Junge Frauen leiden besonders
«Der Stress entsteht im Kopf»

Stress gehört zum Leben – doch wenn er chronisch wird, macht er krank. Besonders betroffen sind laut der neuen Studie «Sanitas Health Forecast 2025» junge Frauen. Wann und warum Stress krank macht, erklärt die Psychologin Myriam Thoma.
Publiziert: 17:03 Uhr
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Aktualisiert: 17:42 Uhr
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Stress macht auf Dauer unglücklich.
Foto: Getty Images

Darum gehts

  • Stress ist eine natürliche Reaktion auf Herausforderungen, kann aber ungesund werden
  • Chronischer Stress führt zu körperlicher und psychischer Erschöpfung
  • Über 40 Prozent der Schweizer Bevölkerung fühlen sich laut aktueller Gesundheitsstudie gestresst
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Katja RichardRedaktorin Gesellschaft

Blick: Frau Thoma, was ist Stress?
Myriam Thoma: Stress ist eine ganz natürliche Reaktion auf Herausforderungen oder Bedrohungen – ob von aussen oder innen. Wenn wir Stress empfinden, schaltet sich unser autonomes Nervensystem ein. Hormone wie Adrenalin und Cortisol werden ausgeschüttet, um kurzfristig Energie bereitzustellen. Das hilft uns, in einer akuten Situation zu kämpfen oder zu fliehen. Stress ist der Motor des Lebens – ohne ihn hätten unsere Vorfahren den Säbelzahntiger nicht überlebt. Kurzfristig ist Stress eine sinnvolle und gesunde Reaktion.

Wann wird Stress ungesund?
Problematisch wird es, wenn diese Systeme im Körper zu häufig aktiviert werden. Wenn wir uns nicht mehr erholen können und chronisch gestresst sind, führt das langfristig zu körperlicher und psychischer Erschöpfung.

Über 40 Prozent der Menschen fühlen sich laut einer aktuellen Gesundheitsstudie gestresst. Ist Stress zur neuen Volkskrankheit geworden?
Stress an sich ist kein neues Phänomen. Auch frühere Generationen haben belastende Situationen erlebt – etwa im Zweiten Weltkrieg. Was sich verändert hat, sind die Stressoren. Heute gibt es keinen Säbelzahntiger mehr, der uns bedroht, sondern der Stress entsteht oft im Kopf. Diese Faktoren haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich verdichtet.

Was sind das für Stressoren?
Dazu gehören die Corona-Pandemie, die Klimakrise, die permanente Informationsflut über Social Media oder geopolitische Konflikte wie der Krieg in der Ukraine. All das erzeugt eine Art unterschwellige Daueranspannung – besonders bei jungen Menschen. Auch die rasante Entwicklung der künstlichen Intelligenz verunsichert: Wie soll Bildung künftig aussehen, wenn Maschinen viele Aufgaben besser und schneller lösen können? Das führt zu pessimistischen Zukunftsperspektiven und einem Gefühl der Orientierungslosigkeit.

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Junge Frauen scheinen besonders betroffen – warum?
Hier spielen gesellschaftliche Erwartungen stärker mit. Junge Frauen sollen schön und schlank sein, gleichzeitig leistungsfähig und karriereorientiert. Doch daneben gelten nach wie vor traditionelle Rollenmuster: Sie sollen bescheiden, freundlich und dankbar wirken. Wer als Frau selbstbewusst auftritt, wird oft schneller als «dominant» oder «zickig» abgewertet – im Gegensatz zu Männern. Dazu kommt Social Media als verzerrter Spiegel: Hier kann man nur verlieren, selbst wenn man weiss, dass vieles gefiltert ist. Das kratzt am Selbstwertgefühl.

Ist Stress immer schlecht?
Nein. Kurzfristiger, kontrollierbarer Stress kann sogar motivierend sein. Wenn wir eine Herausforderung als machbar erleben und sie bewältigen, stärkt das unsere Resilienz. Gerade bei Jugendlichen ist es wichtig, ihnen nicht jede Schwierigkeit abzunehmen, sondern sie zu unterstützen, eigene Lösungsstrategien zu entwickeln. Die Erfahrung von Selbstwirksamkeit ist zentral für das Erwachsenwerden.

Stressforscherin

Myriam Thoma (45) ist Universitätsdozentin für Klinische Psychologie und Psychopathologie an der Universität Basel. Nach Studium, Promotion und Habilitation an der Universität Zürich forschte sie in Boston (USA) zu Stress. Ihre Arbeit verbindet Forschung, Lehre und Therapie mit Fokus auf Stress, Trauma und Resilienz. Sie ist Psychotherapeutin und publiziert zu Stressfolgen, psychischer Gesundheit im Alter und Musikpsychologie.

Myriam Thoma (45) ist Universitätsdozentin für Klinische Psychologie und Psychopathologie an der Universität Basel. Nach Studium, Promotion und Habilitation an der Universität Zürich forschte sie in Boston (USA) zu Stress. Ihre Arbeit verbindet Forschung, Lehre und Therapie mit Fokus auf Stress, Trauma und Resilienz. Sie ist Psychotherapeutin und publiziert zu Stressfolgen, psychischer Gesundheit im Alter und Musikpsychologie.

Werden Kinder heute zu sehr abgeschirmt?
Viele Eltern möchten ihre Kinder vor allem beschützen – das ist verständlich. Aber Kinder brauchen auch die Möglichkeit, Belastungen zu erleben, und zwar in einem geschützten Rahmen. So können sie lernen: Ein Konflikt ist lösbar. Eine Prüfung ist machbar. Entscheidend ist auch, was Erwachsene ihnen im Alltag vorleben.

Warum zeigt sich Stress oft körperlich?
Für viele ist es einfacher, körperliche Symptome wahrzunehmen als emotionale. Dafür braucht es eine gute innere Wahrnehmung. Wer zum Beispiel unter unbewussten Ängsten leidet, kann Magen-Darm-Beschwerden, Kopfschmerzen oder Muskelverspannungen entwickeln – etwa in Prüfungssituationen. Diese Beschwerden sind Ausdruck innerer Überforderung. Um sie richtig einzuordnen, braucht es ein gutes Körperbewusstsein – das in unserer digitalisierten Welt leider oft verloren geht.

Hilft Selbstoptimierung – oder schadet sie eher?
Wir leben in einer leistungsorientierten Gesellschaft, in der sich viele stark nach dem Aussen richten. Der Körper soll nicht nur funktionieren, sondern auch gut aussehen. Das kann problematisch werden. Wer sich ständig von aussen bewerten lässt, verliert den Bezug zur inneren Haltung: Ich bin gut, so wie ich bin.

Was hilft gegen chronischen Stress?
Der Mensch ist nicht dafür gemacht, zehn Stunden am Tag im Büro zu sitzen. Wir brauchen mehr Bewegung im Freien, den Kontakt zur Natur und echte soziale Beziehungen. Es ist wichtig, dass wir lernen, wieder besser auf unseren Körper zu hören – bevor er Alarm schlägt.

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