150'000 Schweizer leiden darunter
Schrittmacher hilft gegen Schlafapnoe

Wenn die Erholungsphase zum Stress wird: In der Schweiz leiden etwa 150'000 Personen an Schlafapnoe. Nun gibt es für die Betroffenen ein neues Hilfsmittel.
Publiziert: 29.05.2015 um 14:57 Uhr
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Aktualisiert: 10.09.2018 um 14:59 Uhr
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Von Thomas Vogel

Nach Jahren der Schlaflosigkeit endlich wieder durchschlafen. Dieses Gefühl erlebte Bruno Veit aus Wil SG Anfang dieses Jahres. Mediziner des Kantonsspitals St. Gallen implantierten ihm in einer dreieinhalbstündigen Operation als erstem Schweizer einen Zungen-Schrittmacher.

«Vorher funktionierte ich tagsüber zwar auch, war aber nie richtig erholt und jeweils am Morgen müder als am Abend zuvor», sagt der 60-Jährige, der an dem Schlafapnoe-Syndrom leidet. Das bedeutet, dass seine Atmung nachts immer wieder komplett abstellt. «Bis zu 45 Atemaussetzer pro Stunde hatte Bruno Veit», sagt Professor Otto Schoch, leitender Arzt Pneumologie und Schlafmedizin am Kantonsspital St. Gallen. Solche Aussetzer dauern von zehn Sekunden – darunter spricht man nicht von Apnoen – bis zu mehr als zwei Minuten am Stück.

Lungenspezialist Dr. Thomas Rothe von den Zürcher Höhenkliniken Wald und Davos rechnet vor, was das bedeutet: «Alle Atemstösse zusammengezählt, atmet ein Betroffener pro Stunde nur gerade zehn Minuten.» Wenn man bedenkt, dass bereits drei Minuten ohne Sauerstoff irreparable Schäden im Gehirn verursachen können, kann sich jeder ausrechnen, was diese Atemaussetzer für den Körper bedeuten: Stress in seiner reinsten Form.

Adrenalinausschüttung und hoher Blutdruck im Schlaf

Auslöser ist eine Einengung oder ein totaler Verschluss der Atemwege, sei es durch die Zunge oder durch die erschlaffte Rachenmuskulatur. Das führt zu einer flachen Atmung, einer sogenannten Hypopnoe, oder gar einem Atemstillstand, eben einer Apnoe. Auch wenn die Schlafenden nichts davon bemerken, reagiert der Körper auf die kleinen Erstickungsanfälle heftig. Er schüttet Hormone wie Adrenalin aus, hebt den Blutdruck und den Puls an. Das alles geschieht während des Schlafs, also in einer Phase der Erholung.

Nur ein kurzes Aufwachen unterbricht den gefährlichen Zustand. Dadurch aktiviert der Schläfer unbewusst seine Rachenmuskeln, was den Rachen öffnet. Zwar schläft der Betroffene nach wenigen Atemzügen wieder ein – bis zum nächsten Atemstillstand. Die direkte Folge sind ein unerholsamer Schlaf und permanente Müdigkeit am nächsten Tag, so wie es Bruno Veit seit Jahren kannte.

«Die Auswirkungen auf die Gesundheit sind gravierend», sagt Dr. Adrian Meyer, HNO-Facharzt mit Praxis in Rorschach und Oberarzt an der HNO-Klinik am Kantonsspital St. Gallen. Ärzte gehen heute davon aus, dass Schlafapnoe nicht nur zu erhöhtem Blutdruck führt, sondern auch das Risiko für eine Verengung der Herzkranzgefässe, für Herzinfarkte, Herzschwächen, Diabetes, Schlaganfälle oder gar einen Herztod vergrössert.

In der Schweiz sind schätzungsweise 150 000 Personen davon betroffen – weltweit gegen 400 Millionen. «Vor allem Männer ab 40 Jahren sind gefährdet», sagt Thomas Rothe. Aber auch Übergewicht ist ein Risikofaktor für Schlafapnoe. Kein Wunder, forscht die Wissenschaft intensiv, wie man das Problem beheben könnte. Bis anhin hat man es mit einem sogenannten CPAP-Gerät samt Atemmaske therapiert. Diese bläst dem Schlafenden einen kontinuierlichen Luftstrom in den Mund. «Der erzeugte Luftdruck verhindert das Zusammenfallen des Rachens und einen Unterbruch der Atmung», sagt Dr. Rothe.

Zungen-Schrittmacher hat Erfolgsquote von 95 Prozent

Ein Weg, den auch Bruno Veit ging, nur dass es ihm mit der Maske erging wie 30 bis 50 Prozent aller Benutzer. «Sie ist nicht wirklich sexy», sagt er. Das hätte er akzeptiert, wenn er damit erholt aufgewacht wäre. Aber nach drei Tagen ohne Schlaf war er physisch und psychisch so fertig, dass er den Arzt anrief und ihm mitteilte: «Das mit der Maske hat keinen Sinn.»

So verwies ihn Otto Schoch an Dr. Adrian Meyer, der den Zungen-Schrittmacher eben in der Schweiz einführte. «Das System ist ganz neu, hat aber eine Erfolgsquote von 95 Prozent», so Meyer. Gesagt, getan: Im November bekam Veit das Implantat, und bis alles funktionierte und verheilt war, wurde es Februar. «Seither schlafe ich zwischen fünf und sieben Stunden am Stück», sagt Veit.

Er muss vor dem Schlafengehen bloss den Schrittmacher einschalten. 30 Minuten später aktiviert sich das Gerät und sendet Impulse aus. Normalerweise bekommt der Patient davon nicht viel mit. «Hin und wieder bemerke ich einen Zwick», sagt Veit. «Doch abgesehen davon habe ich jetzt wieder Lebensqualität und gehe ohne Panik ins Bett.» Und am nächsten Morgen ausgeschlafen zur Arbeit.

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