website stand, die Betroffenen treffen sich jeden Mittwoch zu Kaffee und Kuchen. Da hat es mir natürlich gleich abgelöscht. Jedenfalls hab ich die Angst heute überwunden. Als meine Mutter vor 15 Jahren verstarb, hatte ich zwei Wochen später plötzlich Lust auf Kuchen und stellte fest, dass ich das eigentlich mag.

So bin ich auch auf meine Theorie zu den Ursprüngen der Angst gekommen. Als ich ein Kind war, hat meine Mutter ständig Kuchen gemacht. Ich fühlte mich in der Familie sowieso schon etwas ausgegrenzt, weil all meine Verwandten Akademiker waren und ich nicht wirklich mitreden konnte. Wegen ihrer Backkünste hat meine Mutter dann erst recht die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Das hat mich vermutlich verletzt und über die Jahre traumatisiert.

Trotzdem gebe ich ihr nicht die Schuld. Das ist mir wichtig. Es ist traurig, dass sie gestorben ist, und sie hat das ganz bestimmt nie böse gemeint. Trotzdem rate ich jedem, der mit einer ähnlichen Angst kämpft, sich mit seiner Kindheit zu befassen.»

*Name geändert

Leidest du auch unter einer Phobie? Dann erzähl uns unten in den Kommentaren davon!

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