Blick mit Mercedes bei der Mille Miglia 2025
1000 Meilen italienische Autoliebe

Die legendäre Oldtimer-Rallye Mille Miglia führt über 1600 Kilometer von Brescia im Norden Italiens nach Rom und wieder zurück. Sie ist mehr als «nur» ein Oldtimerrennen – sie ist ein Anlass mit Symbolcharakter. Blick war bei der diesjährigen Ausgabe hautnah mit dabei.
Publiziert: 06:01 Uhr
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Aktualisiert: 06:03 Uhr
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Start zur Mille Miglia 2025: Marcus Breitschwerdt, CEO von Mercedes Heritage, fährt mit dem Mercedes 300 SLR von 1955 über die Startrampe – auf dem Beifahrersitz Elliot Moss, Sohn der Rennfahrerlegende Stirling Moss.
Foto: ZVG.

Darum gehts

  • Mille Miglia: Historisches Autorennen verbindet Italien kulturell und wirtschaftlich
  • Symbolträchtige Oldtimerrallye mit Volksfestcharakter und grosser Begeisterung
  • 1955 gewann Stirling Moss in der Rekordzeit von 10 Stunden und 27 Minuten
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Ramon EggerFreier Mitarbeiter für Auto & Mobilität

Brescia, 17. Juni 2025, kurz nach dem Mittag. Glühende Hitze, viel italienischer Pathos, es riecht nach Benzin und verbranntem Öl. Marcus Breitschwerdt (64), CEO von Mercedes-Benz Heritage, fährt mit dem Mercedes 300 SLR von 1955 über die Startrampe – auf dem Beifahrersitz Elliot Moss (45), Sohn der Rennfahrerlegende Stirling Moss (1929–2020). Die Mille Miglia 2025 ist eröffnet. Und die Symbolik allgegenwärtig.

Kein Zufall, denn die Mille Miglia ist mehr als nur eine Oldtimerrallye. Als das «Rennen der tausend Meilen» im Jahr 1927 zum ersten Mal ausgetragen wurde, war Italien ein fragmentiertes Land – wirtschaftlich und kulturell. Doch dieses Autorennen, von Brescia nach Rom und wieder zurück, wurde rasch zu mehr als bloss einem sportlichen Ereignis. Es verband den Norden mit dem Süden, führte auf öffentlichen Strassen durch reiche Städte und arme Provinzen. Und: Jeder durfte mitfahren. Jedes Dorf konnte seinen Fahrer mit einem mehr oder weniger renntauglichen Auto an den Start schicken.

Das Gebetsbuch führte 1955 zum Sieg

Natürlich, der Kampf um die Spitze wurde rasch professionalisiert und spätestens nach dem Krieg kämpften nur noch Werksteams um den Sieg. So auch Mercedes. Die Stuttgarter glänzten im Jahr 1955, als Stirling Moss mit Navigator Denis Jenkinson (1920–1996) im 300 SLR den Gesamtsieg holte. Mercedes war sich siegessicher, hatte das entsprechende Plakat bereits vorbereitet. Man glaubte aber nicht an den Sieg von Moss und Beifahrer Jenkinson, sondern setzte auf Juan-Manuel Fangio (1911–1995), der alleine fuhr – so zeigte das Banner ein SLR mit bloss einer Person im Auto. Das Duo Moss/Jenkinson hatte jedoch einen entscheidenden Vorteil: Mit den Notizen in der Hand konnte Jenkinson seinem Piloten genaue Angaben über den Streckenverlauf machen – Moss konzentrierte sich aufs Fahren und vertraute seinem Beifahrer blind. Am Ende überquerten die beiden als überlegene Sieger die Ziellinie – nach einer Fahrzeit von nur 10 Stunden und 7 Minuten und einer Durchschnittsgeschwindigkeit von über 157 km/h. Es war die schnellste auf den 1600 Kilometern (was 1000 Meilen entspricht) je gefahrene Zeit – das Jenkinsonsche «Gebetsbuch» revolutionierte den Rallyesport.

Auch heute wird die Mille Miglia zu zweit gefahren. Allerdings nicht mehr in 10 Stunden, sondern während vier Tagen. Es geht um Gleichmässigkeit und Zuverlässigkeit. Wer zu schnell unterwegs ist, kassiert ebenso Strafpunkte, wie wer zu spät ins Ziel kommt. Wer am Lenkrad sitzt, konzentriert sich aufs Fahren, der Beifahrer liest das «Roadbook» und bedient die Stoppuhr. Er ist zudem verantwortlich dafür, dass der offiziellen Route gefolgt wird, dass die vorgegebenen Zeiten für die einzelnen Tagesetappen und die kürzeren Sonderprüfungen eingehalten werden.

Blick übernimmt auf dem Abschnitt von Brescia nach Bologna die Rolle des Navigators und lotst Pilot Breitschwerdt im Mercedes 300 SL «Flügeltürer», der 1955 den Sieg in der Klasse der Serienwagen holte. Rund zehn Stunden Fahrt haben wir im 70-jährigen Rennwagen vor uns. Die Reise geht nicht auf direktem Weg, sondern führt über malerische Routen durch kleine Dörfer entlang dem Gardasee. Die Mille Miglia ist auch heute noch volksverbindend. Die Häuser sind dekoriert in den Farben der Landesflagge, die Strassen gesäumt von Tausenden von Zuschauern – Alt und Jung, Männer und Frauen gleichermassen. Wir wähnen uns in einer anderen Welt, fernab von Klimaklebern und Lärmbeschwerden. Es ist eine Erfahrung, wie sie bei uns wohl unmöglich wäre. In Italien ist aber alles kein Problem. Man freut sich, wenn Hunderte laute, stinkende Rennwagen in viel zu hohem Tempo die viel zu engen Gassen passieren – zentimetergenau vorbei an den Kaffeetischchen, die extra für den Anlass herausgestellt worden sind.

Das Rennen hat kulturelle Bedeutung

Dass dies heute noch möglich ist, hat auch mit der kulturellen Bedeutung des Rennens zu tun. Es war nie elitär – und ist es auch heute nicht. Natürlich, das Startgeld von über 10’000 Euro ist nicht ohne. Für eine Teilnahme braucht es aber keinen millionenteuren Oldtimer. Die mehr oder weniger einzige Anforderung ist, dass das Fahrzeug alt genug ist, dass es bei der «originalen» Mille Miglia von 1927 bis 1957 hätte mitfahren können. Im Jahr 1957 fand nämlich die letzte Austragung der «historischen» Mille Miglia statt. Nach einem schweren Unfall mit zwölf Toten, darunter fünf Kindern, wurde das Rennen auf Druck der Kirche verboten. Erst 1977 wurde das Spektakel wiederbelebt – neu als etwas gemächlichere Gleichmässigkeitsprüfung. Wer teilnehmen will, muss Fotos seines Oldtimers einreichen und die Geschichte des Fahrzeuges belegen können. Aus den Tausenden Anmeldungen wählen die Organisatoren ein gut durchmischtes Teilnehmerfeld aus. Und heute, wie damals, stehen auch kleine, weniger stark motorisierte Tourenwagen am Start.

Für die zweite Etappe von Bologna via Siena nach Rom wechseln wir deshalb auf den Beifahrersitz eines Mercedes 180D Ponton. Auch dieses Auto hat für die Stuttgarter eine historische Bedeutung: Im selben Jahr, als Moss/Jenkinson das Rennen dominierten, holte der 180D mit seinen bloss 40 PS den Sieg in der Dieselklasse – mit einer Gesamtzeit von 16 Stunden und 52 Minuten. Bei Mercedes befeuerte das die Verkäufe der Dieselfahrzeuge, die damals bei Personenwagen noch wenig populär waren.

Heute reagieren die Zuschauer auf den gemächlichen Diesel nicht minder emotional als auf den millionenteuren Flügeltürer. Auch wenn die geschichtliche Relevanz dieses Autos wohl nur den wenigsten bewusst sein dürfte. Die Ankunft zur Halbzeit des Rennens in Rom ist das Highlight der Mille Miglia – fast mehr noch als die Zieleinfahrt drei Tage später in Brescia. Bei der Parade in Roms wichtigster Parkanlage Villa Borghese säumen herausgeputzte junge Menschen mit ihren Handys die Strassen, schiessen Fotos und feiern die Teilnehmer. Sie beweisen: Die Liebe zum klassischen Automobil lebt auch heute noch – trotz Elektromobilität und Klimadiskussion. Oder vielleicht gerade deswegen.

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