Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass Schwerhörigkeit bis ins Jahr 2030 zu den sieben häufigsten Einschränkungen der Lebensqualität gehören wird. Auch in der Schweiz sind rund 7,7 Prozent der Bevölkerung von einem Hörverlust betroffen, der allergrösste Teil davon im Seniorenalter.
Die Bedeutung unseres Gehörs wird oft unterschätzt. Dabei ist es extrem wichtig für unsere Kommunikation. Denn nur wer gut hört, kann einem Gespräch folgen. Neben dem Ohr als Organ an sich ist aber auch das Hirn von zentraler Bedeutung. In unserem Denkorgan werden die vom Ohr gesendeten Nervenimpulse verarbeitet. Sind diese nun verfälscht – beispielsweise durch eine Hörminderung – können bestimmte Töne und Laute nicht mehr richtig wahrgenommen werden. Das Problem ist dabei nicht nur situativ, wenn man das Gegenüber nicht mehr richtig versteht, sondern kann auch langfristiger Natur sein. Was das Hirn einmal verlernt hat, ist nur schwer wieder herzustellen.
«Wir haben in vielen Situationen keine Möglichkeit, uns zu schützen»
Eine der Hauptursachen für eine Verschlechterung des Hörvermögens ist Lärm. Einer Studie des Bundesamts für Umwelt zufolge ist in der Schweiz tagsüber jede siebte und in der Nacht jede achte Person schädlichem Lärm ausgesetzt. Fabian Heeg, Hörakustik-Meister und Hörtrainer bei Neuroth, erklärt: «Wir leben in einer hektischen Welt, und dieser permanente Stress schlägt sich auch aufs Gehör nieder. Wir haben in vielen Situationen auch schlicht nicht die Möglichkeit, uns vor Lärm zu schützen.»
Die mit Abstand bedeutendste Lärmquelle ist dabei der Verkehr. Aber auch Erkrankungen oder Unfälle können das Hörvermögen dauerhaft verändern. Heeg erklärt: «Vom alt werden alleine wird das Gehör nicht schlecht. Das ist eher eine Sache die durch die lebenslange Abnutzung aufgrund der alltäglichen Lärmbeschallung passiert.» Dem Experten zufolge können das unter anderem Kopfhörer, Verkehrslärm, Discomusik und viele andere alltägliche Dinge sein. Insbesondere In-Ear-Kopfhörer können bei falscher Anwendung über einen längeren Zeitraum das Gehör empfindlich beschädigen. «Der Schall geht hier ohne Umwege ins Ohr.»
Oft späte Diagnose
Während der Hörverlust bei einem Hörsturz oder einem Unfall in der Regel unmittelbar eintritt, ist er verursacht durch Lärmbelastung ein schleichender Prozess. Durchschnittlich dauert es sieben bis zehn Jahre, bis eine diagnostizierte Hörminderung behandelt wird. Meistens geht es sehr lange, bis sich Betroffene ihrer Einschränkung bewusst werden und einen Spezialisten aufsuchen.
Es ist auch gar nicht so einfach zu realisieren, dass man nicht mehr richtig hört. «Am ehesten merkt man es in Gesellschaft, zum Beispiel wenn man an einem Tisch mit vielen Menschen sitzt und den verschiedenen Gesprächen nicht mehr richtig folgen kann», sagt Heeg.
Hörminderung und Hörentwöhnung
In erster Linie wirkt sich ein Hörverlust auf das Sprachverstehen aus. Das Hirn assoziiert verschiedene Töne mit Erinnerungen oder eben Bedeutungen. Unser Denkorgan legt sozusagen eine «Verständnisbibliothek» an. Durch das schlechtere Hören von gewissen Lauten oder Tonfrequenzen verabschieden diese sich schleichend aus dieser Bibliothek. Es fällt einem schwerer, Geräusche einzuordnen. Und je länger man damit wartet, eine Hörschwäche zu behandeln umso mehr verlernt das Gehirn, Geräusche richtig zu verarbeiten. Und was das Hirn einmal verlernt hat, kommt nur schwer wieder zurück. Aus diesem Grund sollten Gehör und Gehirn trainiert werden – so wie der Muskel eines Athleten.
Wenn das Hirn merkt, dass es die Hörsignale nicht mehr so gut verarbeiten kann, steckt es automatisch weniger Ressourcen in diese Form der Wahrnehmung. Dafür beispielsweise mehr ins Sehen. «Es ist ähnlich, wie wenn jemand erblindet und das Gehirn anschliessend versucht, dies über das Hörorgan zu kompensieren. Darauf lässt sich zurückführen, dass blinde Personen besser hören. Gleiches gilt natürlich auch umgekehrt», erklärt Heeg. Durch den veränderten Einsatz der Ressourcen im Hirn verschlechtert sich die Hörleistung zusätzlich.
Spezialisten unterscheiden Hörminderung und Hörentwöhnung. Oft gehen die beiden aber miteinander einher. Heeg dazu: «Es gibt junge Menschen, die nicht gut verstehen aber eigentlich gut hören. Zum Beispiel braucht es nach einem Hörsturz eine gewisse Zeit bis sich das Gehör komplett erholt hat. Danach wird man aber in Gesellschaft mehr Probleme haben, weil man deutlich weniger verarbeiten kann.» In einem solchen Fall hat das Hirn bereits gewisse Assoziationen vergessen, da es sie durch den mechanischen Schaden am Ohr nicht mehr richtig wahrgenommen hat – es wurde entwöhnt.
Hörtraining kann helfen
Behandelbar sind solche Probleme oft gut mit einem Hörtraining. «In einem solchen Fall braucht der Kunde keine Hörgerät, sondern ein Hörtraining» sagt Heeg dazu. Weiter erklärt er: «Einfach gesagt geht es dabei darum, die Wahrnehmung des Hirnes wieder auf das Hören zu konzentrieren.» Die Ressourcen sollen wieder gleichmässig auf alle Sinne verteilt werden. Die Folgen wären wieder mehr Verknüpfungen von Geräuschen und Bedeutungen im Hirn und somit besseres Hörvermögen.
Sollte ein effektiver Hörverlust vorliegen, kann ein Hörgerät diese Therapieform nur bedingt ersetzen. «Durch das Hörtraining verändern wir nicht den Hörverlust, sondern bekämpfen die Hörentwöhnung», so der Experte. Im Endeffekt kommt es darauf an, wie viel der Hörkraft bereits verloren gegangen ist. Je nach Beschwerden ist es auch möglich, dass beide Therapieformen gleichzeitig zum Einsatz kommen.
Wichtig ist, dass man zeitlebens auf sein Gehör achtet. Auch wenn man keine unmittelbaren Folgen spürt, kann ein allzu sorgloser Umgang mit dem Gehör in der Zukunft zu Problemen und Hörminderung führen.