Darum gehts
- 60-köpfige Jury aus 23 Ländern trifft sich zum traditionellen Tannistest in Dänemark
- Elchtest auf Flugfeld Sindal ist Höhepunkt der Testwoche für die Wahl «Car of the Year 2026»
- Schafft Renault mit dem R4 den Hattrick – oder gewinnt erstmals ein Chinese?
Gnadenlos: Bei der europäischen Wahl zum «Car of the Year» gibt es nur einen Sieger. Es gibt keine weiteren Kategorien, keine Publikumswahl und auch keine Silber- und Bronzemedaille. Einfach nur: Das Auto des Jahres!
Zugelassen zur Wahl sind alle neu lancierten Automodelle, die komplett oder in den wichtigsten Bestandteilen neu entwickelt wurden (also keine simplen Modellmodifikationen) und die bis zum 31. Dezember des vorherigen Jahres in mindestens fünf relevanten Ländern Europas eingeführt wurden. Konkret: Alle 34 Modelle, die im Lauf des Jahres 2025 auf den Markt kommen, nehmen an der Wahl zum Car of the Year 2026 teil – und zwar automatisch, ohne dass die Autohersteller ihre Modelle nominieren müssen. Sowieso wird die Beziehung zur Industrie so gering wie möglich gehalten. Finanziert und organisiert wird die Wahl von acht grossen Automagazinen. Finanzielle Zuwendungen aus der Autoindustrie gibt es keine – man will so die Unabhängigkeit garantieren.
Elchtest als Höhepunkt
Für eine erste Selektion trifft sich die 60-köpfige Jury aus 23 Ländern ganz Europas einmal im Jahr zum traditionellen Tannistest. Während einer Woche werden die für den Titel infrage kommenden neuen Automodelle auf Herz und Nieren getestet. Als Ausgangspunkt dient das Hotel Tannishus im dänischen Tversted, direkt an der Nordsee, nahe Hirtshals. Auf den ausladenden, kurvenreichen Strassen können Fahrwerk, Bremsen, Motoren und Assistenzsysteme verglichen werden. Am Strand (die Strände in Dänemark sind legal befahrbar) lassen sich Allradantrieb und Traktion testen. In den dunklen Nächten können adaptive Scheinwerfer und Matrix-Lichter erfahren werden. Höhepunkt der Testwoche stellt aber der Elchtest auf dem nahe gelegenen Flugfeld Sindal dar. Ein Ausweichtest, bei dem ohne zu bremsen ein Spurwechsel vollzogen und so ein Hindernis auf der Strasse – im Norden sind das eben nicht selten Elche – umfahren werden muss.
Dieser sicherheitsrelevante Test, bei dem Fahrer, Reifen und das elektronische Stabilitätsprogramm ESP des Autos an seine Grenzen gebracht wird, trennt die Spreu vom Weizen. Während einige Fahrzeuge bei diesem Manöver dank eines ideal abgestimmten ESP bis zu einer Geschwindigkeit von 80 km/h die Spur halten, rasieren andere bereits bei 76 km/h die Pylonen ab. Besonders überraschend sind solche Resultate, wenn es Modelle von Herstellern trifft, die eigentlich für ihre ausgefeilten Fahrerassistenzsysteme bekannt sind – wie etwa der neue CLA von Mercedes. Beim chinesischen Kompaktwagen Firefly, der in der Schweiz nicht erhältlich ist, liess sich Testfahrer Jan-Erik Berggren gar zum Kommentar verleiten: «Hat dieses Auto überhaupt ESP?»
Chinesen auf dem Vormarsch
Die Herkunft eines Autos sagt aber längst nichts mehr über sein Abschneiden bei der Jury aus. Bereits bei der Wahl 2024 schaffte es mit der Limousine BYD Seal ein Chinese unter die sieben Finalisten und damit in die Endrunde zum Car of the Year. Mit dem BYD Dolphin Surf und Sealion 7, dem Firefly, dem Leapmotor B10, dem MG HS, dem MG S5 EV und dem Zeekr 7X standen auch dieses Jahr wieder einige chinesische Fahrzeuge für Testfahrten in Tannis zur Verfügung. Ob einige von ihnen Siegchancen haben, wird sich Ende Oktober zeigen: Dann nämlich wird die Jury nach einer ersten Selektion die sieben Finalisten bekannt geben, die es auf die sogenannte «Short List» schaffen.
Losgelöst von der Wahl bietet der Tannistest der Jury, alles Mobilitätsjournalisten, auch eine gute Gelegenheit, sich einen aktuellen Überblick über die Trends in der Autobranche zu verschaffen. Dass die Anzahl chinesischer Marken stetig zunimmt, kann nicht überraschen. Auch nicht der Trend zu vermehrt elektrischen oder elektrifizierten Fahrzeugen. Dies stellt aber die Tannistest-Organisatoren vor eine Herausforderung: Weil das Hotel Tannishus selbst nicht über genügend Ladestationen für alle Stromer verfügt, müssen zusätzlich mobile Ladestationen aufgebaut werden.
Spannend zu beobachten ist, wie sich die Trends bei der Cockpitgestaltung unter den verschiedenen Herstellern verschieben. Während sich VW (dieses Jahr mit keinem Modell bei der Wahl vertreten) bereits wieder vom Konzept der «Touchbuttons» am Lenkrad verabschiedet hat, ist Audi erst mit dem Q6 auf den Zug aufgesprungen und fährt diesen auch bei den beiden aktuell nominierten Modellen A6 und Q5 weiter. Und auch bei Mercedes ist man auf den Geschmack gekommen und verbaut im neuen CLA nicht mehr vier Fensterheberschalter, sondern bloss noch zwei, die mit einer Zusatzfunktion für die Bedienung der Scheiben im Fond belegt sind.
Gelingt Renault der Hattrick?
Nach einer weiteren Runde von Testfahrten mit den Kandidaten der Shortlist wird dann bis Ende Jahr der definitive Sieger gewählt. Am Autosalon in Brüssel (9. bis 18. Januar 2026) wird Jury-Präsident Søren Rasmussen dann bekannt geben, welches Modell sich während eines Jahres mit dem Titel «The Car of the Year 2026» schmücken darf. Nachdem Renault 2025 mit dem Duo R5/Alpine A290 und 2024 mit dem Scenic den Sieg eingefahren hat, stellt sich heuer natürlich die Frage: Schaffen die Franzosen mit dem R4 den Hattrick – oder wird der Platz frei für eine neue Marke?