«Töte ihn, dann kommst du raus» – neuer Folter-Report zeigt
So grausam gehen Putins Kommandanten mit ihren Soldaten um

Die russische Exil-Redaktion «Verstka» hat den bislang umfassendsten Bericht über Folter und Tötungen innerhalb der russischen Truppen veröffentlicht. Das Ausmass der Grausamkeiten ist gigantisch. Leidtragende der Brutalisierung sind aber nicht nur die Soldaten selbst.
Publiziert: 19:12 Uhr
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Aktualisiert: 20:27 Uhr
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Das unabhängige russische Medium «Verstka» hat den bislang umfassendsten Bericht über Folter und Tötungen innerhalb der russischen Truppen vorgelegt.
Foto: keystone-sda.ch

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Samuel SchumacherAusland-Reporter

Wladimir Putins (73) Sturmtruppen kommen in der Ukraine kaum noch voran. In ihrer Verzweiflung lassen russische Kommandanten ihre Brutalität mehr und mehr an den eigenen Leuten aus. Das belegt das preisgekrönte russische Exil-Medium «Verstka» («Umbruch») in der bislang umfassendsten Untersuchung zur Gewalt innerhalb der russischen Armee.

Mindestens 150 Russen sind laut dem Bericht von ihren Vorgesetzten zu Tode gefoltert, unbewaffnet auf Sturmmissionen geschickt sowie in einem Fall sogar dazu gezwungen worden, Kameraden in Faustkämpfen zu töten – um nicht selbst exekutiert zu werden. In der ersten Jahreshälfte 2025 gingen bei der Moskauer Militärjustiz mehr als 12'000 Beschwerden gegen Vorgesetzte wegen Folter oder Misshandlung ein. Am schlimmsten aber trifft die innerrussische Brutalität nicht die Soldaten selbst, sondern Unschuldige fernab der Front.

Der Untersuchung zugrunde liegen Gespräche mit russischen Kriegsgefangenen, zurückgekehrten Soldaten und Angehörigen von Verstorbenen. Zudem beruft sich «Verstka» auf Bild- und Videomaterial, das Blick in Teilen vorliegt.

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Weil es an der Front nicht vorwärtsgeht, lassen russische Kommandeure ihre Brutalität an den eigenen Leuten aus.
Foto: Getty Images

Die Grausamkeit von Putins Kommandanten lässt sich grob in drei Kategorien einteilen:

1

Exekutionskommandos

Bereits 2023 belegten amerikanische Quellen erste Vorfälle mit sogenannten Sperreinheiten: russische Soldaten, die hinter den Sturmtruppen hermarschieren und jeden erschiessen, der aufgeben will oder die Flucht ergreift. Der neue Report zeigt das Ausmass dieses sogenannten «zeroing» («Nullifizieren»).

Die Sperreinheiten – ursprünglich ein Phänomen jener Truppenteile, in denen vorwiegend aus dem Gefängnis rekrutierte Soldaten dienten – werden von den Russen an breiter Front eingesetzt. Aus dem 139. Sturmbataillon ist ein Fall belegt, bei dem russische Drohnenpiloten zurückfallende Kameraden mit Mini-Bomben exekutierten.

Die Toten würden oft in Flüsse geworfen oder verscharrt. Den Familien sagt man, ihre Männer, Brüder und Söhne hätten desertiert. Das kostet den Staat weniger, als wenn man die Angehörigen der Getöteten entschädigen müsste.

2

Leuchtfeuer-Leichen

Dutzendfach überliefert sind Fälle von russischen Soldaten, die von ihren Vorgesetzten teils unbewaffnet und ohne Schutzausrüstung auf suizidale Sturmmissionen geschickt worden sind: Sie mussten übers offene Feld auf den Gegner zu rennen, damit die russischen Kommandanten eruieren konnten, von wo aus die Ukrainer genau schiessen.

«Leuchtfeuer» nennen die Russen die Taktik. «Die einzige Chance, das zu überleben, ist, von den Ukrainern verwundet und dann gefangen genommen zu werden», erzählt ein betroffener Soldat.

3

Folter bis zum Tod

In grausamen Videos liessen Kommandanten festhalten, wie aufmüpfige oder betrunkene Soldaten von ihren Kameraden mit Elektroschocks und Schlaggeräten gefoltert werden. Ein verstörendes Beispiel zeigt zwei halbnackte Soldaten, die in einem Erdloch ausharren. Ein filmender Soldat tritt an das Erdloch heran und sagt: «Kommandant Kama sagt, wer auch immer den anderen tötet, darf aus dem Loch rauskommen.» 

Die Verzweifelten gehen aufeinander los. «Töte ihn, dann kommst du raus», ruft der Filmende und feuert die kämpfenden Soldaten an. Nach etwas mehr als zwei Minuten liegt einer der beiden reglos am Boden. Das Video, das Blick gesehen hat, aber nicht unabhängig verifizieren konnte, endet.

Mordende Heimkehrer

Strafen haben die Verantwortlichen in den seltensten Fällen zu befürchten. Laut einem Whistleblower aus der russischen Militärjustiz, der «Verstka» Auskunft gegeben hat, geniessen die Folterer und Mörder faktisch Immunität, weil man den operativen Erfolg der Missionen nicht mit lästigen Verfahren gefährden wolle.

Die Hauptleidtragenden des Dramas bleiben die Menschen fernab der Kriegshandlung. Heimgekehrte Soldaten haben seit Kriegsbeginn in Russland bereits 242 Menschen getötet und mindestens 227 schwer verletzt. Mehr als die Hälfte der Taten ging auf das Konto begnadigter Verbrecher, die als Belohnung für ihren Fronteinsatz aus dem Gefängnis entlassen worden sind.

Der Krieg kommt langsam in Russland an. Nicht nur durch die anhaltenden Angriffe der Ukrainer auf russische Ölraffinerien. Sondern zusehends auch durch die schiere Gewalt der brutalisierten Rückkehrer, die ihre Aggressionen an ihren Angehörigen und Mitmenschen ausleben.

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