Darum gehts
- Koalition plant Neustart nach Sommer des Missvergnügens
- Misstrauen und Verdruss prägen das Klima zwischen Union und SPD
- AfD liegt in manchen Umfragen vor der Union auf Platz eins
Aktuell ist Bundeskanzler Friedrich Merz (69) viel unterwegs. Aber nicht in Deutschland, sondern im Ausland. Er bemüht sich um eine starke Rolle im Ringen um den Ukraine-Frieden. Und auch sonst versucht er, die Beziehungen innerhalb Europa zu festigen. Zuletzt war er am Mittwoch gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron (47) und dem polnischen Regierungschef Donald Tusk (68) in Moldau. Der gemeinsame Besuch im Nachbarstaat der Ukraine gilt vor der Parlamentswahl Ende September als Unterstützung für Moldau, das Russland seit langem vorwirft, es destabilisieren zu wollen.
Währenddessen steigt der Druck auf Merz im eigenen Land. Die Liste seiner innenpolitischen Pleiten ist lang. Darunter Grenz-Zoff und Verschuldung. Die Regierung steckt in einer Krise – und das nach nur vier Monaten im Amt. Darum soll ein Neustart her, um die schwarz-rote Koalition wieder auf Kurs zu bringen.
Nach Beratungen von Merz mit den Unionsspitzen wollen am Donnerstag und Freitag die Spitzen der Fraktionen von Union und SPD bei einer Klausur in Würzburg den Fahrplan für die kommenden Monate festlegen. Ein richtiger «Herbst der Reformen» soll es werden. Dem ging allerdings ein Sommer des Missvergnügens voraus. In Würzburg geht es deshalb auch um Vertrauensbildung.
Die Stimmungslage
Ein kritischer Befund aus der CDU-Zentrale: «Die Stimmung ist derzeit nicht so gut, wie wir uns das gewünscht haben», schrieb CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann (48) vor wenigen Tagen in einem Brief an die Parteimitglieder. «Ob etwa bei der Stromsteuer oder bei der Wahl der Bundesverfassungsrichter: Die Abstimmungen zwischen Partei, Fraktion und Regierung waren nicht gut.»
Misstrauen und Verdruss prägen das Klima zwischen Union und SPD. Bei der SPD sitzt der Ärger tief. «Das Nichteinhalten von Zusagen hat den Gang in die Sommerpause belastet», sagt deren parlamentarischer Geschäftsführer Dirk Wiese (42). Würzburg solle dazu beitragen, «wieder in einen vernünftigen Arbeitsmodus zu kommen». Anfang September soll dann ein Grillabend der Fraktionen folgen, um ein geselliges Kennenlernen zu ermöglichen.
Die Führungsebene
Die Koalition ist nur ein Zweckbündnis, denn Union und SPD liegen in vielen Fragen auseinander. Umso wichtiger wäre eine Führung, die fest im Sattel sitzt – und die absehbar schwierige Kompromisse der Koalition in den eigenen Reihen durchsetzt. Doch in den Führungsebenen von CDU und SPD sind Zeichen der Schwäche erkennbar, die Fragen nach der Durchsetzungsfähigkeit aufwerfen.
Die Aussenwirkung
Die Umfragewerte sind schlecht, in manchen Erhebungen liegt die AfD jetzt vor der Union auf Platz eins. «Bei Merz ist von einem Kanzlerbonus nichts zu spüren», resümiert Forsa-Chef Manfred Güllner (83) in einer aktuellen Analyse. «Union und SPD verlieren an Bindekraft.»
Der Plan der Koalition, durch gutes Regieren die Kräfte der Mitte zu stärken und die AfD zu schwächen, geht bislang nicht auf. Güllners Bilanz: «Die von der ‹Ampel› verursachte Erosion des Parteiensystems wird durch die neue schwarz-rote Koalition nicht gemildert, sondern weiter verstärkt.»
Der Reformdruck
Die Ausgangslage ist also herausfordernd: Eine Koalition, die noch nicht richtig Tritt gefasst hat, muss in einem von Krisen geprägten Umfeld schwierige Entscheidungen treffen – und dies bei knappen Kassen. Finanzminister Klingbeil rechnet für 2027 bis 2029 mit einer Haushaltslücke von insgesamt 172 Milliarden Euro. An welchen Stellen soll gespart werden? Hier sind koalitionsinterne Konflikte vorprogrammiert. Wie weit die Gestaltungskraft der Koalition reicht, dürfte sich bereits im Herbst zeigen, wenn die Weichen für die geplante Sozialstaatsreform gestellt werden sollen.
Die Union verlangt Einschnitte beim Sozialen – auch als Gegenleistung dafür, dass sie der Aufweichung der Schuldenbremse zugestimmt hat. Für die SPD hingegen berührt das Thema den ideologischen Kernbestand: Sie will sich als Sozialstaatspartei profilieren und steht Einschnitten kritisch gegenüber. Die Finanzprobleme will sie durch Steuererhöhungen lösen – ein Tabu für die Union.