Serotoninhemmer gibt es seit Mitte der 1980er-Jahre. Sie heben die Stimmung indem sie die Wiederaufnahme von Serotonin in die Zelle hemmen und so dafür sorgen, dass die Konzentration dieses Lusthormons in der Gewebeflüssigkeit des Hirns steigt. Um Flibanserin, einen weiteren Serotoninhemmer, auf den Markt bringen zu können, musste sich der Pharmakonzern Boehringer Ingelheim schon eine neue Indikation einfallen lassen.
Man versuchte es mit prämenstruellen Störungen. Ohne Erfolg, die Zulassung wurde zweimal verweigert. Vier Jahre später, 2009 nahm man erneut Anlauf. Flibanserin wurde als Mittel gegen verringertes sexuelles Verlangen – hypoactive sexual desire disorder, HSDD – zur Zulassung angemeldet. Ohne Erfolg. Die eingereichten Studien, die die Wirksamkeit belegen sollten, wurde von der FDA als unzureichend abgelehnt.
Luststeigerung hält sich in Grenzen
Dank Flibanserin hatten die Teilnehmerinnen mehrerer Studien zwar pro Monat durchschnittlich 2,5 mehr «befriedigende sexuelle Ereignisse» als zuvor, aber nur 0,5 bis 1 Ereignisse mehr als in der Kontrollgruppe. Zudem tritt die Wirkung erst nach vielen Wochen ein. Nur jede zehnte Frau reagierte überhaupt auf Flibanserin. In Anbetracht der Nebenwirken - Blutdruckabfall, Ohnmacht, Müdigkeit, Unverträglichkeit mit Alkohol - war das zu wenig. So blieb Boehringer nur noch die Schadensbegrenzung.
2011 verkaufte man das Patent für eine unbekannte tiefe Summe an Sprout Pharmaceuticals. Diese erreichte im August 2015 im zweiten Versuch die Zulassung durch die US-Pharmabehörde FDA. Keine 48 Stunden später hatte Sprout das Patent für über eine Milliarde Dollar an den kanadischen Konkurrenten Valeant verkauft. Was kann Sprout, was Boehringer nicht konnte? An der Forschungsabteilung liegt es nicht. Vielmehr hat Sprout ein spezielles Know-How für schwierige Zulassungen entwickelt.
Lobbyismus par excellence
Sprout rief insgesamt 14 „unabhängige“ Internetforen ins Leben, in denen Frauen berichten, wie sehr ihre Psyche, ihre Gesundheit und ihr Eheleben unter der mangelnden Liebeslust leiden, wie häufig diese Krankheit vorkommt, wie sehr sie von den Ärzten unterschätzt werde, und wie diskriminierend sich die FDA (Federal Drug Agency) verhalte, indem sie den Männern zwar ihr Viagra gönne, den Frauen aber eine entsprechende Pille vorenthalte. Auch Ärzte durften sich darüber beklagten, dass es ihnen nicht erlaubt war, ihren Patientinnen Flibanserin zu verschreiben.
2014 brachte Sprout die FDA dazu eine Delegation von betroffenen Frauen anzuhören. Sie überzeugten die Zulassungsbehörde davon, dass man den Erfolg von Flibanserin nicht nur an den sexuellen Ereignissen messen könne, sondern, dass man auch Auswirkungen auf die täglichen sexuellen Phantasien und auf das Selbstwertgefühl bewerten müsse. Dazu legte Sprout Studien vor, wonach Frauen mit Flibanserin täglich 12 mal öfter an Sex dachten; im Vergleich zur Kontrollgruppe ist das viermal mehr. 2015 liess die FDA Flibanserin mit sechs Gegenstimmen und mit vielen Auflagen zu: Nur unter ärztlicher Aufsicht, Autofahren erst sechs Stunden nach der Einnahme, nachträgliche Studien auf Fahrfähigkeit etc.
Sprechstunden über Skype
Nächstes Problem. Wie bringt man Ärzte dazu, ein solches Produkt zu verschreiben? Valeant wollte das Problem so lösen: Man setze einen hohen, von den Krankenkassen zu zahlenden Preis von 800 Dollar pro Monat an und lasse den Ärzten einen „gerechten“ Anteil davon auf verschlungenen Wegen zukommen. Diese Strategie ist offensichtlich nicht aufgegangen: Vor wenigen Wochen hat Sprout nach einem Rechtsstreit das Patent zurückgekauft und den Preis auf 400 Dollar halbiert.
Nach Bloomberg wurde die Preissenkung möglich, weil man die Mittelsmänner (Ärztinnen und Ärzte) durch ein „telehealth“-System“ aussschalten konnte. Dabei stellt ein Arzt die Diagnose per Skype und stellt das Rezept aus. In der Schweiz ist Flibsanserin nicht kassenpflichtig, aber man kann es übers Internet für 13.66 Franken pro Tagesdosis kaufen.