Eine Feier für die Toten
Zwischen Grusel und Gedenken

Was kommt nach dem Tod? Wenn ein geliebter Mensch stirbt, wird die Sehnsucht nach einem Zeichen gross. Zu Allerheiligen gedenken wir der Verstorbenen, in Mexiko werden sie gefeiert – und manche suchen den Kontakt zu ihren Seelen.
Publiziert: 01.11.2025 um 20:54 Uhr
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Aktualisiert: 01.11.2025 um 20:56 Uhr
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Der Tag der Toten wird in Mexiko opulent mit Umzügen gefeiert.
Foto: AP

Darum gehts

  • Allerheiligen und Día de los Muertos: Zwei Kulturen gedenken der Verstorbenen
  • Mexikanischer Totentag inspiriert mit bunter Feier des Lebens und Todes
  • Etwa die Hälfte der Schweizer Bevölkerung glaubt an ein Leben nach dem Tod
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Katja RichardRedaktorin Gesellschaft

Auf unseren Friedhöfen brennen Totenkerzen, Chrysanthemen schmücken die Gräber, man verweilt für ein stilles Gebet. Wenn die Tage kürzer werden und das Licht schwindet, erinnern wir uns an die Verstorbenen – es ist die Zeit von Allerheiligen und Allerseelen.

Auch in Mexiko wird zu dieser Zeit der Toten gedacht: Am «Día de los Muertos» wird der Friedhof zur Festtafel. Familien schmücken die Gräber mit orangefarbenen Ringelblumen, stellen Fotos, Kerzen und Lieblingsspeisen auf. Es wird gelacht, gegessen, musiziert – als kämen die Toten für eine Nacht zurück. Während wir Abschied nehmen, feiern sie das Wiedersehen. Eine Tradition, die bei uns zunehmend fasziniert.

Zwei Kulturen – zwei Wege, mit dem Tod umzugehen. Die Religionswissenschaftlerin Dorothea Lüddeckens (59) sagt: «Es ist eine andere Perspektive – der Umgang mit dem Tod ist nicht nur eine ernste Sache. Man kann ihn auch feiern.» Die Professorin der Theologischen und Religionswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich ergänzt: «Es gibt tatsächlich immer mehr Menschen, die sich wünschen, dass an ihrer Beerdigung ihr Leben auch fröhlich gefeiert wird statt nur still ihr Tod betrauert.»

Gedenken und Grusel

Der mexikanische «Día de los Muertos» inspiriert mit Schminke und Blumenschmuck im Stil des Totentanzes – ein Zeichen dafür, wie sehr die Verbindung von Leben und Tod fasziniert. Genauso wie Halloween, das auf das keltische Samhain zurückgeht – ein Fest, an dem man glaubte, die Grenze zwischen den Welten sei offen. Heute vermischen sich Gedenken, Grusel und das Spiel mit der Vergänglichkeit. Das zeigt sich auch in der Natur. Blätter fallen, Pflanzen ziehen sich zurück – der Kreislauf von Werden und Vergehen. «Diese Jahreszeit macht uns hier in Europa die Vergänglichkeit unmittelbar bewusst», sagt Lüddeckens. «Wir spüren, dass alles Leben Teil eines Wandels ist.»

Als Catrina im Totenkostüm: Parade zum Tag der Toten in Mexiko.
Foto: AFP via Getty Images

Darin keimt auch die Hoffnung, dass mit dem Tod nicht alles vorbei ist. «Die Verstorbenen bleiben präsent in unserem Leben, das ist ganz normal», sagt Lüddeckens. «Mutter und Vater, Freundinnen, Freunde prägen uns stark. Viele spüren ihre Anwesenheit, auch wenn sie tot sind.» Ob wir nur aus Fleisch und Knochen sind oder ob eine unsterbliche Seele in uns wohnt, darüber scheiden sich die Geister – in der Schweiz glaubt etwa die Hälfte der Bevölkerung an ein Leben nach dem Tod. Daraus entsteht manchmal auch der Wunsch, mit Verstorbenen in Kontakt zu treten. «Vor allem, wenn Dinge ungelöst sind», sagt Lüddeckens. «Wenn man das Gefühl hat, nicht abschliessen zu können. Oder wenn jemand sehr unverhofft und schmerzlich aus dem Leben gerissen wird – bei einem Unfall oder wenn ein Kind stirbt.»

Kann man mit Toten sprechen?

Manche suchen in ihrer Trauer Rat bei einem Medium, das den Kontakt zu Verstorbenen herstellt. Kann man wirklich mit Toten sprechen? Davon ist Claudia Zuccolo (54) überzeugt. Die Zürcherin ist als Medium weit über die Schweiz hinaus bekannt. Mit ihrem Mann Bill Coller (75), Minister bei der Spiritual Church in Schottland und Irland, gründete sie vor zehn Jahren die Swiss Spiritual Church – in Grossbritannien ist der Spiritualismus eine anerkannte Religion. Einmal im Monat hält das Paar in Zürich einen spiritualistischen Gottesdienst ab – mit Jenseitskontakten, die das Leben nach dem Tod bezeugen. «Wir sind ein Verein und missionieren nicht. Unsere Arbeit soll Trost spenden – und zeigen, dass Liebe und Bewusstsein weiter bestehen», sagt Zuccolo.

Der Spiritualismus, auf den sich Zuccolo beruft, hat seine Wurzeln im 19. Jahrhundert. Er entstand in einer Zeit, in der Technik und Wissenschaft neue Möglichkeiten eröffneten, aber auch viele Gewissheiten erschütterten. Kommunikation und Bilder über unsichtbare Kanäle wurden plötzlich real: erst durch den Telegrafen, dann durch die Fotografie. Warum also nicht auch mit dem Jenseits? Berühmt wurden die Fox-Schwestern aus dem US-Bundesstaat New York. 1848 berichteten die Teenager, mit Klopfzeichen Geister herbeirufen zu können – später hielten sie täglich Séancen ab und lösten dank Zeitungsberichten eine Welle der Faszination aus. Séancen wurden zum gesellschaftlichen Ereignis, der Glaube an eine jenseitige Welt breitete sich aus. In Grossbritannien fand die Bewegung rasch Anhänger; dort etablierte Emma Hardinge Britten (1823–1899) den Spiritualismus als moralische und philosophische Lehre.

Im 19. Jahrhundert boomten Séancen: Filmszene aus «Dr. Mabuse» von Fritz Lang von 1922.
Foto: Bettmann Archive

Jeder hat eine mediale Veranlagung

Laut Zuccolo habe jeder Mensch eine mediale Veranlagung: «Es geht ums Fühlen und Wahrnehmen – das kann man üben.» Sie vergleicht es mit dem Spielen eines Klaviers: «Eine Taste drücken geht einfach, aber um eine Melodie zu spielen, braucht es viel Training und gute Lehrer. Dazu kommt das Talent.» In ihrer Arbeit als Medium folgt sie klaren Kriterien. «Es braucht eine korrekte Beweisführung», sagt sie – also konkrete Fakten, die sie als Medium nicht kennen oder recherchieren kann. «Ich gehe erst dann in eine Botschaft, wenn ich weiss, von wem aus der geistigen Welt sie kommt.» Kritisch sei es, wenn ein Medium nach Informationen fischt. Damit ist «Cold Reading» gemeint – eine Technik, wie sie von Bühnenmagiern oder Kartenlegerinnen angewendet wird.

Wissenschaftlich beweisen lässt sich Medialität nicht – der Zugang zum Jenseitigen bleibt ein Mysterium. Für die einen ist es Hokuspokus, für die anderen ein wichtiger Anker. Im Christentum markiert der Tod eine Grenze, die nur Gott selbst überbrücken darf. In der Bibel wird ausdrücklich vor der Totenbeschwörung gewarnt, weil damit die Tür zu «dämonischen Kräften» geöffnet werde. An Allerheiligen wird in der katholischen Kirche auch nicht zu den Verstorbenen gebetet, sondern für sie. Laut der Religionswissenschaftlerin Lüddeckens reden aber viele Christen in Gedanken mit nahestehenden Verstorbenen. Manche fühlen sich von ihnen auch in Form von Engeln begleitet.

Heute, wo traditionelle Religionen an Zulauf verlieren, wächst das Interesse an alternativen Formen der Spiritualität. Das zeigt sich auch im Umgang mit Tod und Trauer. «Viele sind auf der Suche nach neuen und individuellen Formen der Erinnerungskultur», sagt Professorin Lüddeckens. Die Faszination für das Übersinnliche, die sich in Jenseitskontakten oder medialen Sitzungen zeigt, entspringt nicht bloss der Neugier oder dem Nervenkitzel. «Wer einen solchen Schritt macht, tut es in der Regel aus einem echten und tiefen Bedürfnis heraus», so die Religionswissenschaftlerin. «Diejenigen, die solche Kontakte anbieten, tragen deshalb eine sehr grosse Verantwortung.»

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