Er war ein guter Bergsteiger. Davon ist Paolo B.* felsenfest überzeugt. Nicht Unachtsamkeit oder Leichtsinn töteten seinen geliebten Sohn. «Es war eine Ladung Steine, die Elia in die Tiefe riss. Das ist das, was passiert ist», schreibt der gebrochene Mann auf Facebook. Es sind nur ein paar Zeilen. Für Paolo B. sind sie die Wahrheit über den tragischen Absturz Sonntagnachmittag am Grat des Brouillard im Mont-Blanc-Massiv.
Elia ist am Sonntagnachmittag mit zwei Seilschaften auf über 4000 Metern Höhe unterwegs. Es fehlt nur noch wenig zum Grat, als unter dem Gewicht eines Bergsteigers über ihm, Gestein abbricht. Der Steinschlag zerreisst das Seil, an dem Elia hängt. Der Italiener hat keine Chance. Er stürzt Hunderte von Metern in den Abgrund und ist auf der Stelle tot. Das berichtet AostaSera.it.
Paolo B., Chorleiter und selber erfahrener Alpinist aus Erba (I) postet das letzte Foto seines Buben. Ein Selfie, das Elia um 14.08 Uhr an der Felswand schoss und über WhatsApp verschickte. Kurz darauf stürzt der junge Mann in die Tiefe. Die Trauer in Erba ist gross. Elia hatte grad seine Maturität geschafft. Er war nicht nur ein leidenschaftlicher Kletterer, sondern auch Pianist und Hobby-Fotograf.
«Der Berg ist nicht mehr so stabil wie früher»
Elia ist das jüngste der Bergopfer im Alpenraum, welches in diesen Tagen eine heftige Diskussion auslöste. Schmelzender Permafrost, extrem heisse und trockene Sommer, zudem ein boomender Alpinismus fordern immer mehr Tote im Hochgebirge – über 65 in der Schweiz allein in diesem Jahr.
«Der Berg ist nicht mehr so stabil wie früher. Der Rückgang des Permafrosts lässt ganze Felsen brüchig werden», erklärt Hans-Rudolf Keusen, Geologe und Gefahrenexperte beim Schweizerischen Alpen-Club dem Tagblatt, «weil sich die Nullgradgrenze immer weiter in die Höhe verschiebt, tauen die Permafrostböden auf und das Gelände wird instabil.» Das Eis in Felsklüften schmelze. Es sammle sich Wasser in den Hohlräumen des Gesteins, sprenge es schliesslich. «Irgendwann rollt eine Lawine aus Stein, Eis und Wasser ins Tal», erklärt Hans-Rudolf Keusen.
Im Wallis verschwanden in den vergangenen Wochen zwei Menschen in Gletscherspalten, weil offenbar schmelzende Schneebrücken einbrachen. Der Chilene Gonzalo V.** (38) und sein Begleiter stürzen am 24. Juli an der Ostflanke des Matterhorns über 800 Meter in den Tod, weil sich Felsbrocken lösten und sie mitrissen (BLICK berichtete). Doch auch in den Bergkantonen Bern und Graubünden nehmen Steinschläge und Felsstürze dramatisch zu. Am Sonntag wurde auch der Abbruch eines Felsstückes an der Fiamma bei Vicosoprano GR einer 30-jährigen deutschen Bergsteigerin zum tödlichen Verhängnis.
Der gefährlichste Berg der Welt ist das Matterhorn
Einer der tödlichsten Berge der Welt (BLICK berichtete) ist nach wie vor das Matterhorn. Angesichts der steigenden Gefahr wurde gar seine Sperrung für Bergsteiger gefordert. Eine absurde und völlig unrealistische Idee, finden die Zermatter Bergführer Benedikt Perren und Anjan Truffer (BLICK berichtete). Man könne nicht einen Berg verbieten, so die Experten, schon gar nicht das Matterhorn, das von verschiedenen Seiten begehbar ist.
Auch Paolo B. kann die neue Gefahr in den Alpen-Gipfeln nicht schrecken – trotz des schmerzlichen Verlustes. «Ich werde eines Tages an den Grat am Mont Blanc zurückkehren, um aus der Nähe Abschied von meinem Sohn zu nehmen», so der trauernde Vater.
*Name bekannt
**Name geändert