Romantische Verblendung
Machen kleinere Winzereien wirklich besseren Wein?

Viele Winzer kultivieren eine rustikale Coolness, möchten ein bisschen als Underdog wahrgenommen werden und reden ihre Produktionsmenge klein. Blick-Wein-Redaktorin Shirley Amberg erklärt, warum.
Publiziert: 14.01.2022 um 15:06 Uhr
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Wenn die Rebflächen mit dem Pferd gepflügt werden…
Foto: Shutterstock
Shirley Amberg

«Zwei Hektar? Ein paar Fässer? Das nennst du klein? Ich kenne da diesen Typen in Georgien, der hat weniger als einen Hektar, auf einem 45 Grad steilen Hang, der nur mit dem Pferd zugänglich ist, und er stellt nur ein paar Dutzend Flaschen pro Jahr her. Das ist klein!» Solche Reden sind in der Weinwelt nicht selten.

Kein Wunder also, dass viele Winzer den Umfang ihrer Produktion mit suggestiven Triggerwörtern wie beispielsweise «Handwerk» oder «Terroir» zu tarnen versuchen.

Kleine Produktion impliziert Seltenheit

Egal, ob es sich um von Statussymbolen besessenen Snobs auf der Jagd nach Exklusivität oder obskure Weinfanatiker handelt – beiden geht es darum: «Ich habe etwas entdeckt!»

In der Welt der Weine herrscht die Meinung: Klein ist schön. Und dies gilt sowohl für die Anzahl Hektare, aber auch in moralischer und ästhetischer Hinsicht. Ein Wein, der von einem Bauern hergestellt wird, der seine eigenen Rebstöcke hegt und pflegt, wird immer automatisch als «authentischer» wahrgenommen, als ein Wein, der von einem grossen Konzern produziert wurde.

Es gibt immer Zeiten, in denen «gross» nützlicher ist

Es ist in etwa so wie in der Gastronomie: Der kleine, unabhängige Vigneron mit zwei Hektaren Rebland, der sich um alles kümmern kann, vom Beschneiden über das Pflücken bis hin zur Vermarktung, ist vergleichbar mit dem Küchenchef eines 8-köpfigen Familienrestaurants.

Hingegen ist der Chef-Önologe eines grossen Weinkonzerns mit seiner Liebe zum Detail und seiner Fähigkeit, ein Team von Talenten zusammenzustellen, mit einem mit Sternchen und Häubchen ausgezeichneten Hotelkoch gleichzusetzen.

Kann man wirklich sagen, dass ein Weingut aufgrund seiner Grösse besser ist als ein anderes? Sind «echtes Terroir» und «wahres Handwerk» tatsächlich nur ein Privileg kleinerer Weingüter? Nein!

Es geht vielmehr darum, wer die Winzer sind und was sie tun, statt wie gross oder wie klein ihre Rebflächen sind. Die Dichotomie «klein gegen gross» ist rein ideologisch.

Für einen echten Weinliebhaber sollte Grösse keine Rolle spielen.

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