Victoria Roshchyna (†27) wurden mehrere Organe entfernt
Das war die Journalistin, die in Putins Folterknast starb

Die ukrainische Journalistin recherchierte zu russischen Foltergefängnissen – und wurde dort mutmasslich ermordet. Ihrer Leiche wurden Organe entnommen, ihr Körper weist Folterspuren auf.
Publiziert: 04.05.2025 um 16:23 Uhr
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Aktualisiert: 04.05.2025 um 16:32 Uhr
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Die ukrainische Journalistin Victoria Roshchyna starb mit 27 Jahren in russischer Kriegsgefangenschaft.
Foto: zVg

Darum gehts

  • Die ukrainische Journalistin Victoria Roshchyna ist in russischer Gefangenschaft gestorben
  • Ihr Körper weist Folterspuren auf
  • Roshchyna berichtete furchtlos aus besetzten Gebieten über Kriegsverbrechen
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Sara BelgeriRedaktorin

Als am 14. Februar 2025 in Kiew über 700 ukrainische Leichen gegen russische Tote ausgetauscht werden, steht auf der dazugehörigen Liste bei Nummer 757: «Unbekannter Mann».

Doch die ukrainischen Forensiker merken schnell: Eigentlich handelt es sich dabei um eine Frau. Ihr Kehlkopf und ihre Augäpfel fehlen. Teile ihres Gehirns wurden entfernt. Ihr Körper weist Spuren von Folter auf. Angeschrieben ist der Leichnam mit «Roshchyna». Ein DNA-Test ergibt: Es handelt sich um die ukrainische Journalistin Victoria Roshchyna. Sie wurde nur 27 Jahre alt.

Bekannt gemacht hat dies diese Woche das investigative Netzwerk «Forbidden Stories», dessen Mission es ist, die Recherchen von Journalistinnen und Journalisten weiterzuführen, die zum Schweigen gebracht wurden. Zwölf ukrainische und internationale Medien, unter anderem die «Washington Post», der «Guardian» oder die «Zeit», waren an der Recherche beteiligt.

Über ein Jahr verschollen

Im August 2023 wird Roshchyna während ihrer Berichterstattung in den besetzten Gebieten festgenommen, verschwindet anschliessend im russischen Gefängnissystem und gilt fortan als verschollen. Erst im April 2024 bestätigen russische Behörden, dass die Journalistin inhaftiert wurde. Das letzte Lebenszeichen dann im August 2024: Roshchyna telefoniert mit ihrer Familie.

Dann, nur wenige Wochen später, erhält ihr Vater eine knappe Mitteilung der russischen Regierung, dass seine Tochter am 19. September gestorben sei. Zu der Todesursache steht nichts drin. Wenige Tage zuvor hätte sie bei einem Gefangenenaustausch freikommen sollen.

Unerschrockene Journalistin

Roshchyna wächst mit ihren Eltern und einer Schwester in der ukrainischen Stadt Saporischschja auf. Schon früh will sie Journalistin werden. Ihre Karriere beginnt sie mit 21 Jahren beim ukrainischen Onlinemedium «Hromadske». Sie berichtet vor allem aus Gerichtssälen, schreibt über Korruption und Verbrechen.

Sie gilt als leidenschaftlich, furchtlos. «Vika hatte diesen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit.» Und: Ihr Beruf habe ihr alles bedeutet. So beschreiben ehemalige Arbeitskollegen die ukrainische Journalistin im Dokumentarfilm «Vikas letzte Aufgabe» auf Youtube.

Als der russische Angriffskrieg beginnt, reist Roshchyna über einen grünen Korridor in die von Russland besetzten Gebiete ein. Ihr Ziel: über die Lage der dortigen Zivilbevölkerung zu berichten.

Rückkehr trotz Gefangenschaft

Während mehrerer Tage gerät sie in russische Gefangenschaft. In einem Video von März 2022 sieht man sie, wie sie mit verschränkten Armen ernst in die Kamera schaut, ihr ist sichtlich unwohl. Dann sagt sie auf Russisch: «Ich habe keine Beschwerden über die russische Seite. Das Vorgehen des russischen Militärs hat mich höchstwahrscheinlich am Leben erhalten. Ich rufe alle dazu auf, einen kühlen Kopf zu bewahren und die Dinge friedlich zu klären.» Nach dem Video wird sie wieder freigelassen.

Die Zeit in Gefangenschaft hält sie nicht davon ab, weiterhin aus den besetzten Gebieten zu berichten – im Gegenteil: Sie will zurückkehren. Ihrem Arbeitgeber ist das Risiko zu hoch. Als Roshchyna unmissverständlich klarstellt, dass sie dennoch erneut dorthin gehen wird, beendet «Hromadske» die Zusammenarbeit mit ihr.

Fortan arbeitet Roshchyna als freie Journalistin und reist weiterhin in die besetzten Gebiete. Sie schreibt mehrere Berichte über die Wagner-Gruppe, über Kindesentführungen und dokumentiert die Beteiligung des russischen Geheimdiensts FSB an der Inhaftierung und Folter von Arbeitern des Kernkraftwerks Saporischschja.

Eine der Letzten, die berichtet

Unter anderem schreibt Roshchyna für «Ukrajinska Prawda». Deren Chefredaktorin, Sevgil Musaieva, sagt heute, dass Roshchyna es als ihre Mission gesehen habe, aus den besetzten Gebieten zu berichten. Als ihr 2022 von der International Women’s Media Foundation der «Courage in Journalism Award» verliehen wird, nimmt sie nicht an der Preisverleihung in den Vereinigten Staaten teil. Zu wichtig ist ihr die Berichterstattung über den Krieg.

Als Roshchyna im Sommer 2023 zu ihrer letzten Recherchereise aufbricht, ist sie 26 Jahre alt. Sie gehört zu den letzten Journalistinnen, die aus den besetzten Gebieten zu berichten. Sie hat davon gehört, dass ukrainische Zivilisten dort festgenommen, eingesperrt und gefoltert werden. Also will sie über diese russischen Foltergefängnisse schreiben. Dafür reist sie über Polen, Lettland nach Russland ein. Laut ihrer Familie schreibt Roshchyna ihrer Schwester im Juli noch ein SMS. Dann verliert sich ihre Spur.

Folter in russischem Gefängnis

Die Recherche von «Forbidden Stories» und auch Berichte von Reporter ohne Grenzen zeigen: Vermutlich wird Roshchyna in Enerhodar im Südosten der Ukraine verhaftet, von wo aus sie dann in die von Russland besetzte Stadt Melitopol überführt wird. Im Dezember 2023 wird sie dann ins südrussische Taganrog ins Gefängnis Siso 2 gebracht, wo sie gefoltert wird.

Von den Qualen berichten ehemalige Zellnachbarinnen von Roshchyna, die die Journalistinnen und Journalisten von «Forbidden Stories» interviewt haben. Zudem gelingt es ihnen, Roshchynas Verdacht über die russischen Foltergefängnisse zu bestätigen: Auch andere ehemalige Inhaftierte von Siso 2 berichten von systematischer Folter, Misshandlungen und psychischer Gewalt.

Die ukrainische Staatsanwaltschaft untersucht Roshchynas Tod inzwischen als Kriegsverbrechen. Ihr Vater hat einen zweiten DNA-Test gefordert, um die Identität seiner Tochter endgültig zu bestätigen. Erst dann werde er ihren Tod akzeptieren.

Mit Victoria Roshchynas Tod ist eine wichtige Stimme aus der ukrainischen Kriegsberichterstattung verstummt. «Sie war unsere Brücke in die besetzten Gebiete», sagt Sevgil Musaieva von «Ukrajinska Prawda» zur «Washington Post». Seit Roshchynas Tod gebe es keine Berichterstattung mehr. «Die Menschen in der Ukraine wissen nicht, wie das Leben unter Besatzung aussieht.»

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