«Ich habe Patienten mit gebrochenen Herzen»
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Kardiologin Miriam Brinkert:«Ich habe Patienten mit gebrochenem Herz»

Miriam Brinkert (40) leitet als einzige Frau in der Schweiz ein Herzkatheterlabor
«Ich habe Patienten mit gebrochenen Herzen»

Kaputte Herzen sind ihr Metier. Miriam Brinkert ist 40 Jahre alt und die einzige Frau in der Schweiz, die ein Herzkatheterlabor leitet. Die Kardiologin vom Kantonsspital Aarau über schwache Pumpen, verkalkte Arterien und den Frauenmangel in ihrem Beruf.
Publiziert: 14.02.2021 um 10:06 Uhr
Die interventionelle Kardiologin Miriam Brinkert (40) in einem Herzkatheterlabor im Kantonsspital Aarau.
Foto: Philippe Rossier
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Interview: Alexandra Fitz

Was ist für Sie das Herz?
Miriam Brinkert
: Auf der einen Seite assoziiere ich das Herz mit Emotionen, wie wohl die meisten anderen Menschen auch. Auf der anderen Seite ist das Herz ein grosser Teil meines Berufs: In der Kardiologie verstehen wir es als muskuläres Hohlorgan, als Motor des Körpers.

Hat das Herz aus medizinischer Sicht noch Geheimnisse?
Sehr viele. Jeden Tag gibt es neue Publikationen, die Forschung ist aktiv. In meinem Bereich, der interventionellen Kardiologie, gab es in den letzten Jahrzehnten starke Fortschritte. Oder ein aktuelles Thema: Wie betreffen Covid-Infektionen das Herz?

Eine von wenigen

Brinkert ist 1980 in Warendorf (Nordrhein-Westfalen) geboren. Die Ausbildung zur Kardiologin machte sie am Universitätsspital Basel. Anschliessend spezialisierte sie sich in kardialer Bildgebung am Royal Brompton Hospital in London. Doch sie wollte invasive Kardiologin werden. So zog sie für zwei Jahre nach Kanada, um sich in Calgary zur invasiven Kardiologin ausbilden zu lassen. Danach war Brinkert für mehr als drei Jahre Oberärztin im Herzzentrum des Kantonsspitals Luzern. Seit Oktober 2019 ist sie Leitende Ärztin am Kantonsspital Aarau und Chefin des Herzkatheterlabors. Brinkert lebt in Zürich.

Die Kardiologin Miriam Brinkert (40) leitet als einzige Frau in der Schweiz ein Herzkatheterlabor.
Philippe Rossier

Brinkert ist 1980 in Warendorf (Nordrhein-Westfalen) geboren. Die Ausbildung zur Kardiologin machte sie am Universitätsspital Basel. Anschliessend spezialisierte sie sich in kardialer Bildgebung am Royal Brompton Hospital in London. Doch sie wollte invasive Kardiologin werden. So zog sie für zwei Jahre nach Kanada, um sich in Calgary zur invasiven Kardiologin ausbilden zu lassen. Danach war Brinkert für mehr als drei Jahre Oberärztin im Herzzentrum des Kantonsspitals Luzern. Seit Oktober 2019 ist sie Leitende Ärztin am Kantonsspital Aarau und Chefin des Herzkatheterlabors. Brinkert lebt in Zürich.

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Und?
Das Herz kann durchaus betroffen sein bei einer Corona-Infektion. Es gibt Fälle, bei denen Patienten ohne Herzbeschwerden an Corona erkrankten und sich danach im MRI zeigte, dass ihr Herzmuskel befallen war. Wenn ein Patient einen Herzinfarkt und Corona hat, ist es schwierig zu sagen, wie das kausal zusammenhängt. Corona hin oder her: Wir empfehlen jedem, der Brustschmerzen hat, so schnell wie möglich ins Spital zu kommen.

Sie leiten ein Herzkatheterlabor. Interventionelle Kardiologen nähern sich dem Herzen schonend mit dem Herzkatheter. Was sind Ihre häufigsten Eingriffe?
Ich öffne das Herzkranzgefäss und setze Stents. Das sind Gefässstützen. Das braucht es nach einem Herzinfarkt oder bei einer chronischen Erkrankung, wo Kalk- oder Fettablagerungen an den Herzarterien Engstellen bilden.

Die interventionelle Kardiologie

In der interventionellen Kardiologe arbeitet man im Herzkatheterlabor. Man nähert sich dem Herz schonend mit dem Herzkatheter über die Blutgefässe. Dieser Eingriff wird vorwiegend bei einem Herzinfarkt durchgeführt, wenn eine Herzarterie zugeht. Im Herzkatheterlabor eröffnet man notfallmässig das Herzkranzgefäss und setzt in der Regel einen Stent ein. Man spritzt Kontrastmittel, um die Herzarterien darzustellen und geht über einen Draht mit dem Katheter zum Herz. Mit einem Ballon wird das Gefäss wieder geöffnet und anschliessend mit einem Stent, einer Gefässstütze, stabilisiert. In der Herzchirurgie ist die vorgehensweise anders: Herzchirurgen operieren am offenen Herz, also bei geöffnetem Brustkorb, und unter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine. Beide Disziplinen arbeiten idealerweise Hand in Hand. «Ein Herzpatient braucht ein Herzteam aus Chirurgie und Kardiologie. Wir entscheiden gemeinsam, was die bessere Behandlung ist», sagt Brinkert. «Obwohl die interventionellen Möglichkeiten in der Kardiologie immer besser werden, wird es auch in Zukunft nicht ohne die Kollegen der Herzchirurgie gehen. Aber wir versuchen, wenn immer möglich interventionell zu behandeln, weil es weniger belastend für den Patienten ist.»

Die Kardiologin Miriam Brinkert bereitet eine Patientin auf einen Eingriff vor.
Philippe Rossier

In der interventionellen Kardiologe arbeitet man im Herzkatheterlabor. Man nähert sich dem Herz schonend mit dem Herzkatheter über die Blutgefässe. Dieser Eingriff wird vorwiegend bei einem Herzinfarkt durchgeführt, wenn eine Herzarterie zugeht. Im Herzkatheterlabor eröffnet man notfallmässig das Herzkranzgefäss und setzt in der Regel einen Stent ein. Man spritzt Kontrastmittel, um die Herzarterien darzustellen und geht über einen Draht mit dem Katheter zum Herz. Mit einem Ballon wird das Gefäss wieder geöffnet und anschliessend mit einem Stent, einer Gefässstütze, stabilisiert. In der Herzchirurgie ist die vorgehensweise anders: Herzchirurgen operieren am offenen Herz, also bei geöffnetem Brustkorb, und unter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine. Beide Disziplinen arbeiten idealerweise Hand in Hand. «Ein Herzpatient braucht ein Herzteam aus Chirurgie und Kardiologie. Wir entscheiden gemeinsam, was die bessere Behandlung ist», sagt Brinkert. «Obwohl die interventionellen Möglichkeiten in der Kardiologie immer besser werden, wird es auch in Zukunft nicht ohne die Kollegen der Herzchirurgie gehen. Aber wir versuchen, wenn immer möglich interventionell zu behandeln, weil es weniger belastend für den Patienten ist.»

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Der Herzmediziner ist ein Symbol für den Halbgott in Weiss, der Menschen vor dem Tod rettet. Und der Gott ist ein Mann. Stimmts?
Götter in Weiss sind wir sowieso nicht. Ich glaube auch, dass dieses Bild verschwunden ist. Aber Gleichberechtigung in der Medizin ist ein grosses Thema. Es gibt sehr wenig interventionelle Kardiologinnen. Da gibt es schon Verbesserungspotenzial.

Was müsste sich ändern?
Es ist ein vielschichtiges Problem mit gesellschaftlichen, beruflichen und auch soziologischen Aspekten. Häufig fragen Patienten den Pflegefachmann neben mir, ob er den Eingriff gemacht habe. Dann ist der Beruf sicherlich streng und eine psychische und physische Belastung. Wir müssen im Katheterlabor eine Bleischürze (Anm. der Red. rund 8 Kilogramm) tragen, um uns vor den Röntgenstrahlen zu schützen.

Und die Ausbildung dauert lange.
Ja, und sie fällt in einen Zeitraum, in der Familiengründung ein Thema ist. Für Frauen ist das schwer, alles nebeneinander hinzubekommen. Wir haben auch nicht viele Vorbilder. Es gibt in der Schweiz vielleicht vier oder fünf Frauen in der interventionellen Kardiologie. Das müsste sich ändern.

Wie?
Chefs müssen erkennen, dass Frauen eine Bereicherung sind, dass ein gemischtes Team Vorteile für alle bringt. Es wird immer besser, aber es gibt noch sehr viel zu tun. Ich glaube auch, dass gewisse Charaktereigenschaften der Frauen manchmal eher hinderlich in hierarchischen Strukturen sind. Frauen sind vielleicht nicht so fest an Karriere und Machtpositionen interessiert. Aber wenn man jungen Frauen die Chance gibt, sie fördert und ihnen einen Weg zeigt, wie es gehen könnte, ist eigentlich alles möglich.

Haben Sie Frauen im Team?
Ich frage jede Assistentin, die neu anfängt, aber im Moment möchte leider keine bei uns interventionelle Kardiologin werden. Die Gründe dafür sind natürlich sehr verschieden. Für die jungen Leute ist es auch wichtig, dass sie Freizeit, Familie und Beruf vereinbaren können.

Wie können Sie Beruf und Familie vereinbaren?
Ich habe keine Kinder.

Sie sind aus Deutschland. Verzeihen Sie das Klischee, aber hatte das einen Einfluss auf Ihre Karriere?
Nein, das glaube ich nicht. Die anderen interventionellen Kardiologinnen in der Schweiz sind Schweizerinnen.

Spielt der Patient eigentlich eine Rolle oder sehen Sie nur das Herz?
(Lacht) Er spielt die wichtigste Rolle! Ich bin Ärztin und nicht nur Mechanikerin. Erst öffnen wir bei einem Herzinfarkt natürlich das Herzkranzgefäss wieder, aber anschliessend kommt der fast wichtigere Teil: die Patienten betreuen, die Erkrankung erklären, Medikamente gut einstellen, die Reha.

Wie unterscheiden sich Herzen?
Das normale Herz wiegt etwa 300 Gramm. Es gibt Patienten mit Herzerkrankungen, bei denen der Herzmuskel dick wird. Oder angeborene Erkrankungen, wo das Herz gross und schwach wird.

Sagen Sie auch mal: «Das ist aber ein schönes Herz!»?
(Lacht) Ja, wenn es gesund ist, habe ich es natürlich am liebsten.

Unser Herzschlag passt sich der Musik an. Wissenschaftler fanden heraus, dass Barockmusik von Johann Sebastian Bach schon nach zehn Sekunden Puls und Blutdruck beruhigt.
Früher dachte man ja, das Herz sei die Seele. Heutzutage wissen wir, dass dies nicht stimmt, aber dass das Herz auf vieles reagiert wie z. B. Emotionen oder beim Sport. Zum Beispiel spüren wir unseren Herzschlag, wenn wir aufgeregt sind.

Was ist das häufigste Problem am Herzen?
Eine der häufigsten Herzprobleme ist die koronare Herzkrankheit. Die Fett- und Kalkablagerungen an den Herzarterien führen zu chronischen Engstellen oder zu einem Herzinfarkt.

Und wie kommt das?
Es gibt Risikofaktoren wie zum Beispiel Diabetes, hoher Blutdruck, Übergewicht und unsere Lebensart. Wenn wir nur noch auf dem Sofa sitzen und uns nicht bewegen. Es gibt auch eine genetische Belastung.

Das Schädlichste?
Das Rauchen! Und Cholesterin.

Können Herzen brechen?
Sie haben vielleicht schon mal vom Broken-Heart-Syndrom gehört. Das ist eine spezielle Erkrankung, sie kommt bei Frauen häufig nach der Menopause vor. Die Patienten haben einen Herzinfarkt, aber keine Engstellen an den Arterien. Die Ursache ist ein emotionales Ereignis, häufig ein negatives. In der Regel erholt sich dann der Herzmuskel wieder.

Haben Sie das schon mal erlebt?
Ja, ich habe regelmässig Patienten mit gebrochenem Herz. Von aussen sehen wir es ihnen nicht an, ob es ein Herzinfarkt ist mit verschlossener Herzarterie oder ein gebrochenes Herz. Ich mache also eine Herzkatheteruntersuchung. Wenn diese unauffällig ist, dann gibt es ein typisches Bild, wie das Herz pumpt beim gebrochenen Herzen.

Anders als bei einem Herzinfarkt?
Ja. Auf Japanisch heisst es Takotsubo-Syndrom (Anm. der. Red. übersetzt Tintenfischfalle, weil die linke Herzkammer in der Erkrankungsphase diesen speziellen, zum Tintenfischfang benutzten Tonkrügen ähnelt). Der Herzmuskel pumpt unten wild und oben gar nicht mehr.

Danach nehmen Sie den Katheter wieder raus und sagen: «Ich habe keinen Eingriff gemacht, Sie haben nämlich ein gebrochenes Herz»?
Ich erkläre meiner Patientin, dass sie ein gebrochenes Herz habe, und frage, was der Auslöser ist. Dann erkläre ich die Erkrankung, die allerdings genauso ernst ist wie ein Herzinfarkt.

Wie behandelt man sie?
Mit Medikamenten, die dem Herz helfen, sich zu erholen.

Wie wirkt sich Corona auf Ihre Arbeit aus?
Corona ist ein schwieriges Thema. Die Pandemie hat grosse Auswirkungen auf unsere Arbeit im Spital. Nicht dringliche Eingriffe musste man reduzieren, Operationen wurden abgesagt, um Freiraum für Corona-Patienten zu haben. Im Moment gehen die Zahlen zum Glück etwas zurück, die Impfungen schreiten voran. Wir sind alle in so einem flexiblen Modus, wir entscheiden von Tag zu Tag. Wir haben natürlich grossen Respekt und sind vorbereitet, falls eine dritte Welle kommt.

Hatten Sie in diesen Monaten weniger zu tun?
Weil ein Teil unserer Pflegefachleute für die Betreuung von Covid-Patienten eingesetzt wurde, mussten wir nicht dringliche Eingriffe verschieben. Allerdings können die wenigsten Patienten mit Herzproblemen warten. Patienten mit Herzinfarkt kommen immer notfallmässig. Die kann ich nicht verschieben.

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