Forscherin zu erzwungener Adoption
«Rechtlich war meistens alles korrekt»

Erzwungene Adoptionen in der Schweiz sind bisher wenig erforscht. Laut Historikerin Rahel Bühler von der ZHAW liefen die Verfahren rechtlich meist korrekt ab, doch ledige Mütter standen unter enormem gesellschaftlichem und behördlichem Druck.
Publiziert: 16:45 Uhr
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Aktualisiert: 16:47 Uhr
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Rahel Bühler ist Historikerin und forscht an der ZHAW zu Adoptionen in Zwangssituationen.
Foto: ZHAW

Darum gehts

  • Zwangsadoptionen in der Schweiz: Frauen unter Druck gesetzt
  • Subtiler und vielschichtiger Zwang durch Gesellschaft, Familie und Behörden
  • Bis in die 1970er-Jahre konnten aussereheliche Sexualkontakte administrative Versorgung begründen
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Karen SchärerTeamlead Gesellschaft

Junge Frauen wurden «unter grossen psychischen Druck gesetzt und gezwungen, einer Abtreibung, einer Sterilisation oder einer Adoption eines oder mehrerer ihrer Kinder zuzustimmen». Dies hält das Bundesamt für Justiz unter dem Titel «Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen» fest. 

Anders als beispielsweise Verdingkinder haben erzwungene Adoptionen noch wenig öffentliche Aufmerksamkeit erfahren. Auch aus wissenschaftlicher Sicht sind die Geschehnisse erst wenig aufgearbeitet. «Es gibt viele offene Fragen», sagt Rahel Bühler (44) von der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW). Die Historikerin hat neuste Studien zu Adoptionen in Zwangssituationen in der Schweiz ab den 1960er-Jahren mitverfasst.

Vielschichtiger Zwang

Wie viele Frauen die Erfahrungen von Elisabeth Meister teilen, lässt sich nicht beziffern. Denn: «Die Akten zeigen: Rechtlich ist meistens alles korrekt abgelaufen», sagt Bühler. Es stand kein Beamter neben dem Bett einer jungen Mutter und erzwang eine Unterschrift auf einer Verzichtserklärung. Der Zwang war subtiler und vielschichtig. 

Die ledigen – und häufig jungen – Mütter standen unter grossem Druck: Gesellschaftlich und vonseiten ihrer Familien, finanziell, durch Behörden und Vermittlungsstellen – und nicht zuletzt machten sie sich teils selbst Druck, ihrem Kind durch eine Adoption ein besseres Leben zu ermöglichen. «Die Frauen hatten wenig Autonomie, zu entscheiden», sagt die Forscherin. 

Ledige Mütter bekamen das Sorgerecht nicht automatisch

Bis in die 1970er-Jahre wurden Frauen an strengeren Moralvorstellungen gemessen als Männer. Aussereheliche Sexualkontakte konnten bei Frauen ein Grund sein für administrative Versorgung. 

Rahel Bühler weist auf die Ungleichbehandlung von unehelichen Kindern hin: Ein unehelich geborenes Kind erhielt automatisch einen Beistand. Die Vormundschaftsbehörde entschied, ob man der Mutter das Sorgerecht zutraut. Mit der Revision des Kindesrechts 1978 wurden unehelich geborene Kinder schliesslich gleichgestellt. Das Stigma wurde damit schwächer. Parallel dazu nahmen die Inlandadoptionen stark ab. Zu dieser Zeit waren Frauen auch besser aufgeklärt und hatten einfacher Zugang zu Verhütungsmitteln. 


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