Test: Was kann BYDs Autopilot God's Eye?
China-Hersteller setzt auf Gottes Auge

BYD nennt seinen neuen Autopiloten unbescheiden God’s Eye. Doch was kann das System und wie schneidet es im Vergleich zu den Autopiloten von Mercedes oder Tesla ab? SonntagsBlick war in einem BYD Dolphin Surf mit dem neuen System unterwegs.
Publiziert: 06:47 Uhr
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Build your Dreams (BYD) oder God’s Eye – gehts um Namen, macht der chinesischen Autoindustrie so schnell keiner etwas vor.
Foto: ZVG.

Darum gehts

  • BYD präsentiert autonomes Fahrsystem «God's Eye» in drei unterschiedlichen Ausführungen
  • Xuanji-Architektur nutzt multimodale KI für über 300 Fahrzeugszenarien
  • 5000 BYD-Ingenieure entwickeln Software mit grösster Auto-Cloud-Datenbank Chinas
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Wolfgang GomollFreier Mitarbeiter Auto & Mobilität

Gehts um Namen für neue Produkte in der Autoindustrie, macht chinesischen Herstellern so schnell keiner etwas vor. Jüngstes Beispiel sind BYDs autonome Fahrfunktionen mit der Bezeichnung «God’s Eye». Das Auge Gottes? Das impliziert Fähigkeiten biblischen Ausmasses.

Während Mercedes beim eigenen System sachlich vom Drive Pilot spricht und sich selbst Tesla mit Bezeichnungen wie Autopilot oder Full-Self-Driving (FSD) noch einigermassen zurückhält, legt BYD mit der unbescheidenen Bezeichnung die Messlatte für sein Robo-Auto-System hoch. Bleibt die Frage, ob der chinesische Autopilot hält, was seine Bezeichnung verspricht?

Drei verschiedene Ausführungen

Den Gott, made by Build your Dreams (BYD), gibts in drei Ausführungen: Die Basisversion God’s Eye C (DiPilot 100) nutzt total 12 Kameras: drei oben hinter der Windschutzscheibe, fünf für die Panoramasicht und vier für eine möglichst genaue Rundumsicht. Ergänzt werden sie durch fünf Millimeterwellen-Radarsensoren und 12 Ultraschall-Radarsensoren. Der DiPilot 100-Chip mit einer maximalen Rechenleistung von 100 Tops (Billionen von Operationen pro Sekunde) verarbeitet diese Daten. Die Prozessoren stammen von Nvidia (Orin N-Chip) sowie vom chinesischen Hersteller Horizon Robotics (Journey 5-Chip). Der Verzicht auf teure Lidar-Sensoren macht hier Sinn, denn die Einsteiger-Version des neuen Autopiloten kommt in China bei Modellen wie dem BYD Seagull (bei uns: Dolphin Surf) und mit der Modellpflege auch beim Atto 3 zum Einsatz.

Die nächste Ausbaustufe des Autopiloten heisst God’s Eye B (DiPilot 300) und hat bereits einen LiDAR-Sensor an Bord. Um die grössere Datenmenge zu verarbeiten, setzt BYD bei diesem System auf den Nvidia-Orin-X-Chip (300 Tops). Mit dieser Rechenpower sind komplexere Fahrmanöver möglich, was vor allem in der Stadt hilfreich ist. Diese Version ist vor allem für die Modelle der BYD-Premiummarke Denza gedacht. 

Luxus-Fahrzeuge wie der Elektro-Supersportwagen Yangwang U9 oder der schwimmfähige SUV U8 erhalten die Top-Version God’s Eye A (DiPilot 600). Das bedeutet drei LiDAR-Sensoren, wobei der duale Nvidia-Orin-X-Chip mit einer Rechenleistung von 600 Tops zum Einsatz kommt. Was damit möglich ist, zeigte BYD bei der God’s-Eye-Präsentation mit einem Video, in dem der Yangwang U9 ohne Fahrer in forciertem Tempo eine Rennstrecke umrundet.

Multimodale AI-Architektur

Die Xuanji-Architektur ist sowohl das Hirn als auch das neuronale Netzwerk hinter BYDs autonomen Fahrzeugen. Diese Technologie begreift das Automobil als Ganzes. Wie der Name Xuanji AI Large Model verrät, nutzt diese Architektur künstliche Intelligenz. Und zwar multimodal. Das bedeutet nichts anderes, als dass Xuanji AI in der Lage ist, innerhalb weniger Millisekunden verschiedene Arten von Daten zu verarbeiten – darunter Sensor-, Bild- und Sprachdaten. Durch diese Rechenleistung deckt die Xuanji-Architektur über 300 Fahrzeugszenarien ab. Dazu gehören zum Beispiel Strassen- und Wetterbedingungen, Verkehrssituationen oder das Parkieren. Da dieses KI-System sowohl im Fahrzeug als auch in der Cloud betrieben wird, sind die Daten gesichert und das System kann mittels Over-the-Air-Updates immer auf den neuesten Stand gebracht werden.

BYD entwickelt diese Software mit rund 5000 Ingenieuren selbst. Bei der Präsentation wies BYD-CEO Wang Chuanfu denn auch stolz darauf hin, dass sein Unternehmen über die grösste automobile Cloud-Datenbank Chinas verfügt. Für den BYD-Firmenchef zählen hoch entwickelte Auto-Robo-Systeme in den nächsten zwei bis drei Jahren zu den wichtigsten Elementen beim Autokauf. Egal in welchem Segment, also auch bei Kleinwagen.

Erster Test in einem BYD Seagull

Wir machen in einem BYD Seagull, der bei uns als Dolphin Surf ab 20’990 Franken verkauft wird, die Probe aufs Exempel. Es ist ein regnerischer Tag im chinesischen Xi’an. Nicht gerade ideale Voraussetzungen, um ein kamerabasiertes autonomes Fahrsystem zu testen. Auf die Frage, ob wir NOA (Navigate on Autopilot) schon in der Stadt aktivieren dürfen, schütteln die BYD-Verantwortlichen den Kopf. Ihre Begründung: «Zu viel Verkehr.» Also warten wir, bis wir auf der Autobahn sind. Dann ziehen wir an der Wippe links an der Lenkradsäule – und schon ist das System DiPilot 100 aktiv, wie wir an türkisfarbenen Leuchtdioden in den beiden Aussenspiegelschalen sehen. Damit wissen auch die anderen Verkehrsteilnehmer, dass hier ein Robo-Fahrzeug unterwegs ist. Wie bei Nios Autopilot NOP+ (Navigate on Pilot) fahren wir eine durch das Navi vorgegebene Strecke ab. Im Gegensatz zum Mercedes-System Drive Pilot benötigt unser selbsttätig agierender BYD-Kleinwagen also kein Führungsfahrzeug.

BYD bezeichnet sein System als autonomes Fahren des Level 2,5. Trotzdem absolviert unser Kleinwagen den Grossteil der Strecke in Eigenregie. Bis zu zehn Minuten steuert der Autopilot das Fahrzeug von alleine. Dann erscheinen die roten Hände im Display. Was BYDs Basis-God’s-Eye abliefert, ist beeindruckend und braucht sich hinter Teslas FSD nicht zu verstecken. Ganz im Gegenteil. Selbst Autos, die vor unserer Nase über drei Spuren queren, bringen das System nicht aus der Ruhe. Wenn nötig, geht es kurz vorm Gas. Auch eigene Spurwechsel gelingen ohne unser Zutun. Sobald ein langsameres Fahrzeug die Spur blockiert, wechselt der Autopilot geschmeidig auf die rechte oder linke Spur, zieht vorbei und schert wieder ein. Maximal mit 130 km/h. Besser kriegen es Menschen auch nicht hin. Bis Tempo 100 km/h kriegt das System sogar eine Vollbremsung hin und bleibt rechtzeitig vor dem Hindernis stehen.

Wann startet God’s Eye in der Schweiz?

Kein einziges Mal kommt auf unserer Demofahrt ein Gefühl der Unsicherheit auf. Auch die Autobahnausfahrt meistert der autonome Seagull problemlos. Rund zwei Kilometer vorher wechselt er von der linken auf die mittlere Spur und befindet sich wenige hundert Meter vor der Abzweigung dann ganz rechts. Selbst in der Kurve der Ausfahrt können wir uns noch entspannt zurücklehnen. God’s Eye meistert auch dies noch ohne wild zuckendes Lenkrad ganz souverän. Erst als die Mautstation in Sicht kommt, streicht das System die Segel. 

Bleibt noch ein letzter Test: das Parkieren. Solange genug Platz zum Rangieren vorhanden ist, parkt unser Seagull selbständig auch in eine knifflige Parklücke rückwärts ein. Wenn die Lücke so eng ist, dass man nicht mehr aussteigen könnte, lässt sich das Parkmanöver auch ferngesteuert via Handy ausführen. Ob, wann und in welcher Form das Auge Gottes nach Europa und in die Schweiz kommt, steht noch in den Sternen. Hier machen BYD die in Europa geltenden Vorschriften noch einen Strich durch die Rechnung.

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