Selenski droht Moskau vor dem Tag des Sieges
Welche Folgen hätte ein Anschlag auf Putins Parade?

Selenski droht mit Anschlägen auf die Siegesparade in Moskau, der Kreml droht mit der Vernichtung von Kiew. Alles wieder Kriegsrhetorik, oder gilt es dieses Mal Ernst? Experten schätzen ein.
Publiziert: 00:48 Uhr
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Aktualisiert: vor 5 Minuten
Üben für die grosse Parade: Am Freitag feiern die Russen den Tag des Sieges über Nazi-Deutschland.
Foto: Imago

Darum gehts

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Guido FelderAusland-Redaktor

Seit 80 Jahren feiern die Russen am 9. Mai den Tag des Sieges über Nazi-Deutschland. Während es bisher eine Parade mit Panzern, Raketen und Truppen war, stehen die Zeichen dieses Jahr auf Eskalation. Auf der einen Seite warnt der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (47) die Gäste des Defilees vor Anschlägen, auf der andern Seite droht Moskau Selenski mit der Vernichtung von Kiew. 

Um seine hochrangigen Gäste zu schützen, fordert der russische Präsident Wladimir Putin (72) fürs kommende Wochenende eine Waffenruhe – auf die Selenski jedoch nicht eingehen will. Was am Freitag passieren wird? Die Einschätzung der Experten ist beunruhigend. 

Selenski bezeichnete die von Putin vorgeschlagene dreitägige Waffenruhe von Donnerstag bis Samstag als «Spielchen». Sie sei keine seriöse Grundlage, um sich auf weitere Schritte Richtung Frieden zu einigen. Die Waffenruhe diene Putin allein dazu, seinen hohen Gästen und Freunden an der Parade «ein Gefühl der Sicherheit» zu geben. Er selbst schlug einen 30-tägigen Waffenstillstand vor. 

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Dmitri Medwedew, Vizechef des russischen Sicherheitsrats, droht mit der Vernichtung Kiews.
Foto: Imago

Hohe Gäste haben abgesagt

Auf der Gästeliste der Parade stehen rund 20 Staats- und Regierungschefs, darunter der chinesische Präsident Xi Jinping (71), Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva (79) und Venezuelas Präsident Nicolás Maduro (62). Der indische Premierminister Narendra Modi (74) hat abgesagt – angeblich wegen des Kaschmir-Konflikts. Auch der serbische Präsident Aleksandar Vucic (55), der eine Teilnahme versprochen hatte, muss angeblich aus gesundheitlichen Gründen passen. 

Selenski warnte davor, dass die Ukraine die Sicherheit von Vertretern anderer Länder in Moskau nicht garantieren könne. Russland selbst könne Brandanschläge, Sprengungen oder Ähnliches durchführen und dafür dann die Ukrainer beschuldigen. 

Eine Warnung, die im Kreml heftige Reaktionen auslöste: Dmitri Medwedew (59), Vizechef des russischen Sicherheitsrats, drohte mit der Vernichtung Kiews: «Niemand kann garantieren, dass die ukrainische Hauptstadt den 10. Mai erleben wird.» 

Putin hat Angst vor Angriffen

Die Absicht Putins mit dem Mini-Waffenstillstand ist klar. Ulrich Schmid, Russland-Experte an der Universität St. Gallen, sagt gegenüber Blick: «Putin will sich seine Parade am wichtigsten geschichtspolitischen Feiertag nicht durch einen ukrainischen Drohnenangriff verregnen lassen.» 

Schmid hält einen ukrainischen Drohnenangriff, Sabotageakte oder Anschläge am Boden am 9. Mai durchaus für möglich. «Nur schon ein Luftalarm oder ein Unterbruch der Festlichkeiten wären für Kiew ein grosser Erfolg», meint Schmid.

Ob die Russen darauf tatsächlich mit einem vernichtenden Gegenschlag reagieren würden, darüber gehen die Meinungen der Experten auseinander. Schmid hält das für praktisch ausgeschlossen und bezeichnet Medwedews Drohungen als inzwischen übliches «lautes Hintergrundrauschen der Moskauer Kriegspropaganda». 

Schmid: keine Rache an Kiew

Denn mit einer Vernichtung Kiews würde der Kreml seine eigene Rhetorik ad absurdum führen. Schmid erklärt: 

  • Erstens werde noch immer behauptet, die «militärische Spezialoperation» richte sich gegen das ukrainische «Neonazi-Regime» und nicht gegen das «ukrainische Brudervolk». 

  • Zweitens müsste der Kreml bei einer solchen Eskalation eingestehen, dass er einen «Krieg» gegen die Ukraine führe. 

  • Drittens gelte Kiew in der russischen Propaganda als «Mutter aller russischen Städte». Schmid: «Man würde also gewissermassen die Wiege der tausendjährigen russischen Staatlichkeit zerstören.» 

Auch Ralph D. Thiele, Vorsitzender der deutschen Politisch-Militärischen Gesellschaft und Präsident von Eurodefense Deutschland, schliesst Anschlagsversuche der Ukrainer auf die Parade nicht aus. «Die Ukraine sucht nach Statuserfolgen und will das System Putins plakativ treffen.» 

Thiele: schwere Vergeltung

Im Gegensatz zu Schmid rechnet er in einem solchen Fall aber mit einer «massiven Vergeltung» der Russen gegen Kiew, da ein Schlag auf die Parade die Russen «zutiefst verletzen würde». Ein solcher Gegenschlag könnte in der ukrainischen Hauptstadt enormen Schaden anrichten, da die Russen immer bessere Raketen wie die Kinschal verwendeten. Thiele: «Gegen diese Hyperschall-Raketen haben die Ukrainer kaum Abwehrchancen, zumal ihnen auch die Luftverteidigungssysteme langsam ausgehen.»

Auch wenn die Parade in geordneten Bahnen ablaufen sollte, muss Putin einstecken. Ulrich Schmid wertet es als «empfindlichen Prestigeverlust», dass Staats- und Regierungschefs wie Modi, Vucic, aber auch der slowakische Ministerpräsident Robert Fico (60) ihre Teilnahme abgesagt haben. Schmid: «Während Modi wegen der Spannungen mit Pakistan über einen triftigen Grund verfügt, könnten die Absagen aus Belgrad und Bratislava mit Sicherheitsbedenken zusammenhängen.»

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