Darum gehts
- Alpen von Touristenhorden überrannt, italienische Bergretter schlagen Alarm
- Unerfahrene Touristen kommen unvorbereitet, Hüttenwarte sind ratlos
- Hörnlihütte bei Zermatt auf 3260 Meter über Meer: Gäste erwarten Hotelstandard
Seit der Corona-Pandemie werden die Alpen von Touristenhorden überrannt. In Sandalen, kurzen Hosen und teils in miserablem Fitnesszustand haben sie nur eines im Sinn: Hohe Berge zu bezwingen – genau wie ihre Vorbilder in den sozialen Medien. Jetzt schlagen auch italienische Bergretter Alarm.
Zwar haben Hüttenwarte schon vieles gesehen – von manchen Wünschen werden sie aber noch immer auf dem falschen Fuss erwischt. «Am Sonntag haben sie mich um Schinken und Melone gebeten. Sie dachten, sie wären am See», sagt Hüttenwart Fabrizio Gonella gegenüber dem «Bergamo Corriere». «Sie wollen eine heisse Dusche, aber ich habe nur einen kleinen Elektroboiler, mit dem ich Geschirr und Wäsche spülen kann.» Und weiter: «Im August sind hier so viele Menschen unterwegs, dass es schwierig wird.»
Einheimische sind ratlos
Der langjährige Hüttenwart Francesco Tagliaferri (79) lässt ebenfalls kein gutes Haar an den unerfahrenen Touristenhorden. «Sie kommen mit 200 Gramm leichten Rucksäcken, mit nacktem Oberkörper und ohne Pullover an und merken dann, dass es auf 2300 Metern kalt ist.» Er habe einen von ihnen gefragt: «Wo sind deine langen Hosen?» Der Tourist antwortete: «Zu Hause.» Tagliaferri ist ratlos. «Ich weiss nicht, was in den Köpfen mancher Leute vor sich geht.»
Walliser Bergretter unter Druck
Klar ist: Die Ansprüche der Gäste steigen – auch in der Schweiz. «Obwohl wir hier auf 3260 Meter über Meer sind, denken viele Gäste, dass sie in ein Hotel kommen», sagte Edit Lehner (59), die Hüttenwartin der Hörnlihütte bei Zermatt, im Juli zu Blick.
Und einige Gäste sind miserabel vorbereitet, wie Blick-Reporter Martin Meul bei seinem Praktikum auf der Hörnlihütte beobachten konnte. So versuchte ein kanadischer «Bergsteiger», das Matterhorn in Turnschuhen zu bezwingen – mutterseelenallein, ohne Steigeisen und Seil. Lehner musste schon oft erleben, wie solche Aktionen tragisch endeten.
«Der Berg ist frei zugänglich, man kann niemandem verbieten, hinaufzuklettern.» Das Problem sei nur: «Wenn etwas passiert, dann müssen andere damit leben», so die Hüttenwartin.
Das Risiko ist immer da
Doch nicht nur Touristen leben gefährlich in den Bergen, auch erfahrene Berggänger kann es treffen. «Das Unvorhersehbare passiert oft: Jeder kann stolpern», erklärt der ehemalige Präsident des Italienischen Alpenvereins von Bergamo, Paolo Vaolti, gegenüber dem «Bergamo Corriere».
Ein Felsbrocken könne durch Regenfälle, die durch den Klimawandel verursacht werden, herunterfallen. «Hirsche haben sogar schon einen Stein im Wald bewegt, der dann einen Pilzsammler weiter unten traf», so Vaolti. Die Wanderwege seien zwar in einem guten Zustand, aber es sei unmöglich, Hunderte von Metern Hang zu sichern.