Eigentum mit Garten? Laut ETH-Professor stirbt dieser Traum bald aus
«Einfamilienhäuser sind nicht mehr zeitgemäss»

Raumplanungsexperte David Kaufmann fordert eine Neuausrichtung des Wohnungsbaus: Weg von Einfamilienhäusern hin zu verdichteten, nachhaltigen Wohnformen. Dies sei nötig, um Platz für mehr Menschen zu schaffen und ökologisch zu wirtschaften.
Publiziert: 10:18 Uhr
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Aktualisiert: 10:26 Uhr
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Über eine Million Einfamilienhäuser stehen in der Schweiz verteilt. Doch diese seien «nicht mehr zeitgemäss», sagt ETH-Professor David Kaufmann im Blick-Interview.
Foto: Sven Thomann

Darum gehts

  • Schweiz hat Potenzial für 2 Millionen mehr Menschen, braucht aber Investitionen
  • Verdichtung funktioniert in Städten besser als in ländlichen Gebieten
  • Durchschnittliche Wohnfläche pro Person in der Schweiz beträgt 46,6 Quadratmeter
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Pascal ScheiberReporter Gesellschaft

Zwei Millionen Menschen könnten zusätzlich in der Schweiz wohnen, wenn das brachliegende Potenzial in den Siedlungsräumen genutzt würde. Das sagt eine Studie der Architektur-Denkfabrik Urbanistica. David Kaufmann (39) forscht an der ETH Zürich zu Städte- und Raumplanung. Der Politikwissenschaftler analysierte in mehreren Studien den verdichteten Wohnungsbau und die damit einhergehende Verdrängung. 

Blick: In einem Schweizer Haushalt leben im Schnitt 2,18 Personen. Sind das zu wenige?
David Kaufmann: Historisch gesehen ist dieser Wert tief. Das hat sich über die letzten Jahrzehnte so entwickelt. Früher lebten mehrere Generationen unter einem Dach. Heute ist es auch eine ökonomische Frage: Wir sind reich und können uns die Wohnflächen leisten. Der wirtschaftliche Druck, ein einzelnes Zimmer untervermieten zu müssen, ist bei vielen gering – das widerspiegelt die wirtschaftliche und gesellschaftliche Lage der Schweiz.

Auf 46,6 Quadratmetern leben wir im Schnitt. Im Vergleich zum Ausland ist das viel.
Im Detail sehen wir aber, dass in der Stadt eher dichter gewohnt wird. Im Schnitt nutzen die Menschen in der Stadt rund 10 Quadratmeter weniger als auf dem Land. Auch wichtig: Wer weniger Geld verdient oder jung ist, wohnt auf weniger Fläche. In der Schweiz wäre wohl ein erstrebenswerter Nachhaltigkeitsschwellenwert mit hoher Lebensqualität bei 35 Quadratmeter pro Person. Davon sind wir weit weg. 

Die Leerstandsziffer ist tief, unbebaute Wohnzonen sind rar. Wie kann die Schweiz noch verdichteter bauen und leben?
Alle, besonders die, die bereits viel Fläche nutzen, müssen sich ernsthaft fragen, ob sie die Wohnfläche reduzieren könnten. Reicht eine Wohnung anstelle von einem Haus? Das kann sich jede und jeder selbst fragen. Auf der anderen Seite: Wenn wir mehr in die Höhe oder verdichteter bauen, dann können wir die Wohnflächennutzung pro Quadratmeter Boden erhöhen, was der Verdichtung hilft. 

Ein Ergebnis Ihrer ETH-Forschung zeigt: Wo früher Einfamilienhäuser standen, steht heute im urbanen Gebiet ein Mehrfamilienhaus.
In den Städten funktioniert die Verdichtung besser. Zürich, Genf, Basel oder Lausanne schaffen es, dass nicht mehr Einfamilienhäuser gebaut werden. Die Wahrscheinlichkeit ist doppelt so hoch, dass ein Einfamilienhaus mit einem Mehrfamilienhaus ersetzt wird. Jedoch werden viele Gebäude abgerissen und ersetzt, was ökologische und soziale Probleme mit sich bringt. In der Stadt ist die Steuerung der lokalen Behörden stärker und die Nachfrage nach mehr Wohnraum grösser als in den ländlicheren Regionen.

Wie sieht es dort aus?
Mit doppelter Wahrscheinlichkeit wird ein Einfamilienhaus durch ein Einfamilienhaus ersetzt. Obwohl die Revision des Raumplanungsgesetzes 1 eine Verdichtung fordert und die Gemeinden ihre Landschaft nicht verbauen wollen, gibt es Anreize auf kommunaler Ebene, dies nicht wirklich umzusetzen. Höhere Steuereinnahmen durch Einfamilienhaus-Besitzende und der Wille der Stimmbevölkerung nach weniger staatlichem Eingriff. Das Bedürfnis nach einem Haus mit eigenem Garten und Privatsphäre ist weit verbreitet. Das führt dazu, dass einige Gemeinden weniger stark in den Markt eingreifen als in den Städten. Schauen Sie an die Zürcher Goldküste: tiefe Steuerfüsse, hohe Preise und wenig Dichte. 

… und kein Interesse an Hochhäusern. Wo sehen Sie das Potenzial auf dem Land?
Es gibt überall Potenzial. In Agglomerationsgemeinden und in ländlichen Gebieten kann noch dichter gebaut werden. Nahe am gut angeschlossenen öffentlichen Verkehr ist auch ein fünfstöckiges Haus oder grösser sinnvoll. Klar, es gibt Gemeinden, die eher schrumpfen und eine ältere Bevölkerung haben. In den Bergen gibt es aber auch Gemeinden, die aufgrund des Tourismus einen starken Zuwachs verzeichnen. Die Bevölkerungs- und Wachstumsszenarien sind sehr unterschiedlich. Um die Frage der Verdichtung kommt in der Schweiz keine Gemeinde herum.

Ihre Forschung zeigt, dass dies etwa im Kanton Zürich geschieht. Schwappt die Verdichtung bereits aus der Stadt aufs Land?
Ja, diesen Trend stellen wir fest. Die Bautätigkeiten kommen, wenn auch langsamer als erwünscht, weg vom Einfamilienhaus und gehen Richtung Mehrfamilienhaus. Das Problem ist, dass die Einfamilienhaussiedlungen sehr viele verschiedene Eigentümer haben. Die Verdichtung ist viel komplizierter als bei grösseren zusammenhängenden Parzellen. Grundsätzlich müssen wir uns fragen, ob Einfamilienhaus-Quartiere noch sinnvoll sind. 

Sie stellen die Hüsli-Schweiz infrage?
Ja, sie sind nicht mehr zeitgemäss, die Ausnutzung des Bodens ist ineffizient. Die Hüsli-Schweiz kommt aus den 60er- und 70er-Jahren, als der Mittelstand, die Generation meiner Eltern, plötzlich reicher wurde. Da konnten sich viele ein Auto und ein Einfamilienhaus leisten. In der Schweiz lebten bloss 5 bis 6 Millionen Menschen. Heute ist die Situation anders: Wir brauchen als Gesellschaft mehr Wohnraum und müssen ökologisch denken. Wir müssen nicht gleich alle Hüsli abreissen, aber damit aufhören, neue zu bauen. 

Die Alternative?
Ich plädiere dafür, dass wir anstelle von neuen Hüsli-Siedlungen mehr Alterswohnungen bauen. Dezentral in den Nachbarschaften der Hüsli-Quartiere, denn die Bevölkerung wird immer älter. Ein Beispiel: Meine Eltern leben in einem Reihenhaus. Eine altersgerechte Wohnung wäre an der Zeit, doch diese Option ist in ihrem Quartier nicht vorhanden. Sie werden vorerst bleiben. Die Ausnutzung mit einer jungen Familie mit Kindern wäre effizienter. 

Sie zerstören den Traum vieler Menschen vom Eigenheim mit Umschwung. Um was geht es Ihnen?
Ja, man muss von dieser Vorstellung wegkommen, dass wir immer noch über den natürlichen Ressourcen leben können. Ich bin auf dem Land aufgewachsen und kenne diese Realität. Mir geht es nicht darum, jemandem etwas wegzunehmen, sondern für unsere Kinder und Grosskinder zu planen. Wir wissen, dass es schwierig ist, für sie eine lebenswerte Zukunft zu haben. Wir sollten uns fragen, wie die nächsten Generationen wohnen werden. Es gibt viele Hüsli in der Schweiz, und das wird so bleiben. Aber wenn auf dem Grundstück eines Ehepaars zwei oder drei Familien leben könnten, haben wir eine Verdoppelung oder Verdreifachung der Nutzung auf diesem Boden. Wo leben junge Menschen und wie können auch ältere Menschen zentral wohnen, ohne zu vereinsamen? Es geht darum, dass wir gemeinsam an einer Zukunft planen und bauen.

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