Darum gehts
- Netanyahu verweigert unabhängige Untersuchung des Hamas-Massakers in Israel
- Kritiker sehen Netanyahus Vorschlag als Versuch der Vertuschung an
- Am 7. Oktober 2023 wurden 1200 Menschen getötet und 250 verschleppt
Mehr als zwei Jahre nach dem beispiellosen Massaker der islamistischen Terrororganisation Hamas in Israel verweigert der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu (76) weiterhin eine unabhängige Untersuchung der Vorfälle.
Statt der Einrichtung einer staatlichen Untersuchungskommission befürwortet der 76-Jährige die Ernennung einer Regierungskommission. Ein zuständiger Ministerausschuss billigte einen entsprechenden Gesetzesentwurf eines Abgeordneten der rechtskonservativen Regierungspartei Likud, wie das Nachrichtenportal «ynet» berichtete. Am Mittwoch sei eine vorläufige Abstimmung darüber im Parlament vorgesehen.
Netanyahu wird Vertuschung vorgeworfen
Der Schritt wird von Experten, Opposition und Angehörigen ehemaliger Geiseln und Todesopfer des 7. Oktober scharf als Vertuschungsversuch kritisiert. Kritiker werfen Netanyahu und seiner Koalition vor, keine persönliche Verantwortung für das politische und militärische Versagen während des Hamas-Terrorüberfalls zu übernehmen.
Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara erklärte in einer Stellungnahme, der vorgeschlagene Gesetzentwurf sei «voller erheblicher Mängel», die es den Ermittlern unmöglich machten, den Geschehnissen vom 7. Oktober 2023 auf den Grund zu gehen und daraus belastbare Schlussfolgerungen zu ziehen.
«Klarer Interessenkonflikt»
Ihrer Ansicht nach stellt der Vorschlag der Regierung politische Erwägungen über die Grundsätze einer unabhängigen und professionellen Untersuchung. Zudem erfülle der Gesetzentwurf in seiner derzeitigen Fassung nicht die Voraussetzungen für einen wirksamen und glaubwürdigen Bericht.
Netanyahu hatte dagegen argumentiert, eine staatliche Untersuchungskommission geniesse nicht die Unterstützung einer breiten Öffentlichkeit.
Der israelische Oppositionsführer Jair Lapid kritisierte, es gebe «keinen klareren und schwerwiegenderen Interessenkonflikt als den des Regierungschefs vom 7. Oktober und seiner Minister». Eine staatliche Untersuchungskommission müsse eingesetzt werden, «wenn nicht jetzt, dann in der ersten Woche unserer Regierung», sagte er mit Blick auf Neuwahlen im kommenden Jahr.
«Es darf nie wieder geschehen»
Jonathan Polin, der Vater von Hersh Goldberg-Polin, der in der Gefangenschaft der Hamas ermordet wurde, hat nach Angaben von «ynet» eine unabhängige Untersuchung gefordert. In einer Demokratie könnten staatliche und politische Entscheidungsträger sich nicht selbst untersuchen, erklärte er demnach. Dies geschehe nur in Ländern, in denen Führungskräfte «vor etwas Angst haben».
Er sagte zudem: «Ich unterstütze die Einsetzung einer staatlichen Untersuchungskommission nicht, um jemanden zu bestrafen, und nicht, weil sie mir meinen einzigen Sohn zurückbringen würde.» Es gehe vielmehr darum, dass «nichts von dem, was meinem Sohn widerfahren ist, jemals wieder geschehen darf».
Bei dem Massaker am 7. Oktober 2023 wurden rund 1200 Menschen getötet und mehr als 250 weitere in den Gazastreifen verschleppt. Der Überfall gilt als Auslöser des zweijährigen Gaza-Kriegs. Seit Beginn des Kriegs sind nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde mehr als 70'000 Palästinenser getötet worden.