Darum gehts
- Googles neue KI-Brille weckt Hoffnungen trotz Kinderkrankheiten
- Live-Übersetzung und Gemini sind Schlüsselfunktionen der Plattform
- Markteinführung bis 2026 mit namhaften Brillenherstellern geplant
Klobig, plastiklastig – und doch ein Blick in die Zukunft: Googles neue KI-Brille zeigt, wie der Computer auf die Nase wandert. Sechs Minuten. Mehr Zeit blieb mir nicht, um Googles ersten KI-Brillen-Prototyp diese Woche auf der Entwicklerkonferenz I/O zu testen. Doch es reicht für einen ersten Eindruck und ein Aha-Erlebnis.
Die Brille läuft auf Android XR, Googles neuer Plattform für erweiterte Realität. Im linken Bügel steckt eine Kamera, im rechten Glas ein kleiner Bildschirm. Ein Fingertipp am Bügel weckt den Google-KI-Assistenten Gemini. Dieser versteht neben Englisch auch Deutsch und sogar ein bisschen Schweizerdeutsch.
KI säuselt Wissen ins Ohr
Das System überzeugte: Ich betrachtete ein Gemälde, fragte nach dem Künstler. Gemini nennt Namen und Kunstepoche – Impressionismus – und erklärt auf Nachfrage die Merkmale des Genres.
Im zweiten Test stand eine manuelle Kaffeemaschine vor mir. Die Brille lieferte sofort präzise Anweisungen: Wie ich die Maschine einschalte, was die einzelnen Knöpfe bedeuten, wie ich die Bohnen mahle. Als ich tatsächlich zur Tat schritt, geriet der Betreuer in hektische Aufregung. «Das hat bisher niemand gemacht», meinte er entsetzt. Die Demo war offenbar nicht auf geradlinige Tester eingestellt.
Dennoch ein Aha-Erlebnis: Die KI-Brille zerlegte die Bedienung in klare Einzelschritte. Kontextuell, interaktiv und dann, wenn ich sie brauchte. Ein grosser Sprung gegenüber statischen Anleitungen. «Es erinnert an Sci-Fi-Filme wie ‹Iron Man›, wo man Jarvis als Assistenten dabei haben konnte», sagt Google-Android-Chef Sameer Samat. «Mit den KI-Fortschritten wird das jetzt möglich.»
Erinnerungen an Google Glass
Googles Vision ist nicht neu. Vor einem Jahrzehnt scheiterte Google Glass spektakulär, bevor es überhaupt auf den Markt kam. Die Träger wurden als «Glassholes» verspottet – das auffällige Gadget schürte Datenschutzängste.
Die neue Brille ist dezenter, aber kein Designwunder. Verglichen mit Metas stylischen Ray-Ban-Smartglasses wirkt sie geradezu klobig. Die Fassung ist dick, das Material billig. «Ein Prototyp», betonte Google mehrfach.
Mit der Brille fordert Google direkt Meta heraus. Während Meta auf Stil setzt, punktet Google mit Funktionalität. Der entscheidende Unterschied: Metas Ray-Ban-Brillen haben keine Bildschirme. Bei Google erscheinen die Informationen direkt im Sichtfeld. Es ist das grössere Science-Fiction-Feeling. Dazu ist Googles KI besser: Sie versteht den Kontext und bewältigt komplexere Aufgaben. Zur Schlüsselfunktion soll die Live-Übersetzung werden. Während der Bühnendemo stockte diese jedoch – die Technik scheint noch nicht ganz ausgereift. Ich selbst konnte die Funktion nicht testen.
Lange Wartezeit
Google plant, die Brille mit namhaften Herstellern auf den Markt zu bringen. Sie soll hübscher werden, auch als Sonnenbrille und mit korrigierten Gläsern für Brillenträger erhältlich sein. Bis zum ersten Modell dürfte es bis 2026 dauern. Preis, Akkulaufzeit und Datenschutzkonzept bleiben unklar.
Die entscheidende Frage: Ist die Gesellschaft zehn Jahre nach Google Glass bereit für KI-Brillen im Alltag? Werden wir mehr Verständnis für das neue Gadget aufbringen als damals? Nach meinem kurzen Test bin ich überzeugt: Googles KI-Brille liefert in Sekunden, wofür wir bisher minutenlang das Handy bearbeiteten. Doch bis das Science-Fiction-Gefühl Alltag wird, müssen drei Hürden fallen: Design, Datenschutz, Dauerlauf. Schafft Google das, bekommt das Handy Konkurrenz auf Nasenhöhe – andernfalls bleibt das Gadget ein schöner Prototyp.